Kosmetik:Wenn das Lieblingsprodukt vom Markt verschwindet

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Qual der Wahl: Will man seine Zeit wirklich in Kosmetikabteilungen verschwenden?

(Foto: Stefanie Preuin)

Sehr viele Dinge sind eigentlich zu Ende erfunden: Käsereiben, Fernbedienungen, Kosmetika. Weil wir aber immer mehr kaufen sollen, werden sie nach einiger Zeit vom Markt genommen. Das nervt.

Von Susan Vahabzadeh

Nichts hat in dieser Welt Bestand, und die kürzeste Lebensdauer haben Lippenstifte in der Lieblingsfarbe, Make-up-Sorten und die einzige Haarkur überhaupt, die für einen selbst wirklich funktioniert. In Sachen Kosmetik steht eigentlich alles, von ein paar klassischen Düften einmal abgesehen, permanent auf dem Prüfstand. Das bedeutet in der Praxis, dass es eigentlich komplett egal ist, welchen Lippenstift man besonders gerne mag, in welcher Farbnuance er einem perfekt steht. Vom Markt genommen wird er sowieso.

Schon klar, permanente Erneuerung ist ein Grundpfeiler der Marktwirtschaft. Schwierig wird es aber, wenn andauernd Dinge aus den Läden verschwinden, die keiner Verbesserung bedurften. Wer im Ernst behauptet, die chemieschwangeren Gaswolken, die einem heutzutage in den Abteilungen für Herrenparfums entgegenschlagen, hätten irgendwelche Vorteile gegenüber jenen Guerlain-Düften, die vor einem halben Jahrhundert mal en vogue waren und heute nur noch schwer zu finden sind, der ist nahezu geruchsblind.

Nichts ist frustrierender als Probleme, die eigentlich schon mal vom Tisch waren

Die einzige Methode, sich vor dem Tag X zu schützen, an dem das Lieblingsprodukt durch eine Verschlimmbesserung ersetzt wird, ist der zur rechten Zeit getätigte Hamsterkauf. Bei meinem Lieblingspuder, dem in der perfekten Farbe, die sich angeblich dem Gesichtston sogar noch ein wenig anpasste, habe ich den richtigen Moment verpasst: Eines Tages war er nur noch in zwei statt in vier Schattierungen erhältlich. Die Farben heißen jetzt anders, vor allem aber sind es jetzt wie gesagt nur noch zwei statt vier, was die lächelnde Verkäuferin mit der Behauptung begründet, der Puder sei jetzt noch anpassungsfähiger an den natürlichen Hautton.

Es ist klar, dass das gelogen ist. Wäre an der Zusammensetzung dieses Puders auch nur ein Mikrogramm verändert worden, hätte die Dose einen neonfarbenen Aufkleber, auf dem "Neue Zauberformel" steht, oder so was in der Art. Dieser Puder, der Selbstversuch mit dem angeblich verbesserten Produkt hat es bestätigt, ist jetzt unbrauchbar. Jedenfalls für mich. Mutmaßlich wollte man im Regal Platz schaffen für ein paar ganz neue, bahnbrechende Produkte, die jetzt auch noch da reinpassen müssen. Vielleicht ein Nagellack mit Geschmack - ja, den gibt es wirklich, mit Prosecco-Aroma. Der alte Puder war prima. Und jetzt muss ich zwanzig Sorten durchprobieren, bis wieder einer passt. Da freut sich die Kosmetikindustrie.

Nichts ist frustrierender als Probleme, die eigentlich schon mal vom Tisch waren. Das ist reine Zeitverschwendung nicht nur für den Kunden, auch für die gesamte Belegschaft der Forschungsabteilung, die so lange getüftelt hat, bis eine tolle Erfindung über ihren Höhepunkt hinaus war.

Sehr viele Dinge sind heute ja eigentlich zu Ende erfunden; weil wir aber neue kaufen sollen, werden sie bis zur Funktionsuntüchtigkeit weiterentwickelt. Das fängt bei der Käsereibe an, die die Italiener schon vor vielen Jahrzehnten perfektioniert hatten - diese wunderbaren, komplett aus Metall gefertigten Kurbel-Reiben sind inzwischen kaum mehr aufzutreiben, weil sie durch unhandliche Design-Monster mit möglichst vielen Kunststoffteilen ersetzt wurden. Sie reiben den Käse so schlecht, dass es immerhin nicht so richtig schade ist, dass sie dauernd kaputt gehen.

