Süddeutsche Zeitung

60 Jahre Toast Hawaii:Urlaub auf Brot

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Vor 60 Jahren präsentierte ein Fernsehkoch den Deutschen den Toast Hawaii. Die Geschichte eines Gerichts, das selbst Hipster nicht kaputt kriegen.

Von Michael Neudecker

Im Jahr 2015 wurden wieder einige Jubiläen gefeiert, der Personal Computer zum Beispiel ist 40 Jahre alt geworden, der Kugelschreiber 70, und gerade eben, am Wochenende, war der 100. Geburtstag von Frank Sinatra. Aber alles wurscht, beziehungsweise Käse, denn es gibt ein Jubiläum, das alle anderen überstrahlt; eines, das uns Deutsche daran erinnert, wer wir sind und wo wir herkommen. 2015 ist das Jahr, in dem der Toast Hawaii (umgangssprachlich "Hawai-Toost") 60 Jahre alt geworden ist.

Der 60. ist der Geburtstag, an dem man beginnt, zurückzublicken, man nähert sich der Pensionsphase, und auf der Feier sagen die Gäste: Schön, dass du noch so jung bist! Der Toast Hawaii hat schon mehrere Feste hinter sich, in diesem Jahr gab es besonders viele Glückwunschschreiben, und jedes Mal war der Tenor: Wahnsinn, dass es dich noch gibt.

Das Gericht existiert schon so lange, dass viele, die ihre Geschmacksnerven heute damit verwöhnen (oder quälen; das ist Ansichtssache), noch nicht auf der Welt waren, als es erfunden wurde. Wobei die genaue Entstehungsgeschichte umstritten ist. Lange hieß es, der 1967 verstorbene Schauspieler und Fernsehkoch Clemens Wilmenrod habe das Rezept ersonnen. Aber dann recherchierte die Berliner Historikerin und Autorin Petra Foede vor ein paar Jahren in dieser Sache und kam zu dem Befund, Wilmenrod habe das Rezept von seinem Konkurrenten Hans Karl Adam geklaut. Was gut passt zur Geschichte des Clemens Wilmenrod, die voller Komik, Trickserei und Tragik ist.

Geschauspielerte Kochkünste

Der Mann, der 1906 als Carl Clemens Hahn geboren wurde, war von 1953 bis 1963 Deutschlands erster Fernsehkoch. Wenn Wilmenrod arabisches Reiterfleisch zubereitete oder venezianischen Weihnachtsschmaus, dann schauten die Deutschen gebannt zu. Wilmenrod war eine Art Tim Mälzer der Fünfziger, einer, der wusste, wie man die Menschen unterhält. Die Sendung, in der er die mit Mandel gefüllte Erdbeere kredenzte, beschloss er, indem er sich ein großes Küchenmesser an die Brust setzte und beschwor, sollte irgendjemand auf diesem Planeten schon einmal woanders als bei ihm eine gefüllte Erdbeere gesehen oder gar gegessen haben, "dann melde er sich sofort, in diesem Augenblick soll dieses blitzende Ding in mein Herz hineinfahren".

Dass Wilmenrod ein Schauspieler war, der gar nicht kochen konnte, war egal; hinter den Kulissen buk und briet Wilmenrods Gattin Erika während der Sendung mit. Ab und an zeigte die Kamera nur sein Gesicht mit dem fein angespitzten Schnurrbart, und just in diesen Momenten wurden die Kochtöpfe und die Teller ausgetauscht.

Im Jahr 1955, so schrieb es 1959 der Spiegel in einer Titelgeschichte, hat Wilmenrod dann einen Kochkurs bei Hans Karl Adam absolviert, einem anderen, weniger bekannten Fernsehkoch, und dieser Adam soll es gewesen sein, der die Idee mit dem Toast Hawaii hatte. Darauf jedenfalls deute einiges hin, und an dieser Erkenntnis habe sich bis heute nichts geändert, sagt Historikerin Foede. Wilmenrod präsentierte die Kreation 1955 in einer seiner Sendungen - in welcher, ist nicht mehr seriös belegbar, da es keine Aufzeichnung gibt. Der Star wollte den Toast, so Foede, auch in eines seiner Kochbücher aufnehmen, allerdings ohne Nennung von Adam, worüber die beiden in Streit geraten seien. In Wilmenrods Kochbüchern tauchte der Toast Hawaii schließlich nicht auf, in Adams Kochbüchern aber schon, wenn auch etwas variiert.

Es kann also sein, dass Clemens Wilmenrod den Toast Hawaii nicht erfunden hat. Nur: Was macht das schon? Erst seine Präsentation hat den Deutschen die Augen geöffnet für dieses kleine Küchenwunderwerk, und deshalb kann eine Geschichte über den Toast Hawaii ohne den Mann nicht erzählt werden. Clemens Wilmenrods eigene Geschichte endete indes tragisch. Er litt an Magenkrebs, 1967 nahm er sich, verlassen von seiner Frau, das Leben.

