Körperkult Beachbody:Fit und fertig

Fit und fertig für den Beachbody

Strandfigur im Handumdrehen: 1. Einen Körper haben. 2. Ab an den Strand damit.

Illustration: Anna N Kjellgren

Urlaubsreif - das bedeutete früher: blass, unfit und überarbeitet zu sein. Heute bedeutet es, durchtrainiert, enthaart und vorgebräunt in die Ferien zu fahren. Muss das sein?

Von Mareen Linnartz

Dieser Sommer ging los, da war es noch Winter. Draußen lag noch der letzte Schnee, schon wurde landauf, landab, gestählt, gestemmt, geächzt für ein fernes Ziel. "Schockiere deinen Körper mit Belastungen, die er bisher noch nicht kannte. Entwickle innere Kraft und Willen. Unabhängig von deinem jetzigen Skill-Level kannst du 1000 Kalorien in einer Stunde verbrennen!", peitschte ein Berliner Fitnessstudio seine Mitglieder für den Kurs "Active Boot Camp - und die Strandfigur ist dir sicher!" ein.

"Beach-Body-Workout für Sie und Ihn" lautete das Angebot der VHS Aichach, der VfL Tremsbüttel hob schlicht "Strandfigur - Beachbody" in sein Programm, dienstags von 20 bis 21 Uhr in der Mehrzweckhalle. Draußen Matschwetter und Minusgrade, drinnen stickige Heizungsluft und wild pumpende, maximal Kalorien verbrennende Sachbearbeiter, Studenten, Lehrer, Anwälte.

Zu dick, zu klein, zu blass, zu schwabbelig

Offenbar gibt es eine sehr klare Vorstellung davon, wer am Strand, im Freibad, am Baggersee eine gute Figur macht - und wer eher nicht. In diesem engen Raster ist jeder sehr leicht zu dick, zu klein, zu blass, zu breitkreuzig, zu flachbrüstig, zu schwabbelig. In diesem engen Raster haben sehr viele das Gefühl, gegen ihre vermeintlichen Unzulänglichkeiten angehen zu müssen.

9,1 Millionen Deutsche stemmen in Fitnessstudios Gewichte oder belegen "Bodystyling"-Kurse - so viele wie in keinem anderen Land in Europa. Seit 1999 hat sich der Umsatz der Branche verdoppelt. Über 500 000 Nutzer haben sich die von Studenten entwickelte App "Freeletics" heruntergeladen, die mit abenteuerlichen Trainingsplänen und dem Slogan "No Excuses" Hobby-Sportler zum Äußersten treibt.

Mehr Muskeln, dafür weniger Fett, dazu gehört natürlich die entsprechende "Ernährungsumstellung" - die "Schoko"-Diät oder die "Glyx"-Diät. Für ein Viertel der deutschen Frauen sind Hungerkuren fester Bestandteil ihres Lebens: Sie machen gerade eine, haben schon mehrere Anläufe hinter sich oder sind überhaupt dauerhaft damit beschäftigt, Kalorien zu zählen und sich das Dessert zu verkneifen.

Selbst schlanke Frauen glauben, drei Kilo zu viel mit sich herumzuschleppen

In dieser Logik, und das hat sich geändert, ist eine optimale Bikini-Figur nicht mehr die schönste Version des eigenen Körpers, sondern eine realitätsferne Version eines standardisierten Körpers. Normal soll heute sein, was objektiv einfach nicht normal ist - die deutsche Durchschnittsfrau ist 1,65 Meter groß, wiegt 67,5 Kilo, trägt Kleidergröße 44 und macht am Strand nicht die geforderte Figur. Und so kommt es, dass zwar 75 Prozent aller Jugendlichen normalgewichtig sind (also die große Mehrheit!) - aber sich nur 40 Prozent für "genau richtig" halten.

Und so kommt es, dass selbst schlanke Frauen dauerhaft glauben, drei Kilo zu viel mit sich herumzuschleppen und völlig normal gewichtige Männer der Ansicht sind, ihr Körper benötige mehr Kontur. "Bis zum Urlaub möchte ich unter 60 Kilo kommen!", seufzte neulich eine Freundin, die 1,74 Meter groß ist und damit laut BMI (Body-Mass-Index)-Tabelle an der Grenze zum Untergewicht wäre. So, als müsse sie sich noch einmal quälen, um sich wirklich erholen zu dürfen.

