Frauenkrawatte:Oben mit

Frauenkrawatte: Powerlook: Schauspielerin Elle Fanning in Gucci.

Powerlook: Schauspielerin Elle Fanning in Gucci.

(Foto: Ernesto S. Ruscio/Getty Images for Gucci)

Während Männer immer häufiger auf Schlips verzichten, feiert die Frauenkrawatte ein Comeback - schon wieder! Über ein höchst politisches Accessoire.

Von Kathrin Hollmer

Die Krawatte ist in der Krise. Politiker zeigen sich immer häufiger oben ohne. Beim G-7-Gipfel im Sommer in Elmau posierten die Staatschefs volksnah leger ohne Schlips, Robert Habeck hat sich öffentlich als Krawatten-Gegner geoutet (und trägt bisweilen trotzdem eine). Auch aus den Büros verschwindet der Schlips, nachdem er lange Zeit Teil des seriösen Männer-Outfits war und zum Dresscode gehörte. Obwohl heute kaum noch irgendwo Schlipspflicht gilt, fällt es trotzdem immer noch auf, wenn Männer auf die Krawatte verzichten. Bei Frauen ist es genau andersherum: Sie fallen auf, wenn sie sich einen Schlips umbinden.

Die Frauenkrawatte feiert gerade wieder ein Comeback. Bei den Fashion Weeks in Mailand und Paris war sie eines der meistfotografierten Accessoires der Besucherinnen: schwarze Krawatten zum Schuluniform-Look mit kurzem Rock und Blazer, Nadelstreifen-Schlips zum dunklen Nadelstreifen-Kostüm, Krawatten in Pink und mit Prada-Logo als Farbtupfer zum pastellfarbenen Hemd.

Frauenkrawatte: Schön angezogen: Ein Entwurf von Louis Vuitton für diesen Herbst.

Schön angezogen: Ein Entwurf von Louis Vuitton für diesen Herbst.

(Foto: Kristy Sparow/Getty Images)

Am Frauenhals ist die Krawatte nicht Teil eines Dresscodes, sondern ein Zeichen des Unangepasstseins. Zwar galt die focale, die Halsbinde im antiken Rom, die als Vorgängerin der Krawatte angesehen wird, dort als "weibisch", wie Ingrid Loschek in "Reclams Mode- und Kostümlexikon" schreibt. Spätestens seit dem 16. Jahrhundert ist die Krawatte aber als Männer-Accessoire überliefert - das sich die Frauen immer wieder ausgeborgt haben. Ende des 17. Jahrhunderts zum Beispiel war die Krawatte Teil der Reitkleidung für Frauen, später trugen sie Seglerinnen und Radfahrerinnen, ab 1900 Frauenrechtlerinnen.

"Mit der Krawatte nimmt sich eine Frau etwas heraus, das sonst nur Männern zugestanden wird."

Für Diana Weis, Autorin und Professorin für Modejournalismus, ist die Geschichte der Damenkrawatte eng mit der der Frauenbewegung verknüpft: Die erste Feminismuswelle begann Mitte des 19. Jahrhunderts und reichte bis in die 1930er-Jahre. Zu der Zeit kam die Krawatte für die Frau zum ersten Mal in Mode. "Die Krawatte ist ein Kleidungsstück, das eigentlich keinen Sinn macht, sie ist reine Dekoration, eine Anomalie in der Herrenmode", sagt Weis. "Mit der Krawatte nimmt sich eine Frau etwas heraus, das sonst nur Männern zugestanden wird."

Frauenkrawatte: Kult-Krawatte: Diane Keaton und Woody Allen in "Annie Hall" (1977).

Kult-Krawatte: Diane Keaton und Woody Allen in "Annie Hall" (1977).

(Foto: imago stock&people/imago images/ZUMA Wire)

Marlene Dietrich war so etwas wie die erste Frauenkrawatten-Influencerin. Als die Schauspielerin in den Dreißigerjahren in Paris in Hosen durch die Straße lief und Krawatte oder Fliege trug, war das eine große Provokation. "Die Krawatte war ein Symbol männlicher Position und Macht. Wenn Frauen Krawatte oder Männeranzug trugen, war das ein provokantes Signal der beginnenden Emanzipation, weil die Frauen damit suggerierten: Wir sind bereit, die selben Positionen einzunehmen", sagt der Kulturmanager und Krawattensammler Gerald Matt, der in dem Buch "Das Leben der Krawatten" (Brandstätter Verlag) über die Kulturgeschichte der Krawatte schreibt.

Dietrichs androgyner Garçonne-Look (abgeleitet vom französischen garçon, Junge) war ein Zeichen der zumindest modischen Gleichberechtigung - und gleichzeitig erotisch. "In dem Film Marokko zum Beispiel wirkt Marlene Dietrich im Frack nicht männlich, dafür umso selbstbewusster", sagt Matt. "Im Gegenteil, das Männer-Outfit stellt ihre Weiblichkeit in besonderer Weise heraus, auf eine subtile und intelligente Art." 1933 endete die Karriere der Damenkrawatte abrupt: "Anzug und Krawatte waren mit dem Nazi-Ideal des deutschen Weibes unvereinbar", so Gerald Matt.

