Hut als Accessoire:Ein Statement verschwindet

Hut als Accessoire: Auch die Unterwelt hat Stil: Im Film "Borsalino & Co." spielt Alain Delon (rechts) einen rachsüchtigen Gangster, natürlich mit einem Hut, der ihm Eleganz verleiht.

Auch die Unterwelt hat Stil: Im Film "Borsalino & Co." spielt Alain Delon (rechts) einen rachsüchtigen Gangster, natürlich mit einem Hut, der ihm Eleganz verleiht.

(Foto: mauritius images)

Sie zierten schon die Köpfe von Alain Delon oder Humphrey Bogart: Borsalino stellt Hüte her, die es zu Glanz und Ruhm brachten. Jetzt kämpft die italienische Firma ums Überleben.

Von Thomas Steinfeld

Am 18. Dezember vergangenen Jahres erklärte ein Gericht in Alessandria, einer mittelgroßen Stadt im Piemont, die Firma Borsalino S. P. A. für zahlungsunfähig. Die Nachricht ging um die Welt. Sie tat es vermutlich auch, weil sie so leicht und eindrucksvoll zu illustrieren war: Denn Borsalino stellt Hüte her, die es zu Glanz und Ruhm brachten, vor allem im Film: auf den Köpfen von Alain Delon und Harrison Ford, Michael Jackson und Johnny Depp. Wie ein kleines, mobiles Dach sitzt ein solcher Hut auf den Schauspielern, Schutz, Trost und Souveränität zugleich versprechend. Und wenn Humphrey Bogart am Ende von "Casablanca" zu Ingrid Bergman sagt, es gebe ja immer noch die Erinnerung an Paris, dann redet nicht nur der Mann, mit halb verschattetem Gesicht. Es spricht vielmehr auch der Hut, mit einem leicht verkratzten Bariton: Die Welt mag groß und gefährlich sein, aber sie ist nicht ohne Glück und Geborgenheit.

Die Nachricht vom Bankrott muss den Autoren der Nachrufe deshalb erschienen sein, als wäre ihnen der Hut vom Kopf geweht worden (obwohl die meisten von ihnen keine Hutträger sein dürften), und als wisse man nun nicht mehr, wie man Wind und Regen widerstehen könne. Doch so endgültig ist die Meldung nicht.

Man muss eine Weile aus Alessandria hinausfahren, in eine Ebene, auf der sich, auf unnachahmlich italienische Weise, Industriebauten mit Brachen, Siedlungen mit Äckern mischen. Die Schlacht bei Marengo fand auf diesen Feldern statt, in der Napoleon im Juni 1800 die Österreicher so vernichtend schlug, dass sie Oberitalien räumten. Daran erinnert, in einer ehemaligen Villa am Rand der Landstraße, ein Museum mit etwas obskuren Öffnungszeiten. Hinter einer großen Kreuzung und einer kleinen Bahnstrecke liegt ein schlichtes, zweistöckiges Verwaltungsgebäude in hellem Gelb, über dem der Schriftzug "Borsalino" leuchtet. Dahinter erhebt sich ein großer, moderner Industriebau.

Hut als Accessoire: Ältere Werbekampagne (im Hintergrund die Fabrik).

Ältere Werbekampagne (im Hintergrund die Fabrik).

(Foto: Borsalino)

Dann aber öffnet sich eine kleine Tür auf der Seite, und in einem weiten, hohen Raum stehen vier sonderbare Maschinen, die offenbar zu einem großen Teil von Schreinern gefertigt wurden - und keinesfalls nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwei hölzerne Loren mit Kaninchenwolle warten vor der ersten Maschine. Sie ähnelt einer übergroßen Waschmaschine, die, weil man Holz nur schlecht biegen kann, eher achteckig ausgefallen ist. Sie rumpelt und faucht leise vor sich hin, und es gibt keinen Zweifel: In dieser Fabrik wird nach wie vor gearbeitet.