Unterschwellige Botschaft: Es gibt den einen, perfekten Beachbody

Man kann jetzt natürlich einwenden: Jeder soll es doch so halten, wie er mag. Wer in einem "Boot-Camp" seinen Körper "schockieren" will, kann das gerne machen. Manche Leute halten sich ja auch Leguane zu Hause und manche ernähren sich nur von heruntergefallenen reifen Früchten. Grundsätzlich ist auch nichts, wirklich gar nichts, dagegen einzuwenden, seinen Körper zu pflegen, damit er beweglich bleibt und stark.

Viel einzuwenden ist allerdings gegen die unterschwelligen Botschaften, die mit dem aktuellen Körperkult einhergehen: Es gibt den einen, perfekten Beachbody. Und wer ihn hat, der zeigt damit jedem: Ich lasse mich nicht gehen, ich arbeite an mir, um unter den Dicken, Blassen, Schwachen und Exzessiven als aktiver und jederzeit einsatzfähiger Leistungsträger der Gesellschaft herauszustechen. In dieser Betrachtung ist der Körper eine Visitenkarte, eine Frage des Status und der Abgrenzung.

Im Frühjahr machte der Fall einer leicht übergewichtigen Bewerberin die Runde, die von der Deutschen Gesellschaft für Borreliose mit den Worten abgelehnt wurde, sie "wäre im jetzigen Zustand natürlich kein vorzeigbares Beispiel". In ihrem Buch "The Body of Truth" beschreibt die Amerikanerin Harriet Brown diese unterschwelligen gesellschaftlichen Strömungen: die soziale Ausgrenzung aller, die auf den ersten Blick nicht dünn, trainiert und leistungsstark erscheinen. Sie selbst hatte jahrelang immer wieder versucht, schlank zu werden - auch, weil sie dachte, damit etwas für ihre Gesundheit zu tun. Das, beweisen Studien, ist ein Irrglaube. Nicht Superschlanke haben die höchste Lebenserwartung, sondern leicht übergewichtige Menschen.

"Abgerechnet wird am Strand!"

Auf lange Sicht wirkt ohnehin kaum eine Diät. "Die Chance, dass man einen signifikanten Gewichtsverlust länger als fünf Jahre halten kann, ist etwa gleich groß wie die Chance, metastasierenden Lungenkrebs zu überleben: fünf Prozent." Wissenschaftler gehen inzwischen davon aus, jeder Körper habe einen individuellen "Setpoint", ein für ihn perfektes Gewicht, das er versuche anzustreben - das verstärkt die Vergeblichkeit von Diäten. Doch solche Wahrheiten bleiben unerhört.

In ihrem Buch "Bodies. Schlachtfelder der Schönheit" zitiert die britische Psychoanalytikerin Susie Orbach eine interessante Zahl: In den USA werden jährlich 100 Milliarden Dollar für Diäten, aber nur 60 Milliarden für Bildung ausgegeben. Der Sommer ist jetzt da, und für alle, auch die Spätstarter, die vielleicht noch in das Zeitschriftenregal gegriffen haben, um das "Geheimnis der Bikini-Diät" zu lüften oder am "Endspurt für den Sommer - Schlank in vier Wochen" teilzunehmen, gilt, was Britta, die Leiterin des Strandfigur-Kurses in Tremsbüttel, im Spätwinter schon prophezeite: "Abgerechnet wird am Strand!"

Wer hat an sich gearbeitet, wer hat trainiert? Wer hatte noch Zeit für den nötigen Feinschliff? Körperenthaarung, "Waxen statt wachsen", die obligatorische Vorbehandlung der Haut im Solarium oder mithilfe von Selbstbräunern - erst dann ist der Beachbody fertig, der zu diesem Zeitpunkt noch keinen Sand unter sich gespürt hat. Urlaubsreif, das bedeutete früher: blass, unfit und überarbeitet zu sein. Heute bedeutet es, bereits angebräunt und durchtrainiert in die Ferien zu fahren. In einer Umfrage der Zeitschrift Bunte gab jede zweite Frau an, ein Urlaub sei nur dann gelungen, wenn sie sich auch im Bikini wohlfühle.