Ein Stück deutscher Kulturgeschichte

Es ist ein Jammer, dass er nicht mehr erleben konnte, was aus dem Toast Hawaii geworden ist: nicht bloß ein Gericht, sondern Ausdruck eines Lebensgefühls ganzer Generationen, ein Stück deutscher Kulturgeschichte, ein Symbol deutscher Weltgewandtheit und - ja, auch das - deutschen Erfindergeists und Mutes. Schinken mit Käse und Ananas auf Toastbrot, das muss man erst mal bringen.

Übertrieben? Nein. Es gibt kaum ein Gericht, über das in Deutschland so leidenschaftlich diskutiert wurde, und auch heute noch gibt es fast niemanden, dem zum Thema nichts einfällt. Der Toast Hawaii ist keine Leberspätzlesuppe, er steht für Provinz und zugleich für Extravaganz. Der Toast Hawaii polarisiert, und was lange polarisiert, bleibt hängen.

Man mag es als, nun ja, Leistung der Deutschen betrachten, dass sie es nicht geschafft haben, den Toast Hawaii zu vergessen, wie etwa den Mett-Igel oder das Pichelsteiner, aber die Wahrheit ist: Das liegt am Toast Hawaii selbst. Die Kombination der Zutaten und deren Geschmacksnoten, die Art, wie er gemacht wird, all das funktioniert in jedem Jahrzehnt auf seine Weise. Tim Mälzer, der eine Art Jung-Wilmenrod von heute ist, hat mal erzählt, dass kein anderes Gericht derart konkrete Erinnerungen ihn im hervorrufe: Er, der kleine Mälzer, sitzt in der Küche, und während die Mutter die Toast-Schinken-Käse-Ananas-Symbiose in den Ofen schiebt, kippelt er mit seinem Stuhl.

Anfangs, in den Fünfzigern, Sechzigern und Siebzigern, war der Toast Hawaii tatsächlich fester Bestandteil des wöchentlichen Speiseplans vieler Familien, ein Nationalgericht, eine auf ein paar Quadratzentimeter Brot gebündelte Kompensation des Fernwehs, die man in der Küche zubereiten konnte, wann immer man wollte: Die Südfrucht aus der Dose stand dafür, dass Lebensmittel unabhängig von klimatischen Gegebenheiten gekauft werden konnten; das weiche, fertig geschnittene und abgepackte Brot repräsentierte Amerika; dazu kam der bürgerliche Kochschinken, und obendrauf, wenn man ganz abgefahren war, eine Cocktailkirsche.

In den Achtzigern und Neunzigern war der Toast Hawaii dann ein etabliertes Gericht in unzähligen Kneipen und Gaststätten, ganz besonders aber in den zu der Zeit beliebten Partykellern und Kegelvereinen. Danach folgte ein kulinarisches Tief, aber nicht lang, denn irgendwann wurden die Achtziger ja wieder trendig. Heute gehört der Toast Hawaii zur Allgemeinbildung, und wenn Gerhard Polt einen Gast in einem Sketch fragen lässt, "Frollein, was soll ich denn nehmen?", und die Bedienung antwortet, "nehmen's an Leberkäs Hawaii, da können's nichts falsch machen", dann versteht den Witz gleich jeder.

"Eine Delikatesse bleibt eine Delikatesse"

Fast müßig zu erwähnen, dass es dem Toast Hawaii in all den Jahren nicht erspart geblieben ist, dass sich so mancher Küchenakrobat an ihm verging und mitunter bis zur Unkenntlichkeit frisierte. Es gab ihn schon mit Matcha-Tee-Crème auf Brioche, darauf grüner Spargel, Gänseleber, Wachtelbrust und ein Stückchen Ananas. Eine andere Variante kombinierte Schweinefilet, Honigsenf, Pfirsiche, Frühlingszwiebeln, Chili und Gruyère auf Bauernbrot. Geschadet haben die Experimente dem Klassiker nicht, der Toast Hawaii ließ und lässt sich nicht kaputthipstern. Die Version aus Toast, Schinken, Käse, Ananas und optionaler Cocktailkirsche gilt bis heute als Standard.

Clemens Wilmenrod hat in einem anderen Zusammenhang, es ging da um Heringssalat auf bretonische Art, einen schönen Satz gesagt, der auch an dieser Stelle passt: "Eine Delikatesse bleibt eine Delikatesse, auch wenn sie wohlfeil ist." Die Kamera war dabei ganz nah an seinem Gesicht, und wie immer in diesen Momenten, verlieh ihm der feine Schnurrbart die Aura eines Mannes, der weiß, wovon er spricht.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2015
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