Klangkörper:Astrein

Dieser Forst hängt voller Geigen: Seit Jahrhunderten ist Holz aus dem Latemarwald in Südtirol das bevorzugte Material für Spitzeninstrumente.

Von Titus Arnu

Das dunkelgrüne Moos ist noch feucht vom Morgentau, es riecht würzig nach halb vermoderten Tannennadeln und frischem Gras. Es ist nicht komplett still im Wald. Überall raschelt und knackt es. Irgendwo in der Nähe kreischt ein Tannenhäher und flattert aufgeregt mit den Flügeln. Neben dem Wanderweg blühen üppige Stauden in Lila und Gelb. "Der Boden besteht hier zu einem großen Teil aus Kalkbraunlehm", sagt Michael Baumgartner, "er enthält sehr viele Nährstoffe. Gut für die Blumen, gut für Fichten!"

Michael Baumgartner ist Leiter der Forstschule Latemar, sein Familienname passt so perfekt zu seinem Beruf wie seine Statur - ein stämmiger, hoch gewachsener Mann, der so wirkt, als könnte ihn so schnell nichts umhauen. Die Südtiroler Forstschule ist eine renommierte Einrichtung, angehende Förster und Jäger lernen dort ihr Handwerk, Laien können Kurse über Pilzkunde, Bergkräuter und die Zubereitung von Wildbret belegen. Idyllischer liegt wohl kaum eine Schule: Die landeseigene Bildungsstätte am Karerpass bei Welschnofen ist umgeben von rund tausend Hektar landeseigenem Wald, im Hintergrund ragt das sagenumwobene Rosengarten-Massiv auf. Und in der Nähe steht das Landessägewerk Latemar, in dem vom Land angestellte Holzarbeiter landeseigene Bäume zu Brettern, Balken und Hackschnitzeln verarbeiten.

Klangkörper: Traumhaft schön ist die Natur im Latemarwald in Südtirol.

Traumhaft schön ist die Natur im Latemarwald in Südtirol.

(Foto: Titus Arnu)

Baumgartner führt dort durch Lagerhallen, Trockenanlagen und Werkstätten, bis er im Allerheiligsten steht. Ein kleiner Raum mit Vitrinen und Regalen, in denen ganz besonders wertvolle Hölzer liegen. Der Holz-Experte nimmt eines der Vierkantstücke in die Hand, streicht sanft mit den Fingern darüber, klopft mit den Knöcheln darauf herum, schnuppert daran. Das Holzstück hat enge, fast parallel nebeneinander liegende Jahresringe, es sind keine Astlöcher zu sehen, die Maserung zieht sich schön gleichmäßig durch. "Ein hochwertiges Klangholz", sagt Michael Baumgartner. Kunden zahlen bis zu 3000 Euro pro Kubikmeter dafür. Die vergleichbare Menge gewöhnliches Bauholz kostet 100 Euro, Fichten-Brennholz bekommt man schon für 45 Euro pro Kubikmeter.

Manche Kunden wollen, dass ihr Baum in einer bestimmten Mondphase gefällt wird

Instrumentenbauer und Musiker aus der ganzen Welt pilgern in diesen unscheinbaren Raum am Karerpass, um sich ihr ganz persönliches Lieblingsholz auszusuchen. "Es gibt auch Kunden, die durch den Wald wandern und so lange suchen, bis sie ihren perfekten Baum gefunden haben", sagt Baumgartner. "Andere kaufen einen Stamm und lassen ihn dann jahrelang in einen Bach legen, damit sich ,Strahlung' und ,Aura' besser ausrichten." Nicht wenige Kunden bestehen darauf, dass der Wunschbaum in einer bestimmten Mondphase gefällt wird. Mondholz, Strahlung, Aura - ob das alles existiert und tatsächlich eine Auswirkung auf den Klang hat? Baumgartner zuckt die Achseln. Er ist da eher der nüchterne Beobachter: "Als naturwissenschaftlich geprägter Forstwirt sage ich lieber nichts dazu."

Der kalkreiche Boden und das kühle Klima sind ideal für die Klangfichten

Seinen hervorragenden Ruf hat das Holz aus dem Rosengarten-Gebiet seit Antonio Stradivaris Zeiten. Im "Wald der Geigen" im Paneveggio-Gebiet am Rollepass hat der Geigenbaumeister aus Cremona einst höchstpersönlich das Holz für den Bau seiner weltberühmten Instrumente ausgesucht. Auch andere erfolgreiche Geigenbaumeister wie die Guarnieris und die Amatis verwendeten Holz aus dieser Gegend. Historisch belegt ist ein Besuch Stradivaris im benachbarten Val di Fiemme im Jahr 1719, wo er hochwertiges Fichtenholz für seine Instrumente kaufte. Heutzutage kommen Alphorn-Virtuosen aus der Schweiz, Klavierbauer aus Deutschland, Gitarrenhersteller aus den USA - und immer wieder Materialwissenschaftler, die versuchen, mehr über die besonderen Akustik-Eigenschaften des Holzes herauszufinden.

