Süddeutsche Zeitung

Kolumne: Ladies & Gentlemen:Mode-ABC

Mode trägt schon immer gerne Botschaften - und weil in den USA bald Wahlen anstehen, werden derzeit viele Buchstaben verarbeitet.

Von Julia Werner und Max Scharnigg

Für sie: Tritt in den Hintern

Wie kriegt man Leute, für die das nicht ohnehin zum Leben dazugehört, dazu, ihre Stimme bei einer Wahl abzugeben? Modefirmen denken da wie immer recht hemdsärmelig: natürlich indem man den Imperativ auf ein Produkt druckt! Es gibt zurzeit sehr viele Ohrringe, Ketten, Pullis und Taschen mit der Aufschrift oder in der Form des Wortes VOTE. Das liegt daran, dass in den USA bald Präsidentschaftswahlen sind, und Modemenschen eher nicht zu Trump tendieren. Und so liegt die Hoffnung auf all jenen, die die Hoffnung bereits aufgegeben haben, also den Nichtwählern. Diese bis übers Knie reichenden Stretchstiefel von Stuart Weitzman sind aufgemotzte Klassiker, sie heißen 5050 und verkaufen sich seit Jahren wie geschnitten Brot (der Erlös der Sonderedition wird vollständig gespendet). Ganz sicher mobilisieren sie die Trägerin, denn mit solchen dicken Gummisohlen kann man auch zu einem weit entfernten Wahllokal laufen, obwohl sie das wahrscheinlich gar nicht muss. So gesehen sind Worte, am Körper getragen, abgesehen von Solidaritätsbekundungen, natürlich völlig sinnlos. Sie konstatieren ja nur das, was die Trägerin und die sie meistens umgebenden Gleichgesinnten sowieso schon gutheißen. Statement-Mode ist so was wie der Kaffeebecher, auf dem "Coffee" steht: überflüssig. Wenn Jill Biden, die Ehefrau des demokratischen Präsidentschaftskandidaten, die Stiefel bei einer Vorwahl in Delaware trägt, ist das die eine große Ausnahme: Vielleicht findet der ein oder andere Hoffnungslose vorm Fernseher den Profilsohlentritt in den Hintern dann doch motivierend.

Für ihn: Twitter auf Kaschmir

Das kleine Label Lingua Franca wird in New York von einem reinen Frauenteam betrieben, das seit ein paar Jahren ein ganz simples Konzept verfolgt: Hochwertige Kaschmirpullover werden per Hand mit aktuellen Botschaften bestickt. Der erste Bestseller der Marke war kurz nach der letzten US-Wahl ein Pullover, auf dem quer über die Brust in lieblicher Schnörkelschrift "I miss Barack" geschrieben war. Via Instagram und diverse Promi-Brustbeine wurde der Parolen-Kaschmir fast über Nacht zum Pflichtaccessoire für aufrechte Ostküsten-Menschen. Die Marke reagierte auf die Nachfrage und stellte noch mehr Frauen ein, die jetzt mitten in New York wöchentlich neue Slogans sticken, zum Beispiel aktuell mit dem hübschen Wortwitz "Byedon!". Jane Fonda, das Flaggschiff der US-Protestbewegung, trug einen Pullover, der für Klimaproteste warb, Cindy Crawford einen, auf dem "Educate Girls, Change The World!" stand. Es ist eigentlich Textiltwitter, was da spazieren getragen wird, und gleichzeitig bereiten die Pullover das alte Protestshirt für die stilbewusste Upperclass auf - denn günstig sind sie natürlich nicht. Die "Vote!"-Edition weicht ein wenig vom bisherigen Stil der Marke ab und ist vergleichsweise dezent gestaltet, aber auch in Männergrößen erhältlich. Gut so, Crewnecks in Navy sind ja sozusagen der Kammerton der Herrenmode im Winter, man kann nicht genug davon haben. Und "Vote!" ist im Vergleich zu manch anderen Parolen aus der Bleecker Street von zeitloser Aktualität.

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