Kulinarisches Kino auf der Berlinale:Ameisen, die nach Honig schmecken

Noma Restaurant

Spitzenkoch René Redzepi (vorne rechts) im Gespräch mit seinen Köchen. Manchmal ist er da nicht gerade zimperlich.

(Foto: Pierre Deschamps)

Er nennt Kunden "Arschlöcher" und triezt Mitarbeiter. Trotzdem kommt der Film "My perfect Storm" Sternekoch René Redzepi so nahe, dass man ihn mögen muss. Und zeigt den Aufstieg vom Migranten zum besten Koch der Welt.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Das Auge isst ja bekanntlich mit, und deshalb ist diese Szene aus dem Film "My perfect Storm" gleich mehrfach bemerkenswert: Da wandern ein paar stramme Ameisen über ein Löffelchen weißen Schaumes, angerichtet wie ein Sternemenü - und der Zuschauer ekelt sich gar nicht ob dieser sonderbaren Speise. Zu verdanken ist das René Redzepi. Alles was er anfasst, gelingt. Also fast alles.

Dass der Mann mit der Ponyfrisur und dem verträumten Blick auf seinem Weg zum weltbesten Spitzengastronom diverse Rückschläge einzustecken hatte, das zeigt der Film von Pierre Deschamps, der derzeit auf der Berlinale in der Reihe Kulinarisches Kino läuft, eindrucksvoll.

Es ist eine wahre Zitterpartie, der der Zuschauer beiwohnt. Im Herzen des Sturms, in der Küche des Sternerestaurants Noma im dänischen Kopenhagen, das in den vergangenen Jahren vier Mal zum besten Restaurant der Welt gekürt wurde, sind die dafür unentbehrliche präzise Perfektion und die stets kurz vor dem Bersten stehende Konzentration fast mit Händen greifbar. Wer bei der weltweiten Konkurrenz in einer ohnehin perfektionistischen Branche so viel Erfolg haben will, der steht unter einem wahnsinnigen Druck.

Norovirus im Sternerestaurant

Pierre Deschamps, einst selbst Koch gewesen, fängt mit der Kamera diese Spannung fingerfertig ein, er lässt den Zuschauer vom süßen Dessert des Erfolgs kosten, verschweigt aber auch nicht die Strapazen und unschönen Szenen, die dafür nötig sind. Und da wäre René Redzepi selbst, der mit seinem jungenhaften Antlitz und der kleinen Statur oft mit Gefühlsausbrüchen überrascht. Erst ist ihm ein neuer Titel "scheißegal", dann aber zerbricht er fast daran, dass in seinem Restaurant 63 Gäste mit dem Norovirus infiziert wurden.

Und in der Tat: Das ist ein so herber Rückschlag für das bis dahin so erfolgsverwöhnte Restaurant, dass dies genausogut sein Ende hätte bedeuten können. Das beste Restaurant der Welt vergiftet seine Gäste? Unfassbar! Im folgenden Jahr bekommt ein anderes Restaurant den Titel, Redzepi strauchelt. Der Zuschauer ist dabei, wie er sich fängt, nach diversen Versuchen wieder ein neues Konzept findet, sich wieder neu erfindet.

Das ist das Erfolgsrezept des Noma: dass es die Küche seines Landes völlig neu erfunden hat. Ein Restaurant, das nur skandinavische Lebensmittel zur Auswahl hat? Undenkbar! Zu Beginn wurden Redzepi und sein junges Team in der Szene verspottet. "Wal-Penis" und "Seal-Fuckers" musste sich der Koch von den Kollegen anhören. Umso mehr Anreiz für ihn, es allen zu zeigen, dass es doch geht. Und wie es geht. Meeresfrüchte und vor allem Gemüse bringt Redzepi auf den Tisch, wie sie die Welt einfach noch nicht gesehen hat. Dass Prominente nach Dänemark fliegen würden nur für ein Abendessen, das war vor dem Noma undenkbar.

Noma Restaurant

So sieht das Essen im Noma aus. Serviert werden nur skandinavische Zutaten.