In der zweiten Feminismuswelle der Sechziger- und Siebzigerjahre tauchte die Frauenkrawatte erneut auf - wenn auch nicht mehr so provokant. Patti Smith kombinierte auf der Bühne Krawatte cool zu weißem Hemd und Bundfaltenhose, 1977 trug Diane Keaton als Annie Hall in Woody Allens "Stadtneurotiker" einen gepunkteten Schlips. Die Krawatte von Ralph Lauren stammte aus Keatons privatem Kleiderschrank, auf dem roten Teppich erschien die Schauspielerin oft mit Krawatte oder Fliege zum Smoking.

Seither taucht die Frauenkrawatte in jeder Dekade auf. "In den Achtzigern gab es mehr Frauen in Führungspositionen, und die brauchten eine andere Kleidung, um sich durchzusetzen", sagt Diana Weis. "Damit sie, überspitzt gesagt, nicht wie die Sekretärin aussahen, sondern wie die Chefin." Power Dressing nannte man den Business-Look für Frauen, der die Herrenmode imitierte, mit breiten Schulterpolstern und Krawatte. Power Dresses hielten auch Einzug in die Popkultur: Die Sängerin Annie Lennox ließ sich 1983 im Wallstreet-Outfit mit Schlips filmen, für das Musikvideo zum Eurythmics-Song "Sweet Dreams (Are Made Of This)".

Seit den Neunzigerjahren wird die Frauenkrawatte lockerer und verspielter kombiniert. 1990 nahm Julia Roberts im Oversized-Anzug von Armani samt Blumenkrawatte ihren Golden Globe für "Magnolien aus Stahl" entgegen, 1994 trug Prinzessin Diana ein Modell mit Elefantenmuster zum Hosenanzug. Anfang der Nullerjahre kombinierte die Sängerin Avril Lavigne Krawatte, bauchfreies Tanktop und Nietenarmband. Das immer noch männlich konnotierte Accessoire ist hier vor allem eines: ein Bruch mit Erwartungen, an Schauspielerinnen auf dem roten Teppich, Prinzessinnen, Pop-Punk-Sängerinnen.

Windsor- oder Doppelknoten? Darum geht es bei der Frauenkrawatte nicht

Die Frauenkrawatte ist also per se ein Stilbruch, folgerichtig sind Regeln von Beginn an unwichtig. Es kommt nicht auf den Knoten - elegant mit Windsor- oder extrovertiert mit Onassis-Knoten - an. Patti Smith wird das Zitat zugeschrieben: "Yeah, ich habe eine Krawatte, aber ich trage sie, wie ich will." Die Sängerin trug die Krawatte mal offen, mal lässig um den Hals gewickelt. 2018, als es schon einmal ein kurzes Revival gab, unter anderem bei Emporio Armani und Derek Lam, sah man bei Saint Laurent wie Schals gebundene Lederkrawatten.

Auch heute gibt es keine einheitliche Linie. In den Herbst-Winter-Kollektionen für 2022/23 gab es die Frauenkrawatte in unterschiedlichen Längen, breit und schmal, unifarben oder gemustert. Bei Louis Vuitton war sie ein Kontrast zum eleganten Paillettenkleid. Ralph Lauren zeigte einen gepunkteten Entwurf mit Brosche zum Lederjackett, Sportmax kombinierte den Damen-Smoking mit rotem Schlips und roter Bluse.

Die Frauenkrawatte passt genau in unsere Zeit. Nicht nur, weil es einen Wunsch nach Angezogensein gibt nach all den schluffigen Monaten Pandemie, nach einem Dresscode in einer Zeit, in der Dresscodes unwichtig geworden sind. "Die Krawatte bedient eine Sehnsucht nach Form und Eleganz, nachdem viele Frauen und Männer die Home-Office-Phasen in Jogginghosen und Sweatshirts verbracht haben", sagt Gerald Matt. Ein hübscher Schlips wertet nunmal jedes Outfit auf. Die Frauenkrawatte fügt sich auch ein in einen zweiten großen Trend: In der Mode wie in der Gesellschaft werden Geschlechterbilder fluider, Grenzen zwischen Frauen- und Männerkleidung lösen sich auf. "Harry Styles trägt Rüschen, junge Männer tragen Perlenkette und Rock", sagt Diana Weis. Die Frauenkrawatte hat heute nicht mehr das Schockpotenzial von einst, sie ist eher ein ironisches Zitat und trotzdem immer noch ein Feminismus- und Empowerment-Symbol: ein modischer Hinweis darauf, dass die Gleichberechtigung eben noch nicht erreicht ist.

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