Der wichtigste Grund für die Abschaffung des Hutes war das Automobil

Dass die Menschen ihre Köpfe bedeckten, und zwar über die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg, genauso, wie sie Jacken oder Handschuhe trugen, ist viel weniger erstaunlich als die Tatsache, dass sie es eines Tages nicht mehr taten. Wann das war, lässt sich ziemlich genau angeben: in den Sechzigerjahren, und zwar zuerst in den westeuropäischen Ländern, dann in Nordamerika, schließlich im Osten, jeweils mit einer Übergangszeit von zehn oder zwanzig Jahren. Der wichtigste Grund für die Abschaffung des Hutes sei das privat genutzte Automobil, lautet die geläufige Erklärung für diesen Wandel. Es habe den Kopf dem Wetter entzogen, und außerdem sei es schwierig, unter einem niedrigen Dach den Hut aufzubehalten. Plausibel ist das jedoch höchstens in Teilen - denn es verschwand ja nur der Hut, nicht aber der Mantel, nicht der Schal und nicht die Jacke, und auch die Handschuhe blieben in Gebrauch, wenngleich fast nur noch (das war früher anders) der kalten Finger wegen. Für das Verschwinden des Hutes muss es andere Gründe geben.

Im Jahr 1857 gegründet, war die Firma Borsalino einst einer der größten Arbeitgeber in Alessandria. In den Fünfzigern stellten 3500 Arbeiter mehr als zwei Millionen Hüte im Jahr her, und ein jeder von ihnen saß dann auf einem Kopf, der sich durch den Hut von einem kleinen, etwas unförmigen Fortsatz des Rumpfes in einen wohlproportionierten oberen Abschluss der ganzen Figur verwandelt. Denn dies ist die Funktion eines Hutes, über allen Trost und Schutz hinaus: Er schafft eine Silhouette, er verleiht einem Menschen eine deutliche, einprägsame Gestalt, die sich vor jedem Hintergrund abhebt. Man vergleiche nur alte Fotografien von Versammlungen, in der Hüte getragen werden, mit modernen Menschenmengen: Auf den alten Bildern ist es, als besäße jeder Hutträger ein Dasein für sich allein. Entsprechend groß ist (oder besser: war) die Bedeutung eines Hutes, weswegen er sich in hohem Maße als Gegenstand der ästhetischen, ja auch überschwänglichen Gestaltung empfiehlt.

Der Fedora von Borsalino zeichnet sich durch eine besondere Lässigkeit aus

In den Achtzigern gab die Firma Borsalino ihre Fabrik in der Innenstadt von Alessandria auf, einen prächtigen Bau im Stil des "Liberty", der italienischen Variante des Jugendstils, mit der um das Jahr 1900 wieder einmal eine Renaissance Italiens hätte einsetzen sollen. Damals also, als kaum noch jemand einen Hut trug, zog die Fabrik nach Spinetta Marengo. Die alten Maschinen aber, teils noch im 19., teils im frühen 20. Jahrhundert und zum größten Teil aus Holz gefertigt, nahm sie mit. Sie arbeiten immer noch, wie Pferdefuhrwerke in Zeiten des selbstfahrenden Automobils - von der großen Waschmaschine, in der sich Wolle in Haare verwandelt, über zwei lange Walkanlagen, in der die Haare zu einem losen Geflecht von Fasern verarbeitet werden, bis zu hin zu einem Gerät, das aussieht, als hätte ein Tischler versucht, eine Apollo-Raumkapsel nachzubauen: Hier werden die Haarfasern mit Wasserdampf auf einen metallenen Konus geblasen, so dass sich nicht nur Filz bildet, sondern auch die Urform aller Hüte. Transportiert werden die werdenden Hüte auf Rollwägen, die aussehen, als wären sie von Henry van de Velde, dem Architekten des Jugendstils, erdacht. Wer hat sich solche Techniken einfallen lassen? Und warum? Wer kam auf den Gedanken, dass es solcher abenteuerlichen Wendungen des Materials bedarf, um gewöhnlichen Menschen eine "Krone" - so nennt man den Mittelteil eines Hutes - mitsamt Krempe aufzusetzen? Eine gestrickte Mütze wärmt doch auch.

Elena Esposito, eine in Bologna und in Bielefeld lehrende Soziologin, spricht, wenn sie Mode erklären will, von der "Verbindlichkeit des Vorübergehenden". Der Ausdruck ist glücklich gewählt: Man begegnet einem Menschen, mehr oder minder zufällig, en passant, wie es so heißt. Doch für einen Augenblick zieht dieser Mensch die Aufmerksamkeit auf sich, nicht nur seines Gesichtes oder seiner Figur wegen, sondern weil er sich zu einer unverwechselbaren Gestalt gemacht hat - er hat sich gleichsam in seiner Kleidung "fixiert". Zugleich aber, erklärt Elena Esposito, sei es mit Mode nicht vereinbar, sich zu sehr fixieren zu lassen. Auch deshalb, so ist zu vermuten, ist der Borsalino als Accessoire männlicher Mode erfolgreicher und beständiger als etwa ein Zylinder, ein Bowler oder auch ein Trilby. Denn der Borsalino, genauer: der Fedora von Borsalino, zeichnet sich durch eine besondere Lässigkeit aus, und zwar nicht nur weil der Filz weicher ist oder weil die Vorderseite der Krempe ein wenig nach unten hängt. Vielmehr bildet sich die Hand des Trägers in die Form des Hutes ein: Man hält den Borsalino, wenn man ihn etwa zum Gruß hebt, mit dem Daumen und dem Mittelfinger, während der Zeigefinger ihn von oben drückt. Um den Fingern entgegenzukommen, besitzt der Fedora an allen drei Stellen je eine Delle.

150 000 Hüte pro Jahr werden noch hergestellt

Man zögert, die Produktionsanlage für solche Hüte eine Fabrik zu nennen. Sie ist eine Manufaktur, und im Lauf der fünfzig oder sechzig Arbeitsschritte, die für die Herstellung eines Borsalino notwendig sind, gibt es selbstverständlich einen Experten, der, mit Hilfe von Druck und Dampf - den beiden wichtigsten Elementen in der Herstellung von Hüten, abgesehen von Kaninchen-, Hasen- und Biberfell - für das Entstehen jener Dellen sorgt. Es gibt eine Arbeiterin, die den Rohling, der noch der Mütze des Zauberers Gandalf ähnelt, schrumpfen lässt, einen weiteren Arbeiter, der ihm die Form eines Hutes, mit Krone und Krempe, beibringt, einen weiteren, der die halbfertigen Hüte in einen Kessel mit Farbe taucht, und ganz zum Schluss eine Fachkraft, die den Namen des Herstellers und vielleicht auch die Größe mit Hilfe von Blattgold in das Innenband prägt. Viele dieser achtzig Arbeiter seien schon in der dritten Generation bei Borsalino beschäftigt, sagt der Pressesprecher der Firma. Man glaubt es ihm, wenn man sieht, mit welcher Sicherheit einer dieser Arbeiter den Saum einer Krempe über eine kleine stählerne Rolle laufen lässt, damit sich dieser Rand dauerhaft nach oben wölbt.

Hut als Accessoire: In der Fertigungshalle der Traditionsfirma bei Alessandria stehen noch immer Maschinen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert.

In der Fertigungshalle der Traditionsfirma bei Alessandria stehen noch immer Maschinen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert.