Grundsätzlich wachsen die Bergfichten rund um das Rosengarten-Massiv besonders gerade und hoch, weil der kalkreiche Boden für diese Baumart ideal ist. Und weil es ausreichend, aber nicht zu viele Niederschläge gibt und der Untergrund reich an Humus ist. Die Qualität des Wassers und ein kühles Klima seien ebenfalls gute Voraussetzungen für das Wachstum der Bäume, wissen die Experten. "Die besten Klangfichten gedeihen in Höhen zwischen 1500 und 1800 Metern, in geschützten Mulden, wo sich das Grundwasser sammelt", erklärt Michael Baumgartner. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, kommt es noch darauf an, dass der Baum möglichst gleichmäßig und gerade wächst, die Jahresringe sollen Abstände von ein bis zwei Millimeter haben. Latemarholz ist deutlich leichter und graziler als vergleichbares Fichtenholz, es ist gleichermaßen elastisch und stabil.

Klangkörper: Die Fichten aus den Bergen sind bestens geeignet für den Bau von Musikinstrumenten.

Die Fichten aus den Bergen sind bestens geeignet für den Bau von Musikinstrumenten.

(Foto: Thomas Guitars)

Eine sehr enge Faserstruktur mit sieben bis zehn Jahresringen pro Zentimeter ermöglicht optimale Schallschwingungen. Manche Kunden kommen mit Schallrichtungsmessgeräten, um die akustischen Qualitäten des Holzes zu überprüfen. Gutes Klangholz muss mindestens 200 Jahre alt sein, und es wird während der "Saftruhe" geschnitten, also in den Wintermonaten, wenn Wasser- und Nährstofftransport in der Pflanze zum Erliegen kommen. Besonders begehrt sind sogenannte Haselfichten, das sind Fichten mit einer besonderen Holzstruktur. Die Jahresringe dieser Bäume sind schmal und verzahnt, der Fachmann nennt das "wimmerwüchsig". Das Holz sieht aus wie marmoriert. Die gewellten Holzfasern bewirken, dass die Töne länger klingen und das Holz besser schwingt. Daher eignen sich Haselfichten hervorragend für den Instrumentenbau. Noch sind sich die Wissenschaftler nicht im Klaren darüber, wie diese besondere Wuchsform entsteht. Man nimmt an, dass neben Standort und Klima auch genetische Faktoren eine Rolle spielen.

Es wurde schon viel geforscht zum Klangholz vom Rosengarten, aber einem Baum sieht man trotzdem nicht von außen an, ob er eine gute Geige oder eine Gitarre wird. "Das merkt man erst, wenn sie am Boden liegt", sagt Forstfachmann Baumgartner. Welches Holz für welches Instrument taugt, ist oft auch Geschmackssache. Fest steht: Je länger man wartet, desto besser wird das Material. Ein Geigenbauer, der sich im Jahr 2017 ein Stück Holz von einer 200 Jahre alten Klangfichte kauft, wird dieses noch mehrere Jahrzehnte, vielleicht sogar 100 Jahre lagern - und möglicherweise wird erst sein Nach-Nachfolger ein Instrument daraus machen.

Klangkörper: Allerdings muss das Holz dafür erst mal sehr lange Zeit lagern, um dann bearbeitet zu werden.

Allerdings muss das Holz dafür erst mal sehr lange Zeit lagern, um dann bearbeitet zu werden.

(Foto: Thomas Guitars)

Bei allem Fachwissen kann auch Michael Baumgartner beim Wandern durch den Latemarwald nicht erraten, welche Fichte in hundert Jahren vielleicht mal einen Starauftritt als Weltklasse-Geige haben wird. Eine holländische Kundin dagegen war sich da ganz sicher. Sie hatte mehrere Tage lang im Wohnwagen am Karerpass gewohnt und war jeden Tag in den Wald gestiefelt, um an Bäumen zu klopfen und an ihnen zu riechen. Auf der Suche nach dem perfekten Klangholz verliebte sie sich in eine bestimmte Fichte, die sie dann der Forstverwaltung abkaufte. Der Baum hatte ihrer Meinung nach besonders gute Resonanzeigenschaften.

Die Fachleute rieten ab, doch die Holländerin bestand darauf, dass ihr Lieblingsbaum gefällt werden sollte. Was dann geschah. Leider war er innen hohl und damit komplett unbrauchbar. In diesem Fall muss man feststellen: Chance vergeigt.

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