Kleidung:Fünf Tipps gegen den Textil-Wahnsinn

Kleidung: Illustration: Peter M. Hoffmann

Illustration: Peter M. Hoffmann

Laut einer neuen Umfrage besitzen die Deutschen mehr als fünf Milliarden Kleidungsstücke - und tragen nur einen Bruchteil.

Von Friederike Zoe Grasshoff

Wie, der Poncho ist in 38 nicht lieferbar? Unerhört. Es gibt doch nichts, was es nicht gibt - oder wie lautete gleich das generationsübergreifende Konsum-Mantra? Einfach und verwirrend ist das Leben in Überfluss und Überdruss, schreit es doch aus allen Browserfenstern: Klick mich, kauf mich, und wenn ich dir nicht gefalle, bin ich schnell wieder weg. Das Online-Versandhaus Zalando hat diese Gefällt-mir-gefällt-mir-nicht-mehr-Mentalität perfektioniert, 2014 schickte es monatlich drei Millionen Pakete durch Europa; auf den Umsatz bezogen lag die Retourenquote bei 50 Prozent. Die Deutschen kaufen und besitzen gerne Klamotten, und sie schmeißen gerne Klamotten weg. Einer aktuellen Greenpeace-Umfrage zufolge hängen in deutschen Kleiderschränken 5,2 Milliarden Kleidungsstücke, Socken und Unterwäsche nicht mitgerechnet. 40 Prozent davon werden selten oder nie getragen. Fast die Hälfte der Befragten hat in den vergangenen sechs Monaten Kleidung weggeworfen. Dabei gibt es einige Alternativen zum dekorativen Horten und zum Mülltonnen-Besuch. Ein paar Handreichungen wider den Wegwerf-Wahnsinn.

Feiern und Tauschen

Das Leben in einer Spaßgesellschaft hat durchaus konstruktive Momente, also: Partys. 83 Prozent haben laut Studie noch nie Kleidung getauscht, aber wer gern unter Leute geht und sich die Biografien von Jeans und deren Besitzern anhört, besuche eine Kleidertauschparty. Die werden etwa von Umweltorganisationen wie Green City oder Online-Börsen wie Kleiderkreisel organisiert, sind irgendwo zwischen Egoismus und Altruismus angesiedelt und klingen spröder, als sie sind. Greenpeace hat im Juni eine bundesweite Tauschparty mit 10 000 Menschen veranstaltet, unter anderem wurden im Berliner Kit Kat Club Kleider getauscht, einem Ort, an dem eher keine Stricknadel-Spießer anzutreffen sind. Zudem gibt es ja die Möglichkeit, seine Freunde zu einer privaten Tauschparty einzuladen und sich den ganzen Abend umzuziehen und auszulachen. Vor allem Frauen bieten sich als Organisatorinnen an, nicht aus Klischee-Gründen, sondern weil sie den vollsten Kleiderschrank haben: Besitzt der deutsche Mann laut Studie durchschnittlich 73 Teile, sind es bei Frauen 118. Da die Probanden ihr Schrankvolumen schätzen sollten, ist da laut Greenpeace-Expertin Kirsten Brodde noch Luft nach oben. P.S.: Männer kann man ja trotzdem einladen.

Verkaufen oder spenden?

Ab in den Container

Leichter kann man die Fashion-Fesseln nicht loswerden. Der Gang zur Altkleidertonne gleicht dem Klirren von Weinflaschen im Glascontainer, Entledigung verschafft ja immer auch Befriedigung. So einfach ist es aber doch nicht, die Tonnen sind umstritten, zu Recht: Neben seriösen gibt es auch fragwürdige oder gar illegale Anbieter, die den guten Zweck in persönliche Bereicherung umdeuten. Einen hilfreichen Überblick findet man auf der Internetseite von Fairwertung, einem bundesweiten Netzwerk von gemeinnützigen Organisationen, die Altkleider sammeln.

