Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Eigener Herd":Alles auf Zucker

Karamell ist eigentlich nur geschmolzener Zucker - und ein vielseitiges Zaubermittel. Mit der klebrigen Substanz lassen sich Desserts geschmacklich und optisch vergolden. Auch Gemüse und Fleisch bekommen durch Karamell ganz besondere Aromen.

Von Titus Arnu

Die Crème brûlée ist ein alter Knacker. Nicht nur, weil der Deckel aus gebranntem Zucker so schön knirscht, wenn man mit dem Löffel hineinsticht. Das Dessert gehört auch zu den ältesten Rezepten der französischen Küche. Ob die gebrannte Vanillecreme ursprünglich aus Spanien stammt, wo sie als Crema Catalana bekannt ist, aus Flandern oder England, darüber sind sich die Küchengelehrten uneins. Fest steht, dass die Crème brûlée erstmals 1691 im Kochbuch "Cuisinier roïal et bourgeois" erwähnt wurde. In den 1980er-Jahren wurde die heiße Liebe zur Crème brûlée von Paul Bocuse neu entflammt - und dadurch erst weltweit zum absoluten Burner.

Ob man die gebrannte Creme mit Orangenschale, Lavendel oder gar mit Ziegenkäse aromatisiert, ist Geschmackssache. Unverzichtbar jedoch sind der charakteristische Knackeffekt und die Crunchy-Konsistenz der Zuckerhaube. Die nussige, leicht bittere Note des Karamells mildert außerdem die massive Süße der Vanillesahne etwas ab. Für den goldbraunen Knusperdeckel braucht man weißen, feinen Zucker, einen Bunsenbrenner - und viel Geduld und Übung. Wer vermeiden will, dass sein Karamell-Dessert abraucht und zu einem schwarzen Klumpen verschmort, sollte vorher ein paar Chemie-Experimente für Anfänger machen.

Karamell ist im Prinzip nur geschmolzener Zucker. Bei etwa 150 Grad beginnen sich die Kristalle aufzulösen, ein Teil der Flüssigkeit verdampft. Es bildet sich eine zähe Masse, die sich goldgelb bis tiefbraun färbt. Bei dieser chemischen Umwandlung entstehen köstliche Röstaromen, die je nach Temperatur und Dauer des Schmelzvorgangs von herbsüß bis zartbitter variieren. Wenn es zu heiß wird, kann das Ganze allerdings innerhalb von Sekunden verbrennen und schwarz werden. Die Pfanne sieht dann schlimmstenfalls aus wie ein Atomreaktor nach der Kernschmelze, die Küche stinkt höllisch - und das Karamell ist gänzlich ungenießbarer Sondermüll.

Es gibt zwei Methoden, um Karamell herzustellen: trocken oder nass. Bei der Trockenmethode entsteht Karamell, der nach dem Abkühlen knallhart und glasig wird, geeignet für Bonbons oder Krokant. Bei der Nassmethode mit Wasser bekommt man einen Karamellsirup, den man für Saucen, Cremes, Puddings und zum Überziehen von Eis und Kuchen verwenden kann. Wichtig bei beiden Methoden: Der Schmelztiegel (am besten eine beschichtete Pfanne oder ein Edelstahltopf) muss penibel sauber gemacht werden, jeder kleine Krümel kann zur Klumpenbildung führen.

Für die Herstellung von Karamellsirup empfiehlt die italienische Kochbibel "Silberlöffel" 120 ml warmes Wasser auf 100 g Zucker. Bei kleiner Hitze mit einem Holzlöffel rühren, bis sich der Zucker auflöst und der Sirup goldbraun und dickflüssig ist. Für die trockene Karamell-Fabrikation Zucker in die schwere Pfanne oder einen breiten Topf geben und unter ständiger Beaufsichtigung bei starker Hitze schmelzen lassen. Vorsicht, geschmolzener Zucker kann bis zu 200 Grad heiß werden, Spritzer verursachen Verbrennungen auf der Haut - erfahrene Karamellisateure tragen langärmelige Kleidung und Schürze.

Ein Kracher ist die Verbindung mit Salz

Auch Zucker, der in Gemüse und Früchten enthalten ist, kann karamellisieren. Beim Anbraten von Zwiebeln, Äpfeln und Möhren spielt sich ein ähnlicher chemischer Prozess ab wie beim Schmelzen von purem Zucker. Um das Aroma zu verstärken, kann man Zwiebeln beim Anbraten zusätzlich mit Zucker karamellisieren. Gehackte Zwiebeln in Öl andünsten, nach und nach Zucker zugeben und schmelzen. Mit Sojasauce oder etwas Wasser ablöschen. In der vietnamesischen Küche ist das Karamellisieren auch bei herzhaften Gerichten wie Bun Cha beliebt - knusprig gebratenes Schweinefleisch mit Fischsauce und Limettensaft. Eine süß-salzig-saure Geschmacksexplosion, die zu großen Teilen karamellisiertem Zucker und Honig zu verdanken ist.

Ein Kracher ist auch die Verbindung von Salz und Karamell, die seit ein paar Jahren im Trend ist. Keine hippe Vegan-Eisdiele, kein Schokoladenhersteller kommt ohne "Salted Caramel" aus. Snacks mit dieser Geschmacksnote lassen sich leicht selber herstellen, etwa indem man Nüsse in der Pfanne karamellisiert und eine Prise Salz dazugibt. Das Gleiche geht gut mit selbst gepopptem Popcorn.

Wer lieber im Süßbereich bleibt, kann mit wenigen Mitteln ein Dessert fabrizieren, das ganz viel hermacht: karamellisierte Äpfel mit Wacholderrahm. Geschälte Apfelstücke in braunem Zucker karamellisieren, bis sie innen weich und außen hellbraun und knusprig sind. Aus der Pfanne nehmen, restlichen Karamell mit Sahne ablöschen, ein paar zerdrückte Wacholderbeeren, Vanillezucker und Zimt dazugeben, kurz aufkochen lassen und mit den Äpfeln servieren. Das hat bis jetzt noch jede Gästin dahinschmelzen lassen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5225429
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/kar
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.