Süddeutsche Zeitung

Kirchennutzung:Gottes Häuser

Viele Kirchen stehen in Ermangelung von Gläubigen leer. Sie werden verkauft oder versteigert, zum Beispiel an diesem Wochenende im Sauerland. Und dann?

Von Gerhard Matzig

Das Zierfischbecken, das sich der gewesene Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst für seine teuflisch teure Residenz in Limburg hat bauen lassen (und für die Koi-Karpfen, die in der Genesis als "Fische im Meer" und nicht als Zierfische in Limburg gelistet sind), hat damals 213 000 Euro gekostet. Schon mit dem Gegenwert eines halben Beckens könnte man an diesem Samstag die Kirche St. Paulus im sauerländischen Altena ersteigern. Das Einstiegsgebot für die bereits vor 14 Jahren profanisierte, also aufgelöste, katholische Kirche, die seither erfolglos zum Verscherbeln steht, beginnt bei 99 000 Euro. Inklusive Pfarrhaus. Ein Schnäppchen. Das Limburg-Projekt kostete mehr als dreißig Millionen Euro.

Das für Altena zuständige Bistum hat der Auktion unter bestimmten Voraussetzungen zugestimmt. Dem Onlinemagazin Kirche und Leben zufolge ist "bei der künftigen Nutzung der Betrieb von Bordellen oder sonstigen Einrichtungen des Rotlichtmilieus ausgeschlossen". Auch "nichtchristliche" Religionen dürfen nicht mitsteigern. Bevor man das jetzt zusammendenkt und zum Ergebnis kommt, dass Huren, Freier, Zuhälter und beispielsweise Muslime leider draußen bleiben, ist zu sagen: Was in Altena an diesem Wochenende passiert, ist keineswegs so bizarr wie das, was sich die Kirche unter dem nichtchristlichen Rotlicht vorstellt. Übrigens: Der französische Philosoph Michel Foucault hat einmal gesagt, dass Bordelle, Gefängnisse und Kirchen etwas verbinde: Das seien "Heterotopien", nämlich Räume, denen das Anderssein in einer sonst durchfunktionalisierten Welt gemeinsam sei.

Der Soziologe Nico Nelissen schreibt jedenfalls in dem (von Oliver Meys und Birgit Gropp herausgegebenen) kundigen Buch über "Kirchen im Wandel": "Die Säkularisierung der Gesellschaft hat viele Folgen, unter anderem den Leerstand, die Umnutzung und auch den Abriss von Kirchen. Die Umnutzung von Kirchen ist ein Phänomen aller Zeiten und Länder. Spezifisch für das aktuelle Phänomen der Kirchenumnutzung ist jedoch die Schnelligkeit, mit der sich dieser Prozess vollzieht."

Wobei man St. Paulus, das kein Bordell, aber eine Kletterhalle, ein Hotel oder ein Handyladen werden darf, zugutehalten muss: Jahrelang hat man sich Gedanken über den Erhalt gemacht. Vergebens. Derzeit sind die großen Kirchen in Deutschland, was das sogenannte Nutzerverhalten angeht, wohl eher schwierig zu vermitteln. Die Austrittszahlen belegen das. Die Sakralräume vereinsamen. Doch auch leer stehende Immobilien kosten Geld. Selbst wenn man die Koi-Karpfen aller Kirchenfürsten wundertätig vermehren und verkaufen wollte: Das reicht nicht zum Erhalt der Kirchen, die noch immer in den Dörfern und Städten signifikante Raumdominanten darstellen. Was auch, zur Orientierung, für manche Seele gilt.

Es ist seltsam: Um die Deutungshoheit nicht zu verlieren, gebärdet sich manche Kirchengemeinde immer weltlicher und spektakelheischender, indem man Gottesdienste im ICE feiert. Oder für Biker. Oder Katzenliebhaber. Oder für katzenliebende Biker. Oder die Messe findet beim Fähranleger statt. Auf dem Sportplatz in Schwürbitz - als "Fußball-Gottesdienst". Beim Friseur, in der Bäckerei oder (vor sieben Jahren in Köln) im Rotlichtmilieu.

Man kann beichten per Smartphone und erhält die App-Solution. Bloß nicht aus der Zeit fallen: Das ist die Sorge einer Kirche, die eben deshalb aus der Zeit fällt. Es ist keine Überraschung, dass man analog zu dieser Verweltlichung des Sakralen die Sakralisierung des Profanen beobachten kann. Wer in der Münchner BMW-"Welt" je seinen Wagen als fahrbares Cabrio-Credo abgeholt hat, der weiß, dass er keinen Wagen abgeholt, sondern einem Götzendienst beigewohnt hat. Und der Rest? Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche und das Triple des FCB. Amen.

Kein Wunder, dass sich, wenn schon der Glaube an dies & das überall beheimatet ist, exakt dieses Alles nun auch in die Kirchen ergießt. In profanisierte Kirchen ziehen Wachskerzenfabriken ein, Jugendhotels, Edellofts oder Bibliotheken. "In jeder Phase der Geschichte sind Gebäude errichtet, umgebaut, zerstört oder umgenutzt worden. Die im Laufe der Geschichte erhalten gebliebenen Gebäude haben heute fast alle eine andere als ihre ursprüngliche Nutzung. Auch Kirchen haben in der Geschichte oft eine andere Funktion bekommen. Sie sind genutzt worden als Justizpalast, Museum, Konzerthalle, Schauspielhaus, aber auch als Wohnung, Möbelgeschäft oder Kasino." Das schreibt Nico Nelissen über die "Kirchenumnutzung in den Niederlanden". Zwischen 1975 und 2008 haben unsere Nachbarn schon an die tausend Kirchen geschlossen.

Tim Rieniets, Professor für Stadt- und Raumentwicklung, glaubt mit Blick auf Deutschland, "dass die große Welle von Kirchenschließungen noch bevorsteht". Es gibt tatsächlich Prognosen, die etwa für Nordrhein-Westfalen langfristig jede dritte Kirche als gefährdet ansehen. Mit Blick auf die Historie der Christenheit könnte man die Zukunft, in der aus ehrwürdigen Kirchen temporäre To-go-Läden werden, eigentlich gelassen abwarten. In der Frühgeschichte trafen sich die Gläubigen heimlich in Erdhöhlen, privaten Häusern oder in der Natur.

Wenn aber auch noch aus der letzten Kirche ein Teppich-Abholzentrum geworden ist, wird man feststellen, dass die Kirchen die allerletzten Räume eines noch nicht endgültig durchfunktionalisierten Andersseins waren. Auch letzte öffentliche und freie Räume jenseits der privatökonomischen Weltordnung. Es ist nicht so, dass es nicht genug Profanes und Banales gäbe in der Welt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4596792
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.09.2019/hij
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.