Essen und Trinken:Khmer Cuisine

Kimsan Twins - Embassy restaurant

Kimsan Pol (links) und Kimsan Sok servieren in ihrem Restaurant feine Gerichte.

(Foto: Embassy Restaurant)

Kambodschas Küche ist die meistunterschätzte in Südostasien. Gerade wird sie wiederentdeckt. Eine kulinarische Reise.

Von Friedemann Karig

Es gibt nur ein Thema, bei dem Kimsan Pol still wird. Die lebhaft erzählende Köchin unterbricht sich dann, ihr Blick senkt sich: "Alles lag am Boden", sagt sie, und meint die Zeit nach dem Bürgerkrieg Ende der 70er-Jahre, von dem sich ihre Heimat Kambodscha lange nicht erholte. Kimsan Pol braucht einen Moment, um die Vergangenheit beiseitezuschieben, eigentlich will sie von der Zukunft erzählen. Dann findet sie zu ihrem Optimismus zurück: "Heute können wir die Welt wieder zu uns einladen und ihr unsere Küche zeigen."

Kambodscha steht im Schatten seiner Nachbarn Thailand und Vietnam - auch kulinarisch. Aber vor allem in den Touristenhochburgen des Landes gedeiht wieder eine Küche, die vielleicht die meistunterschätzte Südostasiens ist. Und Kimsan Pol, 36, steht wie keine zweite Persönlichkeit für den lang ersehnten Aufschwung. Die Geschichte der Köchin ist die einer doppelten Befreiung: von der Last der Vergangenheit und von der Benachteiligung als Frau.

Kimsan Pol empfängt an diesem Tag ausnahmsweise allein. Ihre Geschäfts- und Namenspartnerin Kimsan Sok ist auf kulinarischer Recherche in Australien. Zusammen sind die Köchinnen auch scherzhaft als die "Kimsan Zwillinge" bekannt. Ihr Lokal, das "Embassy", liegt im Herzen von Siem Reap, die Gastronomie entwickelt sich hier besonders gut, auch weil die Stadt durch ihre Nähe zu den Tempeln von Angkor Wat gut zwei Millionen Gäste pro Jahr verzeichnet. Von der heißen, lauten Straße geht es eine Treppe hinauf in ruhige, klimatisierte Räume. Hier serviert Kimsan Pols Team ein saisonal geprägtes Menü, das jeden Monat wechselt: "Manche Produkte, vor allem Früchte, gibt es nur für zwei Wochen", erzählt die Köchin in sicherem Englisch, das sie auf ihren Stationen in internationalen Küchen gelernt hat. "Eigentlich hat allein die Mango mehrere Monate Saison."

Für ihre Menüs kombiniert Kimsan Pol die wichtigsten Köstlichkeiten aus allen Teilen Kambodschas zu essbaren Landkarten.

Es gibt Rind aus Battambang, eine der größten Städte des Landes, mariniert in Zitronengrassaft und Pfeffer aus dem südöstlichen Kampot, Kimsans Heimatstadt. Kampot-Pfeffer war früher weltberühmt, seit die Plantagen wieder florieren, erlebt er eine Renaissance. Dann kommen: ein leichtes gelbes Curry mit Süßwasserfischen aus dem nahen Tonlé-Sap-See, ein Sorbet aus Tamarinde mit Meersalz oder Jakobsmuschel, gewickelt in Gemüse aus dem Umland. Der Kaffee für die Soße stammt aus Ratanakiri, einer Provinz an der Grenze zu Laos. "Keine Importe", ist Kimsans wichtigste Regel, und ihr Lächeln, das sie sonst trägt, verschwindet kurz. "Wir haben alles im Land, was wir brauchen."

Kimsan Twins - Embassy restaurant

Regionale Eleganz: eine Garnele im Gemüse- und Blütenmantel.