Nur Bares ist Wahres

Nicht ganz so heimelig wie auf der privaten Tauschparty geht es auf dem Flohmarkt zu. Dort muss man sich mit Geizhälsen mit Andenmütze herumschlagen, die sich ihr Verhandlungsgeschick an Straßenständen in Bombay oder Marrakesch angeeignet haben. Das Gute: Es gibt Geld. Hat man den Tag überstanden, kann man sich auf die Schulter klopfen und sagen: Die Messis, das sind die Anderen. Vielleicht hat man auch ein paar nette Menschen kennengelernt. Wem es in dieser altanalogen Welt zu sehr menschelt, begebe sich ins Internet, zum Beispiel zu Ebay.

Gutes tun

Naheliegender als die eigene Bereicherung ist vor allem in diesem Jahr die Kleiderspende. Wer seine gut erhaltene Jacke an Flüchtlinge weitergeben will, sollte nicht nur auf die schnelle Entmüllung seiner selbst achten, sondern sich informieren. Am besten bei den Erstaufnahmeeinrichtungen oder Unterkünften, in Kleiderkammern, bei städtischen Tafeln oder auch der Caritas nachfragen, was gebraucht wird. Viele Vereine stellen zudem Listen auf ihre Internetseite. Vielleicht kann auch die obdachlose Frau, die vor dem Supermarkt sitzt, eine Winterjacke gebrauchen. Und reden nicht alle immer davon, dass die Sharing Economy eine tolle Sache ist? Klar, all das kostet Zeit. Aber auch nicht mehr, als shoppen zu gehen.

Upcyclen, leasen oder einfach fair konsumieren?

Aufmotzen lernen

Kleine Schneidereien und Schuhmacher sind zwar immer noch nicht aus dem deutschen Stadtbild verschwunden, doch etwa die Hälfte der Deutschen hat laut Greenpeace-Studie noch nie Kleidung zum Schneider gebracht. Und mehr als die Hälfte der 18- bis 29-Jährigen war noch nie bei einem Schuster. Wie wäre es also damit, mal etwas richtig Ausgeflipptes zu tun: Kleidung reparieren, erhalten oder gar verschönern? Der moderne Mensch ist auf der Suche nach dem wahren Leben, er imkert auf dem Balkon herum und geht in Repair-Cafés, in denen neben Handys auch Kleidung repariert wird. Einfach mal "Repair-Café" plus Wohnsitz googeln statt "Echte Lederjacke billig". Und dann gibt es noch das "Upcycling": aus Altem Neues machen. Nicht jeder hat da Talent, aber manchmal reicht es schon, ein ausgewaschenes T-Shirt zu färben. Mittlerweile gibt es sogar "Upcycling-Workshops" und Upcycling-Webseiten mit Tipps und Diskussionsforen. Professionalisierter geht es in kleinen Fashion-Läden zu. Ist zwar eher ein Nischending für Nachhaltigkeitsfreunde, aber immerhin.

Leihen und Leasen

Manchmal reichen ein paar Wochen ohne einen Menschen oder ein Kleidungsstück, dann setzt Sehnsucht ein. In Sachen Kleidung funktioniert das in beide Richtungen: Einerseits freut man sich über den Kapuzenpulli vom Kumpel, andererseits weiß man ein ausgeliehenes Kleidungsstück wieder wertzuschätzen, wenn man es wiederkriegt. Wer diese Sache professioneller angehen will, kann Kleidung leasen. Zum Beispiel bei der Online-Börse Kleiderei: Zalando-mäßig kriegt der Kunde die Kleider nach Hause geliefert.

Umdenken

Öko-Mode ist eine boomende Nische: Fair-Fashion-Labels wie Bleed oder Armed Angels drängen auf den Markt, und die Großen versprechen mit Instore-Recycling ein gutes Gewissen, dem Zurückgeben von gebrauchter Kleidung. Bei fairer Mode gilt es vor allem, sich einen Überblick über die Vielzahl von Siegeln zu verschaffen. Als besonders vertrauenswürdig gelten laut Greenpeace das Siegel des Global Organic Textile Standard (GOTS) und das Siegel des Internationalen Verbands der Naturtextilwirtschaft (IVN Best). Also ruhig mal etwas mehr Geld für weniger Kleidung ausgeben. Den Kleiderschrank als lebendiges Museum begreifen, als Kabinett der Kleinode. Wie sagt man in Schwaben? Ich bin zu arm, um billig einzukaufen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: