Kurt Tucholksy hasste, in dieser Reihenfolge: Vereinsmeierei, das Militär, Rosenkohl, "den Mann, der immer in der Bahn die Zeitung mitliest", "Lärm und Geräusch", Deutschland. Neben dieser Hassliste, die 1928 in der Vossischen Zeitung erschien, stand auch eine Aufzählung von Dingen, die er mochte: Knut Hamsun, "die Haarfarbe der Frau, die er gerade liebt" und - Deutschland. Tucholskys Lieblingsspeise war Rote Grütze mit Vanillesoße, sowohl farblich als auch geschmacklich das krasse Gegenteil von Rosenkohl.
Vereinsmeierei, Militär, Lärm und Deutschland gibt es knapp 100 Jahre später immer noch. Weil in der Bahn kaum noch einer Zeitung liest, fällt wenigstens dieses Ärgernis weitgehend weg. Aber Rosenkohl hat gerade wieder Saison, im Oktober beginnt die Ernte der gefürchteten Gemüsekugeln. Sehr zum Schrecken vieler Kinder und anderer Rosenkohl-Hasser sind die kleinen grünen Stinkbomben noch nicht ausgestorben. Kaum ein anderes Gemüse löst solche Abneigung aus: Der britische Marinekapitän Wayne Keble verbannte den Rosenkohl vor Jahren von seinem Schiff HMS Bulwark, weil er der 390 Mann starken Besatzung das "Teufelsgemüse" nicht zumuten wollte. Rosenkohl sei "das Einzige, was ich nicht mag und wirklich hasse", sagte der Seemann dem Daily Telegraph.
Die psychologischen Abwehrkräfte wirken oft stark
Dabei lässt sich, objektiv betrachtet, eigentlich nur Gutes über den Rosenkohl berichten. Wie alle Kohlsorten ist er sehr gesund. Anstatt dubiose Nahrungsergänzungsmittel zu schlucken, müsste man eigentlich nur ein paar Kügelchen Rosenkohl am Tag einwerfen. Die Knöllchen enthalten jede Menge Ballaststoffe, Mineralien und mehr Vitamin C als Zitronen - circa 115 Milligramm pro 100 Gramm. Außerdem stecken in den knackigen Röschen B-Vitamine, Folsäure, Kalium, Zink, Eisen - also alles, was man in der Erkältungszeit braucht, um die Abwehrkräfte zu stärken. Das Problem: Die psychologischen Abwehrkräfte gegen den Geschmack des Rosenkohls wirken bei vielen Menschen stärker als all die positiven Argumente, die für ihn sprechen.
Fantasielos zubereiteter Rosenkohl ist tatsächlich eine harte Probe für die Geschmacks- und Geruchsnerven, von den Blähungen, die Kohlgenuss hervorruft, ganz zu schweigen. Wenn man die Dinger nur in einen Topf mit Wasser wirft und sie so lange kocht, bis sie matschig und muffig sind, wird man einen Rosenkohl-Hasser nicht bekehren können. Um den intensiven Kohlgeschmack abzumildern, kann man Zucker oder Milch ins Kochwasser geben. Was hilft, sind Kümmel und Fenchelsamen, das fördert auch die Verdaulichkeit. Gut ist es auch, wenn man den Kohl nicht totkocht, sondern ihn bissfest lässt. Vor dem Servieren in etwas Butter mit Muskatnuss schwenken, mit angerösteten Mandelblättern und gebratenen Apfelspalten kombinieren - das wäre schon mal ein Einstieg.
"Sehr gut schmeckt Rosenkohl, wenn man ihn im Saft von Schweinebraten gart", rät "Der Silberlöffel", die Bibel der italienischen Küche.
"Cavolini di Bruxelles" heißt der Rosenkohl auf Italienisch, auf Englisch "Brussels Sprout". Es handelt sich nicht um Mini-Kohlköpfe, sondern um die Sprossen der Kohlpflanze Brassica oleracea var . gemmifera, die vom 16. Jahrhundert an in Belgien gezüchtet wurde. Die Röschen wachsen am Stängel der bis zu 80 Zentimeter hohen Pflanze, die gut kälteverträglich ist. Kühles Wetter macht den Rosenkohl erst richtig schmackhaft: Bei niedrigen Temperaturen steigt der Zuckergehalt in dem Blättern, sodass die Bitterstoffe im Kohl leichter erträglich sind.
Rösten, nicht kochen
Süße und saure Aromen tun den meisten Kohlsorten gut, das ist in der asiatischen und orientalischen Küche besser bekannt als bei uns. In der Kombination mit Zitrusfrüchten erreicht man ein ganz anderes, erfrischendes Rosenkohlerlebnis. Der israelisch-britische Koch Yotam Ottolenghi wendet zwei Tricks an, um den Rosenkohl zu rehabilitieren. 1. Nicht kochen, rösten. 2. Grapefruit in Gewürzen marinieren. Das Rezept ist für Ottolenghis Verhältnisse relativ überschaubar, man braucht keine superexotischen Zutaten, und es ist zudem vegan.
Zutaten: 100 g Zucker, 1 Zimtstange, 5 Sternanis, 3 EL Zitronensaft, 2 Grapefruits, 600 g Rosenkohl, 250 g Schalotten, 75 ml Olivenöl, etwas gehackter Koriander, Salz und Pfeffer. Zubereitung: Aus Zucker, Zimt, Anis und 100 ml Wasser einen Sirup herstellen (einmal aufkochen lassen, dann unter geringer Hitze einkochen). Zitronensaft dazugeben und abkühlen lassen. Grapefruit filetieren, in den Sirup geben und mindestens eine Stunde marinieren. Ofen auf 220 Grad vorheizen. Rosenkohl kurz blanchieren und anschließend halbieren (es geht auch ohne Blanchieren, dann 10 Minuten länger im Ofen lassen).
Zusammen mit geschälten und geviertelten Schalotten auf ein Blech geben, mit etwas Öl beträufeln, salzen, pfeffern und etwa 20 Minuten lang hellbraun rösten. Den Rosenkohl mit den marinierten Grapefruitfilets mischen, Sirup darübergeben und alles mischen. Wer weiß, mit diesem Rezept hätte man vielleicht sogar den alten Skeptiker Tucholsky überzeugen können.