(Foto: Borsalino)

150 000 Hüte pro Jahr werden noch hergestellt, um einiges mehr als in den finsteren Zeiten, als die Fabrik aus der Innenstadt in die offene Ebene zog. Das liegt zunächst an einem festen Stamm von Kunden, zu dem heute offenbar weniger Berufsverbrecher als vielmehr etwa orthodoxe Juden gehören - ihretwegen unterhält Borsalino eigene Geschäfte in Brooklyn und in New Jersey. Aber auch der katholische Klerus trägt gern Hüte dieser Marke. In den vergangenen Jahren ist der Hut zudem in die Mode zurückgekehrt, allerdings in geringem Umfang und auf ähnliche Weise, wie der Bart oder die Hosenträger wieder populär geworden sind: weniger als Stil denn als Reminiszenz an einen Stil. Die historische Reminiszenz erscheint offenbar als Möglichkeit, sich einem längst vergesellschafteten Geschmack zu widersetzen, durch eine lebendige Erinnerung an Geschichte und Handwerk - wozu dann der hohe Preis ebenso gehört wie die kleine Gemeinde der Hutträger und die Personalisierung des Hutes durch eine individuelle Inschrift im Innenband.

Müsste Borsalino dann nicht, nach vollendeter Schrumpfung, ein erfolgreiches Unternehmen sein? Eigentlich schon, aber so ist es nicht. Das liegt daran, dass die Firma in den späten Achtzigern von einer Investmentgesellschaft gekauft wurde, die Borsalino als Sicherheit für riskantere Engagements benutzte und dabei auch überlegt haben soll, den Firmennamen in eine Franchising-Marke für Mode-Artikel zu verwandeln. Das ging nicht gut. Bald war der Hutfabrikant selbst hoch verschuldet, woraufhin eine andere Investmentgesellschaft die Marke kaufte - und seitdem die Produktion und die dazugehörigen Anlagen mietet. Die Investmentgesellschaft macht mit den Hüten Gewinn. Die Borsalino S.P.A. aber konnte sich mit den Gläubigern nicht einigen, weshalb ein Richter die Firma für zahlungsunfähig erklärte. Was jetzt geschehen wird, weiß man nicht: Die Entscheidung des Gerichts ist angefochten, ein Verhandlungstermin ist für den 13. März anberaumt, aber die Klärung kann Jahre beanspruchen. Im äußersten Fall droht eine Auktion. Unterdessen rattern und dampfen die Maschinen leise weiter.

Umberto Eco kam in Alessandria zur Welt. Völlig klar, welcher Hut sein Markenzeichen war

In Alessandria, im Erdgeschoss des alten Fabrikgebäudes, konnte man bis vor kurzem ein Borsalino-Museum besuchen. Es ist, wie die offizielle Sprachregelung lautet, gegenwärtig wegen einer langwierigen Renovierung geschlossen. Ein paar Straßen weiter, in der historischen Altstadt, gibt es ein Ladengeschäft der Firma Borsalino, im selben Jugendstil erhalten, der einst auch die Fabrik beherrschte. Dort findet man zwar Sonderangebote, und ein wenig unordentlich ist es auch. Das aber, versichert der Verkäufer, sei allein dem Wechsel von der Winterkollektion auf die Frühjahrsmode geschuldet. Tatsächlich sind dort schon frische Damenhüte in Millennial Pink zu sehen. Ende Dezember, an einem kalten, grauen Tag, fand in Alessandria eine Demonstration von ein paar hundert Hutträgern statt. Später nahm sogar die Fußballmannschaft von Alessandria (sie ging 2003 in Konkurs und spielt heute in der dritten Liga) in Hüten Aufstellung. Und überall beruft man sich auf Umberto Eco, der, in Alessandria geboren, der berühmteste unter den späten Trägern des Hutes in Italien gewesen war.

Fast alle Accessoires hat der moderne Mensch abgelegt, in einer scheinbaren Konzentration auf das Wesentliche: den Stock, das Einstecktuch, die Taschenuhr, den Hut und, nicht zu vergessen, die Zigarette. Gemeinsam ist diesen Dingen nicht nur, dass sie von zweifelhafter Nützlichkeit sind. Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie mit Gesten verbunden sind - der Stock wird geschwungen, mit dem Tuch wird gewunken, die Uhr wird gezückt, und man lüpft oder zieht den Hut. Ein ganzes Register menschlicher Beziehungen tut sich in den Gesten auf. Gar nicht unsinnig ist auch deshalb die Vorstellung, ein Borsalino könne reden.

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