Süddeutsche Zeitung

Design in Krankenhäusern:Gesund und bunter

Mitten in der Klinikkrise eröffnet in Thüringen ein Krankenhaus, das aussieht wie ein Wellnesshotel - offen für jeden normalen Kassenpatienten. Für die Kraft der heilenden Architektur.

Von Gerhard Matzig

An der Uniklinik Augsburg sind die Intensivbetten fast belegt, im Klinikum Ingolstadt wurde das reguläre OP-Programm reduziert, und in Bad Aibling musste ein Krankenhaus aufgrund eines massiven Corona-Ausbruchs beim Klinikpersonal abgeriegelt werden. Der Aufnahmestopp gilt auch für Notfälle. Und das sind sozusagen die guten Nachrichten. Die aus Bayern.

In Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen und dem Saarland gilt die Lage bis zur Stunde als dramatischer. Europaweit ist das von Italien, Frankreich und Spanien zu sagen. Ganz zu schweigen von Indien, Brasilien und den USA. Mit einem Mal sind wieder die Erinnerungen aus dem Frühjahr da. Damals wurden Turnhallen zu behelfsmäßigen Krankenhäusern umgebaut. Die Bilder von Feldlazaretten, wie man sie aus Krisengebieten kennt, gingen um die pandemisch heimgesuchte Welt. Auf Krankenhausfluren starben Menschen. Pfleger und Ärztinnen weinten vor den Kameras einer vom Horror verängstigten Welt.

Ob es nun abermals so weit kommt, ist nicht gesagt. Schließlich sind die Krankenhäuser besser auf den Notstand vorbereitet als noch vor einem halben Jahr. Aber auch so wirkt es terminlich zumindest bemerkenswert, dass mitten in der Klinikkrise ein tatsächlich wunderliches Krankenhaus in Thüringen eröffnet.

Fangen wir an bei den Champagnerkühlern. Die gehören zum Patientenrestaurant "Matteo", das einen Michelinstern anstrebt, und dürften sich in etwa dort befinden, wo man in normalen Krankenhäusern normale Bettpfannen oder normale Mullbinden hortet. Das Matteo gehört zu den Waldkliniken Eisenberg. Das ist ein Orthopädiezentrum mit Uni-Anschluss. Normalerweise. Aber die Norm steht hier unbedingt zur Disposition.

Machen wir weiter mir der "limitierten Edition" von ausnehmend formschönen Espressotassen, die der bekannte italienische Architekt und Designer Matteo Thun als Gestalter der Klinik gleich mal mitdesignt hat. Die signierten Tassen sind käuflich zu erwerben in einer Lobby, die eigentlich als Aufenthaltsraum für Besucher und Kranke dient. Was man dem Raum, dezent illuminiert, mit Bar, Bücherregal, Sofa, Sessel und Kamin wohnlich gemacht, nun wirklich nicht ansieht. Der Ende Oktober eher zurückhaltend eröffnete Neubau, der sich einem Entwurf von Matteo Thun in Zusammenarbeit mit dem deutsch-amerikanischen Architektur- und Ingenieurbüro HDR verdankt, hat die Anmutung eines Wellnesshotels. Die Patienten nennt man hier Gäste, fast schon wie auf dem "Zauberberg" des Thomas Mann, wo es Mynheer Pieter Peeperkorn kulinarisch und auch sonst gern krachen lässt.

Letztlich stellt sich die Frage, ob das Kranksein in einem solchen Haus mehr mit Wellness als mit Medizin zu tun hat. Beziehungsweise: Ob das nicht auch die wünschenswerte Zukunft von ansonsten total anämischen Krankenhäusern für postpandemische Zeiten sein könnte. Von Häusern folglich, die einen nicht krank machen, weil sie auch selbst kerngesund aussehen und sogar etwas über Ästhetik wissen. Das Ganze hat einen Namen: Es ist das Phänomen der "Healing Architecture", der "heilenden Architektur".

Der Neubau kostete so viel wie ein normales Krankenhaus

Gemeint ist ein planerischer Ansatz, der die Architektur zum wichtigen Bestandteil des nicht nur physischen, sondern auch raumsuggestiv psychischen Wohlbefindens im Zusammenspiel von Personal, Patienten und Angehörigen macht. Die heilende Architektur bringt Krankenhäuser als Häuser hervor, die Lust auf das Gesundwerden machen. Im aktuellen Krankenhausbau ist die Healing Architecture der Motor der Innovation. Und somit wäre man wieder in Thüringen hinter den sieben Bergen. Eisenberg hat ein paar Tausend Einwohner - und jetzt auch eine Klinik, die zu den modernsten und schönsten Kliniken der Welt zu rechnen ist. Auf das Rechnen kommt man noch zu sprechen. Denn teuer muss weder die Innovation noch die Schönheit sein. Manchmal kann man sie auch bei der AOK abrechnen.

Der insgesamt gut 60 Millionen und in Relation zur Kubatur nur durchschnittlich teure Neubau der Waldkliniken Eisenberg, gelegen etwa auf halbem Weg zwischen Jena und Gera im topografisch sanft modulierten, dicht bewaldeten Saale-Holzland-Kreis, soll, so heißt es selbstbewusst im Städtchen, "als erstes kommunales Krankenhaus die Aufenthaltsqualität eines Sterne-Hotels" bieten. "Für Patienten aller Krankenkassen." Dabei habe der Neubau "nicht mehr als ein herkömmliches Krankenhaus" gekostet.

