Kosmetik:"Eine Frau mit unlackierten Nägeln ist nicht vollständig angezogen"

Red Nails

Nagellack gibt es in hunderten Nuancen, mal matt, mal mit Glitzer oder mit Perlmuttoptik - der Klassiker in rot ist unter den Frauen beliebt wie eh und je.

(Foto: Corey Olsen/Vault Archives/laif)

Nur Prostituierte und Künstler lackierten sich früher die Nägel. Das hat sich geändert: Nagellack ist für Luxusmarken Umsatzbringer Nummer eins.

Von Tania Messner

Für viele Frauen ist Nagellack so etwas wie Glück in Flaschen. Er kostet wenig, wertet auch die langweiligste Garderobe auf und schmückt jede, die ihn trägt - egal ob sie gerade zu- oder abgenommen hat oder wie alt sie ist. Wer ein Kosmetikgeschäft betritt, stellt schnell fest, dass Nagellack zu den beliebtesten Produkten zählt. Tausende Nuancen in kleinen Fläschchen mit verführerisch klingenden Namen füllen verwirrend viele Regale. Dazu kommen die technischen Feinheiten der Lacke, die längst eine Wissenschaft für sich sind: schnell trocknend, abziehbar, mit Duft - und Preise, die zwischen drei und 30 Euro rangieren, völlig unabhängig von der Qualität.

Die Welt des Nagellacks ist schillernd, komplex - und das Geschäft mit den Fläschchen läuft so gut wie nie zuvor: Die Zahl der Frauen in Deutschland, die sich täglich die Nägel lackieren, ist laut einer Studie des VKE-Kosmetikverbands in den vergangenen drei Jahren von drei auf sieben Prozent gestiegen. Während die Zahl derer, die keinen Nagellack nutzen, stetig sinkt. 24 Prozent lackieren mindestens einmal die Woche, 47 Prozent gelegentlich und nur 22 Prozent der Frauen verzichten ganz darauf. Die Hersteller erzielten mit den Farbtönen 2015 allein in den USA Umsätze von über 895 Millionen Dollar.

Der verruchte Ruf des Nagellacks

Dabei begann die Erfolgsgeschichte Ende der 20er-Jahre holprig. Während Wimperntusche und Lippenstift längst salonfähig waren, trauten sich viele Frauen nicht so recht an die kleinen Fläschchen, die als verrucht galten. Nur Varietékünstlerinnen, Schauspielerinnen und Prostituierte griffen zu. Und Erich Kästner erregte sich noch 1936 in seiner "lyrischen Hausapotheke" über die "krankhafte" Modeerscheinung des Lackierens: "Ist es nicht pfui, teuflisch anzusehen?"

Ein anderer Mann, Charles Revson, Gründer der Kosmetikfirma Revlon, gilt als Erfinder des Nagellacks, wie wir ihn heute kennen. Angefangen hatte der gut aussehende New Yorker aus kleinen Verhältnissen als Kosmetikvertreter, der von Tür zu Tür zog. Der spätere Multimillionär, der wegen seiner notorisch schlechten Manieren von seinen damaligen Konkurrentinnen nur "der Nagelmensch" (Helena Rubinstein) oder "dieser Mann" (Elizabeth Arden) genannt wurde, war vor allem ein Marketingprofi. Bald änderte er den Namen seiner Firma zu Revlon, weil sich das leichter aussprechen ließ. Im Jahr 1932 definierte er, was die Magie des Nagellacks seither ausmacht: "In der Fabrik produzieren wir Kosmetik, im Laden verkaufen wir Träume."

Ursprünglich ein Nebenprodukt der Autoindustrie

Revson erkannte das Potenzial des Nagellacks, anfangs ein Nebenprodukt der aufstrebenden Automobilindustrie, die extravagante Lackierungen für ihre neuen Modelle produzierte. Zwar färbte sich schon Cleopatra die Nägel mit Henna oder trug Porzellannägel - doch Revson verbesserte die Pigmente und Deckkraft der ersten Lacke und sorgte dafür, dass sie sich streifenfrei auftragen ließen und schneller trockneten. Farben probierte er bis ins hohe Alter an sich selber aus, gerne "matching lips and fingertips" - der gleiche Ton auf Lippen und Nägeln.

Vor allem aber verpasste Revson seinen Lacken schon damals ein attraktives Image, indem er nicht nur eine große Farbpalette anbot, sondern den Nuancen verheißungsvolle Namen gab. Ein sattes Rot hieß "Cherries in the Snow", ein Rosa "Stormy Pink", ein elegantes Braunrot nannte er "Fifth Avenue" - die Begriffe sollten eine Stimmung hervorrufen oder einen Sehnsuchtsort im Kopf der Käuferinnen erscheinen lassen. Der Erfolg war durchschlagend, und es ist kaum zu verstehen, warum die meisten Firmen ihre Fläschchen noch Jahrzehnte später lieber einfach durchnummerierten.

