Süddeutsche Zeitung

Gastronomie:Hier kocht der Abt

Mauritius Choriol arbeitete in seinem früheren Leben in der Spitzengastronomie. Nun leitet er das älteste Kloster Deutschlands, die Benediktinerabtei Tholey - und steht täglich am Herd. Eine Begegnung mit einem Menschen, der Leib und Seele zusammenhält.

Von Titus Arnu

"Ob ihr nun esst oder trinkt oder was ihr auch tut, das tut alles zu Gottes Ehre." (1 Korinther 10)

Die Küche duftet nach Zwiebeln, Sellerie und Kartoffeln. Mauritius Choriol steht am Herd und bereitet ein deftiges Essen vor: Kalbsleber mit Bratkartoffeln und Selleriepüree. Normalerweise trägt der 60-Jährige den Habit der Benediktiner, ein schwarzes Gewand mit Kapuze. Nun hat er statt der Ordenskleidung eine Kochschürze an. Choriol ist Abt der Benediktinerabtei Tholey im Saarland - und war in seinem früheren Leben die tragende Säule einer Sterneküche.

In der engen Küche des Kloster-Gästehauses hängt ein altes Schwarz-Weiß-Foto an der Wand, auf dem Mauritius Choriol in der typischen Koch-Kluft zu sehen ist. Weiße Jacke, karierte Hose, Kochmütze, in der Hand hält er ein Weinglas. Man erkennt den jungen, schlanken Mann im sechzigjährigen Abt wieder, auch wenn die Haare weniger geworden sind. Lächeln und Lässigkeit sind geblieben - und der Glaube an die sinnstiftende Kraft des Kochens. "Wer zu uns kommt, soll gut essen und vielleicht Gott begegnen, gerne auch zwischen den Kochtöpfen", sagt Choriol mit warmer Stimme und französischem Akzent.

Gefüllter Schweinefuß, Brot mit Walnüssen, Quark mit Kräutern aus dem Klostergarten, manchmal Austern und eine gute Flasche Wein - die Lieblings-Genussmittel von Abt Mauritius klingen sehr weltlich. Dennoch ist die Kontemplation, das Hineinversenken in den Geist, eines der obersten Prinzipien des Klosterlebens. Kulinarischer Genuss und christliche Spiritualität, wie passt das zusammen? Mit dem streng geregelten klösterlichen Leben verbindet der Laie eher Askese als Austern. Doch Entsagung bedeutet für die Benediktiner nicht unbedingt Verzicht auf gute, gesunde Ernährung. "Auch als Mönch kann man Freude am Essen und Trinken haben", sagt Mauritius Choriol, "das ist ganz im Sinne des heiligen Benedikt."

Jeder Besucher soll im Kloster "wie Christus aufgenommen werden"

Benedikt von Nursia war Gründer des ältesten katholischen Ordens, und die Abtei St. Mauritius in Tholey gilt als ältestes Kloster Deutschlands. Erstmals wurde es im Jahr 634 urkundlich erwähnt. Zu den Prinzipien des Benediktinerordens gehörte schon immer, dass die Mönche und Nonnen im Leben stehen und sich an ihre Umgebung anpassen. Ihr Lebensstil soll bodenständig und ausgewogen sein, und dazu zählt auch, dass sie sich ordentlich ernähren, Bier brauen und Wein trinken dürfen. Die Gastfreundschaft der Benediktiner ist legendär. Jeder Besucher soll im Kloster "wie Christus aufgenommen werden", heißt es in den Ordensregeln. Schließlich sind Brot und Wein zentraler Bestandteil der christlichen Liturgie.

Abt Mauritius erklärt dem Besucher auf der sonnigen Terrasse des Gästehauses bei Kaffee und Keksen, wie die Kulinarik mit den Ordensregeln in Einklang zu bringen ist. Unten im gepflegten Park summen Bienen im Lavendel, einer der Brüder ist Hobby-Imker. Von der Kirche her ist Baulärm zu hören. Das frühgotische Gotteshaus wird seit 2018 saniert. "Der heilige Benedikt steht nicht für Askese", sagt Choriol, "er plädierte für gemäßigten Genuss." Aber was ist das richtige Maß? Ein Teller Gemüseeintopf oder ein Fünf-Gänge-Menü? Das ist bei den Benediktinern genau festgelegt, es gibt Regeln für das "Maß der Speise" und das "Maß des Getränks", detaillierte Ausführungen über die Pflichten bei Tisch und in der Küche. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich Ess- und Trinkgewohnheiten aber gewandelt, Regeln wurden immer mal dem Zeitgeist angepasst.

