Süddeutsche Zeitung

Kosmetik:Schönheit zum Schlucken

Masken und Cremes waren gestern, die neue Kosmetik soll von innen wirken. Über einen Trend irgendwo zwischen Essen und Medizin.

Von Tania Messner

Schönheit kommt von innen? Das ist eine der ältesten Lügen von Großmüttern. Schließlich hat Schönheit vor allem mit Äußerlichkeiten zu tun. Mit schöner Haut, kräftigem Haar und einem frischen Strahlen im Gesicht. Nun boomt seit einigen Jahren ein Bereich der Schönheitsindustrie, der die Grenzen zwischen Außen und Innen verwischt: Es werden nicht mehr nur Lebensmittel wie Spinat (Vitamin A) oder Walnüsse (Pantothensäure) wegen ihrer Inhaltsstoffe als Beautyfood angepriesen; die Stoffe, die angeblich Haut und Haar zu neuer Blüte verhelfen, gibt es auch in konzentrierter Form in der Beauty-Abteilung, als Pillen oder Pulver.

Die Regale der Apotheken und Conceptstores, der Edel-Beauty-Läden und Pop-up-Stores - vor allem aber die Angebote der Onlineversender füllen sich immer rasanter mit immer neuen "Nutricosmetics". So lautet der Terminus technicus für Nahrungsergänzungsmittel, die schöner machen sollen. Drinks und Pillen, Pülverchen und Kapseln, die - irgendwo zwischen Essen und Medikament angesiedelt - angeblich das Bindegewebe stärken, Falten glätten und sogar das Gewicht reduzieren. Essen um abzunehmen - ist das nicht wie ein Versprechen aus der Zukunft? Klingt da nicht das Wunder von Astronauten-Nahrung und der Zauberbohne aus "Hans im Glück" durch?

Das Geschäft hat sich in den vergangenen drei bis fünf Jahren von Bio-Märkten und Drogerien in Prestige-Läden verschoben. Das Design der Verpackungen wurde für Postings auf Instagram optimiert, die Produkte tragen verheißungsvolle Namen wie "Beauty Dust", "Skin Food", "Glow Inner Beauty Powder" oder "Coco Beauty Sparkle". In der Wellness-Sparte des Edel-Online-Portals Net-a-porter, die unter der Rubrik Beauty gelistet ist, findet man nicht weniger als 54 Produkte, die Schönheit zum Schlucken versprechen. Laut Karen Grant, der Beauty-Analystin des US-Marktforschungsinstituts NPD, hat sich das Angebot binnen zwei Jahren verdoppelt. Weltweit wird mit Beauty-Supplements ein Umsatz von 133 Milliarden US-Dollar gemacht.

Wer sich ein paar der populären Produkte bestellt, packt beispielsweise die kleinen Plastik-Phiolen "N'you Collagen Refresher" der Münchner Firma Beauty Lumis aus, deren Inhalt nach Cranberry schmeckt und an den Chemie-Unterricht erinnert (79 Euro für eine Kur mit 30 Ampullen). Die transparenten Kapseln "Oyster Hyaluron" von Hech Cosmetics (43 Euro), die ein beiges Pulver enthalten, das nach Nichts schmeckt. Oder eine schicke braune Apothekerflasche von Sepai, aus der man das Pulver "V8.2 Detox Antioxidant & Depurative Drink" (87 Euro) schütten kann, das in Wasser aufgelöst beerig-süß wird. Beim Geschmack sind auch Überraschungen drin: Das "Coco Beauty Sparkle"-Pulver von Ylumi (25 Euro) etwa, von dem man einen exotischen Kokos-Geschmack erwartet, erinnert an Ayurveda-Tee. All diese Produkte sind kostspielig. Richtig gut schmeckt keines von ihnen.

Gut schmecken sollen die Nutricosmetics allerdings auch nicht. Schließlich geht es hier nicht um Genuss, es geht um Arbeit am Ich. Die Produkte werden zwar mit der Nahrung aufgenommen, wollen ihre gefühlte Nähe zu den Cremetiegeln und Serumfläschchen im Badezimmer aber nicht verleugnen. Das US-Online-Magazin Business of Fashion, ein Fach-Organ für Markt-Trends und Analysen der Mode- und Beauty-Branche, beschreibt die Zielgruppe für die Nahrungsmittelkosmetik folgendermaßen: "Konsumenten, die mit Saft detoxen, Kokosnusswasser trinken, Meditations-Apps verwenden, schicke Sportkleidung (Athleisure) tragen, Yoga-, Spinning-, Box- oder Pilates-Stunden nehmen." Solche Menschen zeigen üblicherweise Leidensfähigkeit und Ausdauer, wenn es darum geht, ihre Fitness, ihre Gesundheit und ihr Aussehen zu verbessern. Es ist nicht so, dass man denen alles andrehen kann - aber doch sehr viel.

Aus medizinischer Sicht ist der Nutzen der Beauty-Drinks und -Pulver jedenfalls mindestens umstritten. Erstens unterliegen die Hersteller keinerlei Regulierung. Woher die Inhaltsstoffe kommen, wie hoch ihre Konzentration genau ist und ob es Wechselwirkungen untereinander oder mit Medikamenten gibt - nichts davon ist geklärt. Es findet keine Kontrolle statt, da Beauty-Supplements keine Medikamente, sondern nur Nahrungsergänzungsmittel sind. Jede Körpercreme, die auf die Haut kommt, wird stärker geprüft.