"Ein skulpturaler Körper, wie eine Statue, frei von Lebensspuren"

"Wir haben heute eine unbewusste Vorstellung, dass es nur den einen, richtigen Körper gibt. Aber was wir für einen Normalzustand halten, ist in Wirklichkeit ein Fantasie-Idealkörper, ein skulpturaler Körper, wie eine Statue, alterslos, frei von jeglichen Lebensspuren", sagt Paula Villa, Professorin für Soziologie an der LMU München. Dieser Körper ist eher eine aseptische Hülle als ein lebendiger Leib, man soll ihm nicht ansehen, dass er schwitzen, stinken, bluten kann.

Auch nicht, dass er Leben hervorbringt. Kurz nach der Geburt posten Model-Mütter gerne ein weichgezeichnetes Bild von sich und ihrem Baby, um dann sechs Wochen später mit flachem Bauch über irgendeinen Laufsteg zu staksen, als wäre nie etwas gewesen. "Wir glauben heute, alle Abweichungen könnten überwunden werden. Und die Möglichkeiten werden ja auch immer vielfältiger. Dabei vergessen wir allerdings zunehmend, wie unterschiedlich menschliche Körper doch sind", sagt Paula Villa. Und doch sind irgendwann die Grenzen der Machbarkeit erreicht, trotz aller Wünsche der Kunden, die immer extremer werden.

"Are you Beach Body Ready?"

Im Frühjahr dieses Jahres warb eine Firma namens "Protein World" für ihre Drinks flächendeckend in Londoner U-Bahn-Stationen. Auf einem grellgelben Plakat sah man ein bauchfreies Model mit laszivem Mund (eine 23-jährige Australierin, Veganerin, wie der Konzern später stolz mitteilte) und dazu die Werbezeile: "Are you Beach Body Ready?" Die Anzeige verfehlte erst ihre Wirkung: Aufgebrachte Londonerinnen zogen bei ungemütlichen Temperaturen Bikini und Badeanzug an und ließen sich mit ihren Durchschnittsfiguren neben dem Plakat fotografieren und pappten Zettel darauf ("All bodys are beach body ready").

77 000 unterschrieben eine Petition, diese Art der Werbung zu verbieten, es gab eine Protestveranstaltung im Hydepark. Eine dänische Bier-Firma druckte Plakate in ähnlicher Optik: "Are you Beer Body Ready?" Auf Twitter lief der Marketing-Direktor von "Protein World" zu Hochform auf und verstieg sich zu einer Aussage von fast Orwell'schem Format: "Letztendlich wollen wir eine gesündere, fittere Nation."

Dass für diesen Wunsch nur ein spezieller Proteindrink nötig sein soll, ist von grotesker Komik. Eine kritische Nutzerin, die der Firma schrieb: "Ich habe mein Leben damit zugebracht, zu glauben, ich sei nicht gut genug", wurde angegiftet: "Warum machst du deine Probleme zu unserem?" - "Weil Werbungen wie Eure dazu beitragen, jungen Mädchen zu sagen, sie seien nicht gut genug." Die Antwort der Firma "Protein World's" war persönlich beleidigend: "Und ist es in Ordnung, fett und nicht gesund zu sein statt gesund?" Nach weiteren Wortgefechten, in denen schnell mit Begriffen wie "Faschismus" und "Terrorismus" hantiert wurde, vermeldete "Protein World" stolz eine Erfolgsnachricht: Der Umsatz der Firma war in den Wochen des Protests deutlich gestiegen.

Wir sollten lernen, unseren Körper zu bewohnen wie ein bequemes Sofa

Was also tun? Vielleicht sollte man sich einfach an Susie Orbach halten: "Wir sollten lernen, unseren Körper wie ein bequemes Sofa oder ein gemütliches Haus zu bewohnen. Und ihn nicht ständig mit dem unbequemen Designersofa oder dem perfekten Stararchitektenhaus vergleichen." Das klingt schön. Aber es klingt auch nach einem langen Weg. Und zwar in die komplett andere Richtung als die Machbarkeitsideologie es uns derzeit vorgaukelt.

Andererseits: Der Weg klingt realistischer. Unser Körper ist nämlich nicht beliebig umbaubar. Körper verfallen, verändern und verformen sich, sie erzählen Geschichten über ihre Bewohner - manchmal schöne und manchmal weniger schöne. Aber immerhin sind es echte Geschichten. Und es sind unsere eigenen.

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