"Auf Fleisch vierfüßiger Tiere sollen alle verzichten, außer die ganz schwachen Kranken", hieß es in den ursprünglichen Ordensregeln. Heutzutage setzt der Tholeyer Abt auch mal Cordon Bleu auf den Speiseplan, das sogar Fleisch von zwei Vierfüßern enthält, Kalb und Schwein. Benedikt von Nursia legte auch den Alkoholpegel fest: "Für jeden täglich eine Hemina ist ausreichend" - ein altes römisches Maß mit einem Volumen von 0,274 Litern. Wein gibt es in der Abtei Tholey nur zu kirchlichen Hochfesten und zu runden Geburtstagen ab 80 Jahren, an normalen Sonntagen wird Bier ausgeschenkt. Wochentags gibt es keinen Alkohol, Fleisch kommt an maximal drei Tagen die Woche auf den Tisch.

Essen kann zur Religion werden, und Religion kann sich über Essen mitteilen. Bei Mauritius Choriol hat man das Gefühl, beides habe immer zusammengehört, als verkörpere er die ideale Einheit von Leib und Seele. Aber das täuscht vielleicht. Seine Lebensgeschichte klingt so abenteuerlich und streckenweise leiderfüllt, dass man einen Kinofilm daraus machen möchte.

Der heutige Abt wurde 1959 im Elsass als Alain Choriol geboren, sein Vater kochte sehr gut, seine Mutter starb, als er noch ein Kind war. Er brach mit 14 die Schule ab, um eine Kochlehre zu machen. Anschließend besuchte er die Straßburger Hotelfachschule und verpflichtete sich danach für fünf Jahre beim französischen Militär. Er kochte in Offizierskantinen in Neukaledonien, einer Inselgruppe im Südpazifik, und lernte auch die japanische Küche kennen. Anfang der Achtzigerjahre kehrte er zurück nach Europa und war sehr schnell erfolgreich in Spitzenrestaurants in der Schweiz und Frankreich. Mit 23 war er schon Souschef im Luxemburger Restaurant "Patin d'Or", wo er zusammen mit seinem Chef Michel Behring zwei Michelin-Sterne erkochte.

Hätte es ihn denn nicht gereizt, danach auch als unabhängiger Chefkoch, selbst Sterneweihen zu erlangen? Dazu kam es nicht mehr. Denn Choriol arbeitete damals extrem viel, vielleicht zu viel, und in dieser Zeit fing er an, über den Glauben nachzudenken. "Kochen ist eine sehr schöne Sache, aber mir fehlte etwas", erzählt Choriol. "Ich fragte mich: Was ist der Sinn des Lebens? Nur Genuss und Erfolg?" Nach langen Arbeitstagen konnte er nur noch einschlafen, wenn er Psalmen las und betete. Damals wollte er Eremit werden, zog zur Probe in ein Kartäuserkloster in die Schweiz. "Eine Schnapsidee!", so Choriol, der bald von der Kartause wieder in die Küche wechselte.

Nach langen Arbeitstagen konnte er als Spitzenkoch nur noch einschlafen, wenn er Psalmen las

Eines Tages fühlte sich der junge Spitzenkoch so ausgebrannt, dass er sich ins Kloster Tholey zurückzog, nicht weit von Luxemburg. Der damalige Abt Makarios Hebler nahm ihn auf und betraute ihn bald mit der Küchenarbeit. Das Gästehaus war damals im desolaten Zustand, und Choriol begann mit Freude, es in Schuss zu bringen: "In unserer Ordensregel steht, dass niemand vom Küchendienst verschont werden soll. Wer dort seine Arbeit gut macht, sammelt Punkte bei Gott." 1990 legte er das Ordensgelübde ab, studierte Theologie und übernahm 1998 im Kloster Tholey offiziell das Amt des Cellerars. Früher war das der Kellermeister, heute ist es der Manager, der für alle wirtschaftlichen Dinge eines Klosters zuständig ist.