Erst die Amerikanerin Essie Weingarten, die 1981 in Las Vegas die Nagellackmarke Essie gründete, belebte diese Tradition wieder. Sie hatte dank einer cleveren Marketingidee schnell Erfolg: Weingarten verteilte ihre Proben an die Croupiers und Kosmetikerinnen der Glücksspielmetropole. Die Essie-Namen lesen sich wie Poesie auf kleinstem Platz: "Bikini so teeny" (Babyblau), "Size Matters" (Fuchsia), "Topless and Barefoot" (Nude) oder "Not Just a Pretty Face" (Rosarot). Sie evozieren im Vorbeigehen den Traum von einem anderen, schöneren Ich, ganz ohne neuen Haarschnitt oder Designerkleid. Weingarten war so erfolgreich, dass sie Essie 2010 an den Branchenriesen L'Oréal verkaufen konnte und reich wurde. Kein Wunder, dass von ihr der Spruch stammt: "Eine Frau mit unlackierten Nägeln ist nicht vollständig angezogen."

Die Luxusmarken profitieren: Für Nagellack haben Frauen Geld übrig

Heute geben fast alle Lackhersteller ihren Produkten Namen, die wie Haikus klingen. Beispielsweise Deborah Lippmann: "Shattered Souls" (blau-grüne Pailletten). Oder O. P. I: "Nein! Nein! Nein! O. k., fine" (Anthrazitgrau) und "Eat mainly Lobster" (Orangerot). Doch natürlich funktionieren die originellen Bezeichnungen nur, wenn das Produkt stimmt. Deshalb werden die Farben immer weiterentwickelt. Mittlerweile gibt es Überlacke, Unterlacke und Peel-off-Nagellacke, die zwei Wochen halten und dann einfach abgezogen werden. Vegane Nagellacke kommen ohne Konservierungsstoffe und Weichmacher aus. Für sensible Nasen hat Guerlain die Linie "La petite robe noire" entwickelt, die statt nach Lack nach dem gleichnamigen Parfum duftet. Und für Frauen mit zwei linken Händen existieren Farben mit extrabreitem Pinsel für leichteres Auftragen.

Wer anfängt, das gewaltige Angebot zu nutzen, gewinnt schnell ein aufwendiges Hobby. Grundieren, trocknen lassen, mehrere Schichten auftragen, dazwischen immer wieder trocknen lassen: Bis Nägel perfekt lackiert sind, können Stunden vergehen. Und wenn der Lack dann am Ende doch verschmiert, ist die ganze Arbeit umsonst gewesen.

Dass beim Nagellack mehr als nur Glanz und Pigmente im Spiel sind, erklärt die vielen Regalmeter in den Kosmetikabteilungen, auf denen sich die Fläschchen jede Saison wie bunte Zinnsoldaten neu aneinanderreihen - in allen Farben, mal mit grobkörnigem Glitzer, mal matt, mal mit 3-D- oder Perlmutteffekt.

Nagellacktrends werden von Kunst, Streetstyle und Film inspiriert

Trotzdem stechen immer wieder einzelne Lacke aus dem Angebot heraus. Die Kosmetikkonzerne beschäftigen hochbezahlte Trendforscher, die nichts anderes tun, als sich auf der ganzen Welt von Kunst, Streetstyle und Film inspirieren zu lassen, Kataloge von Auto- wie von Mode-Designern studieren und daraus ihre Prognosen ableiten. Ein besonderes Gespür bewies dabei Peter Philips, damals Kreativ-Direktor der Luxusmarke Chanel, der 2008 mit der schlammgrauen Nuance "Particulière" und dem mintgrünen "Jade" gleich zwei Lacke auf den Markt brachte, die den Zeitgeist trafen. Beide waren innerhalb kürzester Zeit ausverkauft und erzielten im Internet rasch Preise von mehreren Hundert Euro. Sie brachten damit das Konzept des ganz speziellen It-Produkts von der Mode in die Beautybranche.

Dabei sagen Preis und Marke des Lacks nicht zwangsläufig etwas über seine Qualität aus, selbst Profis können teure nicht von günstigen Produkten unterscheiden. Wie bei der Mode geht es auch hier ums Image. Aber im Gegensatz zum Couture-Kleid muss man selbst für einen teuren Nagellack nicht gleich einen Kleinkredit aufnehmen. Der Vorteil für die Konzerne: Auch in Zeiten der Rezession haben Frauen immer noch Geld für Nagellack übrig. Davon profitieren Unternehmen wie Chanel, Dior oder Yves Saint Laurent, deren Umsatz so auch dann stabil bleibt, wenn bei den edleren Produkten gespart wird. Neben Sonnenbrillen, Parfums und Lippenstiften gehören Nagellacke zu den größten Profitbringern der Luxusmarken.

Dauerhaft angesagt sind die Farben rot und rosa

Doch so riesig das Angebot im Kosmetikgeschäft auch ist, bei den wichtigsten Farben sind sich die Frauen über die Jahrzehnte treu geblieben: Die beliebtesten Nagellacke sind nach wie vor rot und rosa. Manchmal regt ein ausgefallener Farbton oder ein Haiku die Fantasie zwar kurz an, am Ende stellt man nach etwas Träumen aber doch fest: Die richtige Geschichte für sich hat man längst gefunden.

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