Vielleicht sollte man gerade dann, wenn sich die Nachrichten novembernieselgrau einfärben und überall von der Klinikkrise zu hören ist, vom Wunder in Thüringen erzählen. Und von einem Pfleger, der auch ein Manager und Unternehmer sein könnte, beziehungsweise vom Unternehmer und Manager, der auch ein Pfleger sein könnte, kurz: vom Geschäftsführer der Waldkliniken, David-Ruben Thies. Er ist so etwas wie der Erfinder des Thüringer Wunders.

Der 52-Jährige, er stammt aus Braunschweig und einem Architektenhaushalt, hat die halbe Welt und dazu noch die Vergangenheit des Krankenhausbaus bereist, um in Thüringen ein Krankenhaus "auf der Höhe der Zeit" zu verwirklichen. Man sitzt dem Mann nun in der Lobby gegenüber. Mit Abstand, klar. Mit Maske, sowieso. Dabei würde man mit Thies eigentlich gern den Kamin anheizen gegen die Herbstdepression. Der Mann hat etwas Lebensbejahendes, was für einen Klinikchef schon mal keine schlechte Voraussetzung sein dürfte.

Als ausgebildeter Pfleger weiß er aber auch, wie Krankenhäuser funktionieren müssen, damit sie den Patienten und dem Personal gleichermaßen dienen. Nur dass solche Häuser in Deutschland seltsamerweise recht selten gebaut werden. Die Baubürokratie findet raumangenehme Kliniken, die nicht wie Kliniken aussehen, suspekt. Und weil die Krankenhausbaubürokratie sogar noch etwas bürokratischer ist, sehen Kliniken fast überall aus wie Gesundheitsfabriken, die einen schon deshalb gesund machen, weil man deren Linoleum- und Resopal-Elend fluchtartig verlassen möchte.

Den Unterschied zwischen Kranksein und Kurzurlaub definiert nicht allein das medizinische Personal; den Unterschied macht auch die Architektur. Und weil der Ex-Pfleger Thies das weiß, hat er Matteo Thun, der noch nie ein Krankenhaus gebaut hatte, mal eben zusammengebracht mit den Leuten von der HDR GmbH. Die sind Spezialisten für Gesundheitsbauten, aber nicht für Hotels. Die seltsame Verbindung hat funktioniert.

Der kreisrund aufragende Bau, eine energieeffiziente Holz-Hybrid-Konstruktion, die sich gut in die Landschaft fügt, nimmt insgesamt 246 Patientenbetten auf. Nur 13 davon sind für Privatpatienten bestimmt, wobei die Architektur einerseits so stylish, andererseits aber auch so wohlüberlegt wirkt, als habe man es mit einer absurd teuren Klinik zu tun. Thies sagt: "Das Haus ist pro Quadratmeter nicht teurer als ein gängiger Krankenhausneubau in gleicher Größe." Die Waldkliniken Eisenberg gehören nicht zu einem Konzern. "Wir sind ein Kreiskrankenhaus." Mit festem Budget.

Das Staunen darüber, was man damit herausholen kann, fängt schon mit der Annäherung an: Man schreitet auf das rundlich freundliche Holzkonstrukt zu, streift eine großzügig dimensionierte und angenehm begrünte Freifläche - und findet sich nicht an einer üblicherweise verwirrenden "Information", sondern an einem Empfang wieder. Man wird nicht nur informiert. Das natürlich auch, wenngleich mit Mitteln digitaler Aufgeschlossenheit. Man wird aber: empfangen. In einem Wohlfühlambiente. Nicht der Weg zur Bettpfanne ist hier zu vermuten, sondern der zum Pool. Ganzheitlich geht es den Planern um ein Zusammenspiel der Sinne. Um Gerüche (abseits von Reinigungsmitteln), um Farben (abseits von Grüngrämlich), um Formen (abseits von Zimmer, Gang, Zimmer) - und beispielsweise auch eher um "Units" statt um Arbeitsplätze. An diesen Units, farbenfroh und bequem wie Sofas, aber auch ergonomisch gestaltet, arbeiten die pflegenden Teams besonders nah an den Gast-Patienten. Sie ziehen sich nicht zurück in ferne Teeküchen, sondern sind sichtbar. Ansprechbar. Für einen da.

Und die Krankenzimmer, pardon, Gästezimmer? Die haben alle einen Ausblick in die Landschaft und sind so gestaltet, wie man sich einen Schlafraum oder auch ein Wohnzimmer auch selbst einrichten würde. Angenehm, freundlich, zugewandt - und funktional dennoch durchdacht bis zum letzten Wo-tu-ich-nur-die-Blumen-hin-Detail. Schon die Badezimmer sehen aus wie einer Wohnzeitschrift entsprungen, dabei sind sie sogar billiger als die "Norm"-Nasszelle üblichen Klinikzuschnitts. Schon deren Name verrät alles: Zelle.

In der Baukultur kennt man diesen Satz: Erst bauen Menschen Häuser, dann bauen Häuser Menschen. Das heißt: Die Räume machen etwas mit den darin lebenden Menschen. Aus der Healing Architecture weiß man, dass Patienten in klug und angenehm gestalteten Räumen schneller gesund werden. Alles gut also? Fast. Weil die vielen Krankenzimmer für Kassenpatienten hier in Eisenberg kaum zu unterscheiden sind von den wenigen Krankenzimmern Privatversicherter und sogar von edlen Selbstzahler-Refugien, machen jetzt die Privatversicherungen beim Zuschuss großen Ärger. Sie finden, dass in Thüringen die Normalpatienten viel zu gut untergebracht sind. Wie krank.

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