Die Wimperntusche war vor einem Jahrzehnt schon zu Ende erfunden

Die Fernbedienung von Apple-TV war auch mal formschön und praktisch, wie ein kleiner iPod mit einem Ring, mit dem man nach oben und unten steuerte. Auf der neuen muss man herumwischen, was im ersten Moment ähnlich faszinierend klingt wie kabellose Kopfhörer, in der Praxis aber bedeutet, dass der Cursor permanent ungebremst über den Bildschirm hüpft. Die Benutzerfreundlichkeit für alle über 35 ist damit ganz bestimmt nicht gesteigert worden, aber wen kümmert schon die größte und einzige wachsende Bevölkerungsgruppe?

Heute Innovation, bald schon Geschichte

Der Kosmetikmarkt in Deutschland hat ein Umsatzvolumen von mehr als 15 Milliarden Euro jährlich - es liegt also nahe, dass dieser Markt umkämpft ist. Rund 3,5 Prozent ihres Umsatzes investieren die Kosmetik-Unternehmen in Forschung. Die Verkaufsflächen werden aber schon lange nicht mehr größer, also müssen eingeführte Produkte oft weichen, damit die Neuerungen Platz finden. Es landen jedenfalls im Drogerie-Einzelhandel mehr Innovationen in den Regalen als in den meisten anderen Branchen - im der gesamten Europäischen Union sollen es etwa 5000 neue Produkte im Jahr sein, von der Faltencreme bis zum Gel-Nagellack für den Hausgebrauch. Mit komplett erfundenen Wirksamkeiten darf in der Europäischen Union nicht geworben werden. Die in der Verordnung geforderte Belegbarkeit von Werbeaussagen ist aber wohl ein dehnbarer Begriff, die Kundschaft ist nicht immer überzeugt.

Ein Dauerbrenner im Drogeriemarkt wird nur wenig von dem, was neu hinzukommt. Auf den gesamten Einzelhandel bezogen, verschwinden fast zwei Drittel der neuen Produkte innerhalb von zwei Jahren wieder vom Markt. Bei Kosmetik ist der Verdrängungswettbewerb der Gesellschaft für Konsumforschung zufolge ganz besonders krass: Dort sind 70 Prozent aller Neuentwicklungen nach zwei Jahren schon wieder Geschichte. Das ist ganz und gar nicht im Sinne aller Konsumenten: Einer Umfrage des Werbeforschungsinstituts GiK von 2015 zufolge liegt der Anteil der Kunden, die das gut finden, in der Altersgruppe von 20 bis 49 Jahren nur bei etwa zehn Prozent, mehr als ein Drittel ist gegenüber Neuerungen überhaupt nicht aufgeschlossen - und der Rest hat wahrscheinlich einfach gelernt, damit zu leben. Susan Vahabzadeh

Nirgendwo aber ist der neuerungslose Neuerungswahn so weit fortgeschritten wie in der Kosmetikindustrie. Vielleicht steckt ja eine fiese Verschwörung der Lippenstiftmafia dahinter, die durch ständige, komplett erratische Umstellung ihres Sortiments die geltende Ordnung stabil hält: Verplemperten Frauen nicht so viel Zeit mit dem Ersetzen unersetzlicher Lippenstifte, hätten sie die Weltherrschaft längst an sich gerissen.

Alle zwei Jahre erfindet jemand den Lippenstift, der 24 Stunden hält, und jedes Mal ist der Nachteil, dass die Haut nach dem Auftragen leider auch nur noch 24 Stunden hält, so trocken wird sie. Die Wimperntusche wiederum war vor einem Jahrzehnt schon zu Ende erfunden: für mehr Dichte, für mehr Länge oder mit Fasern. Trotzdem verschwinden die meisten Produkte nach kurzer Zeit aus dem Sortiment und werden ersetzt durch, na ja: etwas sehr Ähnliches in neuer Verpackung. Es gibt auch so viele Lippenstifte von so vielen unterschiedlichen Firmen, dass man früher oder später die Lieblingsfarbe wiederfindet. Es kostet nur so furchtbar viel Zeit.

Manchmal, zugegeben, ändert sich in dieser Zeit auch der Geschmack. Neulich habe ich in einem Kästchen im Kühlschrank zwei Reserve-Lippenstifte einer ehemaligen Lieblingsfarbe gefunden, die ewig dort geschlummert hatten. So lange, dass ich ganz vergessen hatte, dass ich Rosa mal schön fand.

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