Als der ehemalige Abt 2008 zurücktrat und Choriol zum Prior gewählt wurde, lebten im Kloster noch sechs Brüder. Die Zukunft war ungewiss, der Abtei fehlte Geld für dringend benötigte Reparaturen in der Klosterkirche. Die bunten Glasfenster waren korrodiert, die Orgel ein Sanierungsfall. Mauritius Choriol fand, dass die frühgotische Kirche etwas ganz Besonderes verdient und überlegte, wer der Marc Chagall von heute ist. Er schrieb einen Brief an Gerhard Richter, einen der teuersten lebenden Künstler der Welt. Richter hat Fenster für den Kölner Dom gestaltet, warum also nicht auch für Tholey? Vorsichtig fragten die Klosterbrüder bei ihm für ein Seitenfenster an. Der Künstler antwortete, eigentlich sei ihm das zu kleinflächig - wenn, dann würde er die Chorfenster machen. Ein Honorar verlange er nicht. Einen fertigen Entwurf hatte Richter schon in der Schublade, für ein Projekt im Vatikan, das nie verwirklicht wurde, mit nur wenigen Zentimetern Unterschied. Die übrigen Fenster hat die Münchner Glaskünstlerin Mahbuba Elham Maqsoodi entworfen.

Kürzlich wurde die Kirche mit den neuen Fenstern wiedereröffnet. Ein neues Besucherzentrum ist im Bau, wegen der Bedeutung der Kirchenfenster wird sich die Abtei zum touristischen Wallfahrtsort entwickeln, erwarten die Mönche. Im Gästehaus kann Abt Mauritius bis zu 150 Leute verköstigen. An normalen Tagen kocht er für seine zwölf Mitbrüder. Für den Alltagsgebrauch bereitet er einfache, nahrhafte Gerichte zu, aber zu besonderen Anlässen tischt er auch groß auf. Als der Trierer Bischof Stephan Ackermann mit einigen saarländischen Ministern zu Gast war, servierte der Abt als Vorspeise Kürbiscremesuppe, als Hauptgang Schweinelendchen im Speckmantel mit frischen Pilzen und Sellerie-Möhrenpüree, als Dessert Schoko-Tarte mit Vanille- und Lavendeleis.

Die Kalbsleber brutzelt mittlerweile in der Pfanne, die Bratkartoffeln sind knusprig - und die Glocken haben auch schon geläutet. Zeit für das Mittagessen, selbstverständlich erst nach dem Tischgebet. Zusammen mit seinen zwölf Mitbrüdern wird Choriol die Mahlzeit im altehrwürdigen Refektorium einnehmen, an massiven, schweren Holztischen sitzend, an der Wand ein echtes Caravaggio-Gemälde, gestiftet von einer reichen Unternehmerfamilie aus dem Saarland, die auch die Renovierung des Klosters finanziert. Man könnte sagen, der ehemalige Souschef hat den Laden wieder zu einer Spitzenadresse gemacht.

Mauritius Choriol freut sich, wenn es seinen Gästen schmeckt: "Religion hat auch mit Gefühl zu tun, mit dem einfachen Leben, mit Sinnesgenuss, nicht nur auf intellektueller Ebene mit Theologie." Nach dem Essen verrät er, dass er sich ab und zu eine Luxus-Pilgerreise in ein Spitzenrestaurant gönnt, nach Baiersbronn, ins Elsass oder zum Dreisterne-Koch Christian Bau, der in Perl, nicht weit von Tholey, eine franko-japanische Kreativküche auf höchstem Niveau zelebriert, genau Choriols Geschmack. "Die japanische Waffel mit Sardine und Meereskräutercrème führt uns höher, nämlich auf göttliches Niveau", notierte der Kritiker des Online-Magazins Sternefresser nach dem Besuch von Baus Restaurant. Was ist dagegen zu sagen, wenn ein Mönch zu Gott findet - und sei es über eine japanische Fischwaffel?

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