(Foto: Embassy Restaurant)

Besonders das Curry hält, was sie verspricht: Es ist leichter und feiner als Currys, die man sonst kennt, auch flüssiger, eher eine Suppe. Kambodschas Speisekarten führen Currys meist unter Suppe. Die Schärfe ist so fein ausbalanciert, man vergisst sie fast, um sie dann zwischen zwei Löffeln plötzlich zu vermissen. "Unsere Küche zusammengefasst?", fragt Kimsan. "Frisch und leicht, nie fett oder ölig, nicht so scharf wie Thai oder Indisch. Sie hat ähnliche Aromen, ist aber weniger aggressiv." Neulich war sie bei "Bo.Lan" in Bangkok essen, einem hippen Sternelokal in der Hauptstadt des Nachbarlandes. "Aber ich konnte vieles nicht essen, weil es so scharf war", erzählt die Köchin. Typisch kambodschanische Aromen wie den fermentierten Fisch, der als "Prahok"-Paste in vielen Gerichten steckt, schwächt sie fürs internationale Publikum ab. "Wir haben natürlich viele Europäer hier", sagt sie. "Spanier und Italiener mögen die starken Kräuter nicht, die sogar manchen Asiaten zu intensiv sind. Franzosen sind die einfachsten Kunden, die mögen alles", erzählt Kimsan lachend.

Für viele Kräuter und Aromen, die in der Küche des Embassy verwendet werden, gibt es keine englischen Namen, und wenn Kimsan Pol am Ende eines Abends an jeden Tisch kommt, muss sie den Gästen oft komplizierte kambodschanische Wörter in die Smartphones diktieren, samt der schwierigen Khmer-Schriftzeichen, die aber helfen, auf einem der Märkte ein Gewürz für zu Hause zu besorgen. Ihre Rezepte findet Kimsan in kleinen Restaurants auf dem Land, wo noch die Großmutter am Herd steht. "Hier wird immer strikt saisonal gekocht, weil man gar nicht die Möglichkeit hat, Importe zu kriegen." Auch im Königspalast in der Hauptstadt Phnom Penh war sie schon zur Inspiration: "Dort wird wirklich perfekt gearbeitet. Es gibt in ganz Kambodscha wohl kein besseres Essen. Natürlich hat der König die besten Köchinnen."

"Wir kochen anders, probieren viel Neues aus"

Um die Khmer-Küche auf internationales Niveau zu bringen, lernte Kimsan Pol bei Dreisternekoch Régis Marcon in Frankreich und anderen hochdekorierten Kollegen in Japan und Australien. "Wie diese Meister schon bei der Wahl der Produkte auf dem Markt Perfektion verkörpern, ist beeindruckend", findet sie. Der französische Inhaber des Embassy, der im Hintergrund bleiben möchte, gab ihnen die Chance, die traditionelle Khmer-Küche weiterzuentwickeln. Er erfand auch ihren Spitznamen "Kimsan Twins" - die "Kimsan-Zwillinge." Als erste Frauen führen sie ein Spitzenrestaurant. Eine Ausnahme in der ansonsten rein männlich besetzten gehobenen Gastronomie des Landes.

Als die USA im Zuge des Vietnamkriegs auch Kambodscha bombardierten, stürzten die Kommunisten 1975 die US-freundliche Regierung in Phnom Penh. Vier Jahre Terror folgten, fast ein Viertel der acht Millionen Einwohner kam ums Leben. Viele von ihnen wurden von den Roten Khmer hingerichtet, die mit Gewalt den Agrarkommunismus einführen wollten. Kein Bürger sollte mehr "von Bildung oder Besitz korrumpiert" sein. Wer lesen konnte oder französisch sprach, galt als verdächtig - und musste sterben. So auch die meisten Köche des Landes, in dem es seit der französischen Kolonialherrschaft eine lebhafte Restaurant-Szene gegeben hatte. "Die Kultur, die Kompetenz und die Kundschaft fehlten seitdem lange", sagt Kimsan, deren Familie wie die meisten Kambodschaner stark unter dem Regime litt. "Meine Mutter hat zwei Schwestern verloren. Unsere Familie wurde gewaltsam umgesiedelt. Mir wurde als Kind oft erzählt, wie hart es damals war, wie Hunger und Armut herrschten."

Cuisine Wat Damnak : restaurant, food and chef

Moderne Heimat: ein schwarzes Klebereis-Porridge mit Jakobsmuscheln im Restaurant "Cuisine Wat Damnak".

(Foto: David Robert Hagerman)

Vor dem Bürgerkrieg galt Kambodscha aufgrund des hohen Lebensstandards als "die Schweiz Südostasiens", dann begann der Niedergang zu einem der ärmsten Länder der Welt. Erst in den letzten Jahren zog der Tourismus stark an, das Land öffnete sich. Junge Leute strömten in die Kochschulen, oft unter französischer Ägide wie jene in Kampot, in der Kimsan lernte. Wer kein Geld hat, im Ausland Station zu machen, geht virtuell auf Weltreise. "Die Jungen suchen im Netz nach Inspiration, lernen von Youtube-Videos." Kimsan empfindet sich als sehr privilegiert, kann auch mal in die Schweiz reisen, auf Einladung der berühmten Hotelfachschule Lausanne. "Ich habe tolle Restaurants gesehen, Sterneküche, alles war perfekt." Zum ersten Mal im Gespräch sucht sie nach Worten. Aus Verlegenheit. Denn "es war auch ein wenig langweilig. So ohne Fehler oder Risiko. Wir kochen anders, probieren viel Neues aus. Wir haben eben keine gewichtige Tradition zu verteidigen. Wir bauen sie gerade erst auf."