(Foto: Pierre Deschamps)

Vom Migranten zum Spitzenkoch

Erst im Laufe des Films kommt heraus, wie sehr der Sternekoch (zwei Michelin-Sterne hat er, einen dritten strebt er an) unter seiner Herkunft zu leiden hatte. Die Mutter ist Dänin, der Vater Albane. An seine Kindheit in Mazedonien hat Redzepi nur glückliche Erinnerungen, doch als die Familie nach Dänemark zog, da habe die Ausgrenzung angefangen, erinnert sich der Vater. Ob René Rassismus erlebt habe, will der Interviewer wissen. Willst du mich verarschen, lacht der Sternekoch in seiner sehr direkten Art. Natürlich habe er das. Immer wieder. Seine Freunde hätten irgendwann schöne Wohnungen gefunden, nur er habe überall Probleme gehabt. Woran denn sonst hätte das liegen sollen als an seinem Nachnamen und seiner Sozialisation mit einem muslimischen Vater?

Noma Restaurant

Und so sieht eine Crew aus, deren Restaurant gerade zum weltbesten gekürt wurde: Die Noma-Köche rasten aus.

(Foto: Pierre Deschamps)

Wie auch dieser Film zeigt, sind es oft Menschen, die Ausgrenzungen erfahren haben, die ein besonderer Ehrgeiz treibt, die Welt davon zu überzeugen, dass mehr in ihnen steckt. Dass sie doch kein Abschaum sind, wie es ihnen so oft beigebracht wurde. Dieser unnachgiebige Ansporn, dieser Stachel, der ihn triezt, es noch einmal zu schaffen, wieder der Beste zu sein, trotz der Rückschläge, diese unbändige Motivation, die dafür nötig ist - all das zeigt der Film ganz unmittelbar. Und am Ende darf Redzepi mit seinem Team triumphieren: Zum vierten Mal wird ihm der Titel "weltbestes Restaurant" von der britischen Fachzeitschrift Restaurant verliehen. Und wieder zeigt er bei der höchst emotionalen Verleihung der Welt den Mittelfinger: Siehst du, ich habe es doch geschafft!

Dass er zum Erreichen dieses ganz persönlichen Zieles bisweilen seine Köche triezt, hat ihm der Zuschauer da schon verziehen. Dass er Gäste, die sein Restaurant nur deshalb besuchen, weil es zum weltbesten gekürt wurde, als "Arschlöcher" bezeichnet, wird im Kino in Berlin sogar beklatscht.

Pop-up-Restaurant in Australien

Beklatscht wird auch im Anschluss das vier-Gänge-Menü, das in der schönen Tradition des Kulinarischen Kinos während der Berlinale im Anschluss an den Film serviert wird. Sven Elverfeld vom Restaurant Aqua aus Wolfsburg hat es gekocht, ebenfalls ein Sternekoch, er hat im Gegensatz zu Redzeni sogar schon seinen dritten Stern. Schade nur, dass die pochierte Auster, der Kartoffel-Pot au feu, der Bachsaibling und die Rote Beete mit Fichtensprossen, allesamt natürlich sehr schmackhaft, trotzdem an Biss vermissen lassen. Ein Biss, der den Speisen im Noma im Film durchaus anzusehen ist.

Die Krönung wäre es gewesen, hätte Redzepi selber im Anschluss an den Film, der ihn verehrt, hier den Löffel geschwungen. Doch das würde wohl die Berliner Budgets sprengen: Der Sternekoch weilt derzeit in Australien, wo er einen zeitweiligen Ableger des Noma testet, eine Art Pop-up-Spitzenrestaurant. Die Tickets für ein 340-Dollar-Menü ohne Weinbegleitung (macht dann nochmal 220 Dollar) waren online binnen Minuten ausverkauft. Trotzdem ließ er es sich nicht nehmen, nach dem Essen per Skype nach Berlin zugeschaltet zu werden und noch einmal ausführlich sein lebhaftes Interesse an dem Film zu bekunden, der ihm durchaus ein kleines Denkmal setzt. Und von den australischen Ameisen zu schwärmen, die in seinen Augen nach Honig schmecken. Ach was, nach einer Honig-Explosion!

Es braucht wohl diese unbändige Begeisterungsfähigkeit, um ein skandinavisches Restaurant zum besten der Welt zu machen - und seinen Gästen für sehr viel Geld Ameisen vorzusetzen. Die Faszination allerdings, die von einem Essen ausgeht, dass es nur an diesem Ort und nur zu dieser Zeit geben wird und dann nie wieder, die fängt der Film perfekt ein. "My perfect Storm" läuft heute Abend noch einmal auf der Berlinale und startet im Mai oder Juni in den deutschen Kinos. Ein genauer Termin steht noch nicht fest. Weitere Infos hier.

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