Gegen die Inhaltsstoffe selbst ist auf den ersten Blick nichts einzuwenden. Die Produkte bestehen in der Regel aus Kollagen und Hyaluronsäure, wahlweise mit Biotin, Zink sowie verschiedenen Vitaminen und Anti-Oxidantien angereichert. Doch selbst so etwas Gesundheitsförderndes wie Vitamine ist nicht für jeden und in jeder Menge gesund: Legendär ist die Erkenntnis, dass Vitamin-E-Pillen Raucher nicht vor Tumoren schützen, sondern deren Lungenkrebsrisiko sogar erhöhen.

Die Ernährungswissenschaftlerin Daniela Graf vom Max-Rubner-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, warnt daher davor, unbedacht Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen - gleich ob gesunde Ernährung oder eine schöne Haut das Ziel ist: "Ein Zuviel der Inhaltsstoffe kann zu negativen Wirkungen führen, insbesondere dann, wenn gleichzeitig Medikamente eingenommen werden", warnt sie. Graf hält ohnehin nichts davon, frische Lebensmittel durch Pulver und Kapseln zu ersetzen. "Viele belegte Wirkungen von Obst und Gemüse lassen sich nicht auf einzelne Substanzen zurückführen. Schon gar nicht auf die enthaltenen Vitamine oder Mineralstoffe", betont sie. Ohnehin sei die deutsche Bevölkerung, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sehr gut mit Vitaminen versorgt.

Studien zur Wirksamkeit sind selten wissenschaftlich fundiert

Fragwürdig ist auch der Nutzen des Kollagens, von dem sich viele Verheißung verhoffen. Dabei klingt gerade dessen Zufuhr durch Pillen überzeugend. Schließlich handelt es sich bei Kollagen um eine körpereigene Substanz, die in der Haut für Straffheit sorgt und an der es im Alter mangelt. Schon ab dem 20. Lebensjahr vermindert sich die Produktion im Körper zunehmend, pro Jahr verliert der Mensch dann etwa 1,5 Prozent Kollagen - was in der Folge zu schlafferer Haut, schwächerem Bindegewebe und Falten führt. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass Kollagen, das mit der Nahrung aufgenommen wird, die Passage durch den Magen unbeschadet übersteht und am Ende sogar noch in den Hautzellen ankommt. Auf den Verpackungen der Produkte wird zwar gerne auf wissenschaftliche Studien verwiesen, doch die sind von den Firmen selbst in Auftrag gegeben worden, werden an zu kleinen Gruppen durchgeführt oder die Aufgabenstellung dient dem gewünschten Ergebnis. Aufschriften wie "Eine regelmäßige Einnahme reduziert nachweislich die Faltentiefe", unter Verweis auf Studien, ist also so belastbar wie eine Preisangabe auf dem Basar von Marrakesch.

Wenn man die Produkte allerdings eine Weile lang einnimmt, stellt sich schnell ein anderer Effekt ein: Man hat ein schlechtes Gewissen, sie wieder wegzulassen. So wie man Kinder zum Geigenunterricht schickt, um ja keine Chance zur Selbsterfüllung ungenutzt zu lassen. Es geht, wie häufig bei Fragen der Schönheit, nämlich darum, wie man sich mit einem Produkt fühlt. Placebo hat schließlich auch nachweisbare Effekte. So bildet man sich nach ein paar Wochen oft doch ein, dass die Haut ein gesünderes Strahlen zeigt. Dass die Haare kräftiger sind und die Nägel fester.

In den USA gibt es bereits Bier, Gummibärchen und Nescafé mit Kollagen und Hyaluronsäure. Die Nahrungsergänzungsmittel verlassen ihre semiwissenschaftliche Nische und erobern den breiten Markt. Im Selbstverständnis der Konsumenten verschmelzen die Bereiche Gesundheit und Schönheit zusehends. Das kann man auch daran ablesen, dass die Umsätze der plastischen Chirurgie nur langsam steigen, während für Sonnencreme mit hohem Schutzfaktor, milde Reinigungsprodukte und Masken immer mehr Geld ausgegeben wird.

Schönheit zum Essen ist dabei eigentlich keine Neuigkeit: Kieselerde und Biotin wurden auch vor 20 Jahren schon eingenommen. Allerdings kauften vor allem Menschen die Mittel im Reformhaus, die 50 Jahre und älter waren und denen der Arzt geraten hatte, ihre einseitige Ernährung aufzupeppen. Neu ist, dass die sogenannten Millennials zu den teuren Pillen und Pulvern greifen, also Menschen, die sich eigentlich erst in zehn oder 20 Jahren Sorgen um ihr jugendliches Aussehen machen sollten. Wie alle Trends, kann auch dieser irgendwann vorübergehen, doch das derzeitige Schönheitsideal verlangt eben, nicht dekorativ hübsch auszusehen, sondern gesund. So gesehen kommt Schönheit neuerdings tatsächlich von innen.

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SZ vom 22.07.2017/lgu
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