Seit drei Jahren kochen die Kimsan-Zwillinge nun im Embassy. Sie kennen sich seit 2004, durchliefen gemeinsam Ausbildung und erste Stationen. Kimsan Pol erinnert sich, wie sie als erste Frau in eine rein männliche Küche kam. "Eigentlich wollte ich Krankenschwester werden. Ein Beruf für eine Frau. Dann aber hörte ich von einer Köchin, die in der Patisserie des Raffles-Hotels in Siem Reap arbeitete." Wenn die das kann, dachte Kimsan, dann kann ich das auch. Erst lernte sie Patisserie, weil die "heiße Küche" den Männern vorbehalten war.

Cuisine Wat Damnak : restaurant, food and chef

Botschafter des guten Geschmacks: ein Drachenfrucht-Sorbet auf einem Baiser mit Vanillesoße im Restaurant "Cuisine Wat Damnak".

(Foto: David Robert Hagerman)

Doch bei ihrer ersten Anstellung sagte ihr französischer Chefkoch: "Das hier ist nicht deine Bestimmung. Du kannst mehr." Und holte sie in die Küche. Als erste Frau überhaupt. "Mit Khmer-Männern, die nicht gewohnt waren, mit einer Frau zu arbeiten - das war hart." Wenn sie unter Druck weinte, spornte ihr Chef sie an, nicht aufzugeben. "Bevor ich eine gute Köchin sein konnte, musste ich erst einmal eine starke Köchin werden", erinnert sie sich. Deshalb beschäftigt sie in ihrem Restaurant heute nur Frauen. Um ihnen den Raum zu geben, Selbstvertrauen zu entwickeln. "In Khmer Familien kochen auch immer die Frauen. Wieso nicht auch in den besten Küchen?"

Die Kimsan-Twins sind natürlich nicht die einzigen, die man besuchen sollte, wenn man in Siem Reap essen will. Es gibt viele gute Lokale. Die "Cuisine Wat Damnak" etwa, benannt nach dem nahen Tempel, ist ein weiterer typischer Vertreter der "Nouvelle Khmer Cuisine" - und mit ihrem schönen Garten vielleicht das stimmungsvollste Lokal hier. Das Restaurant schaffte es 2015 als erstes aus Kambodscha in die Top 50 Asiens - ohne Kompromiss oder allzu deutliche Anleihen bei den Franzosen.

Cuisine Wat Damnak : restaurant, food and chef

Das Restaurant "Cuisine Wat Damnak" ist in einem traditionellen Holzhaus im Herzen von Siem Reap beheimatet.

(Foto: David Robert Hagerman)

Die Einflüsse der Kolonialgeschichte auf die Küche sind überall offenkundig, selbst in der hintersten Provinz finden sich noch Boulangerien mit Baguette und Croissants. Die Kambodschaner rühmen sich, den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Brot in Südostasien haben - kein anderes Volk dort frühstückt überhaupt Brot. Die "Cuisine Wat Damnak" glänzt mit Fusiongerichten wie Enten-Confit mit Erdnuss-Sauce und süßer Chili, dazu gibt es ausgezeichnete Sauvignon Blancs und Syrahs. 31 US-Dollar kosten hier sechs Gänge, von denen jeder einzelne die Reise wert ist. "Noch ist Kambodscha sehr günstig. Der Tourismus boomt auch deshalb wie noch nie", erzählt Kimsan Pol, "Chinesen, Europäer, Amerikaner - alle kommen. Angkor Wat ist natürlich der große Magnet, aber wir müssen ihnen zeigen, dass es sich lohnt, länger zu bleiben - und wiederzukommen."

Zur SZ-Startseite
Matjes

SZ MagazinDas Kochquartett
:Matjes auf thailändische Art

Bei diesem Fischklassiker denkt man schnell an Schmand oder Rote Bete. Unser Koch interpretiert ihn asiatisch - mit verblüffendem Ergebnis.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: