Süddeutsche Zeitung

Kamala Harris:Macht der Farbe

Der weiße Hosenanzug der designierten Vizepräsidentin der USA war eine Hommage an die Suffragetten. Doch warum trug Margaret Thatcher immer Blau, wofür steht Pink? Eine kleine Farbenlehre.

Von Anne Goebel

Seit Kamala Harris Samstagnacht europäischer Zeit wie eine Lichtgestalt auf die Bühne von Wilmington trat, hat die Modewelt ein neues Lieblingsthema: den weißen Anzug. Egal, dass er äußerst unpraktisch zu tragen ist, weil so ein Stück nur in unbeschmutztem Blütenrein gut aussieht - also praktisch nie. Geschenkt, dass Novembertage kaum die ideale Periode für ein Outfit sind, das in nichts dem jahreszeitlichen Bedürfnis nach Einkuscheln entspricht. Spielt alles keine Rolle vor lauter Begeisterung über die strahlend schöne Vizepräsidentin der kommenden vier Jahre und ihre Hommage an die weiß gekleideten Suffragetten.

Get her look: Das ist die Parole im Netz, euphorisch werden die entsprechenden Zweiteiler und Schleifenblusen gesichtet und geordert. Gut möglich, dass man demnächst beim nebligen Fünf-Uhr-Spaziergang einer Nachahmerin begegnet, die das Grau der Herbst- und Corona-Tage mit einem Auftritt als Astralfrau zumindest vorläufig durchbricht. Was wahrhaftig keine schlechte Aussicht ist in dieser modemüden Zeit.

Wenn man allerdings Axel Buether zuhört, ist die Botschaft des monochromen Harris-Looks fast etwas beängstigend. Buether ist Farbforscher und Professor an der Bergischen Universität Wuppertal, vor Kurzem ist sein Buch "Die geheimnisvolle Macht der Farben" erschienen (Droemer Verlag). Den Siegerauftritt nach der US-Wahl hat er sich sozusagen durch seine Fachbrille angesehen. "Das war symbolisch sehr aufgeladen. Weiß ist eine Farbe, die für Reinheit steht. Wie Harris damit auf die Bühne kam - das war inszeniert wie eine Art von Erlösung." Weiß stehe in allen Kulturen für Licht und sei damit ein Symbol für die "Anwesenheit Gottes auf Erden". Daher etwa die weiße Soutane des Papstes. In der Neuzeit wurde die Farbe außerdem Sinnbild für technischen Fortschritt und Unfehlbarkeit, so Buether weiter. "Die ersten Ozeandampfer, später Flugzeuge und Raketen, sie sind alle weiß. Es ist die Farbe der Perfektion."

Wenn man dann noch weiß, dass Harris ihr Outfit auch als Reverenz an die Kämpferinnen der Frauenrechtsbewegung verstand: ziemlich viel Bedeutung für einen ersten Auftritt. An all das sollte man als Durchschnittsmensch lieber gar nicht denken beim Hineinschlüpfen in den neuen Eierschalen-Blazer von Topshop oder Zara (auf schwarze Knöpfe achten, sie dimmen den Anspruch auf Makellosigkeit).

Julia Roberts' rotes Kleid, Margaret Thatchers blauer Blazer: alles kein Zufall

Dass jede Farbe ihre Symbolkraft besitzt, hat bekanntlich schon Goethe fasziniert - "die Erfahrung lehrt uns, daß die einzelnen Farben besondre Gemütsstimmungen geben" -, und dementsprechend sind sie in der Mode immer eingesetzt worden. Dass sich gerade der Ton, die ganz bestimmte Nuance eines Kleidungsstücks so stark einprägt, hat vielleicht damit zu tun, dass wir über beides mit unserer Umwelt kommunizieren - und sei es unbewusst. Der Kamala-Harris-Anzug wird jedenfalls für einige Zeit das berühmteste weiße Outfit bleiben - ein Spiel, das man auch bei allen anderen Farben durchgehen kann.

Als eines der "most famous red dresses" gilt etwa Julia Roberts' Schulterfreies in "Pretty Woman", weil die Figur der Vivian Ward alles vereint, wofür die Signalfarbe steht: Vitalität, Dominanz und Gefährlichkeit - schließlich hatte Richard Gere als Finanzinvestor nicht vor, sich ernsthaft in eine Prostituierte zu verlieben. Schwarz steht, schreibt Axel Buether in seinem Buch, für Unnahbarkeit ebenso wie für suggestive Dramatik. In die Mode übersetzt heißt das: Audrey Hepburn als Holly Golightly im Film "Frühstück bei Tiffany" dient das kleine Schwarze dazu, hinter einer Fassade als schrilles Partygirl ihr wahres Ich zu verbergen. Der Gegenentwurf: Liz Hurley im nachtschwarzen Sicherheitsnadeldress von Versace, bis heute das unzweideutigste Kleid der Welt.

Viele Farben suggerieren erstaunlicherweise Gegensätzliches: Dass Rosa für Zartheit steht, ist klar bei all dem Zubehör für kleine Mädchen, mit dem sie auch heute noch von Geburt an in die verletzliche Ecke gestellt werden. Es ist aber auch die Farbe der Laszivität, perfektioniert durch Marilyn Monroes schlauchartige Satinroben mit passenden Handschuhen. Grün ist logischerweise ein Sinnbild für Natur, allerdings kann die beruhigende Farbe des romantisierten Landlebens unversehens explosiv wirken - zum Beispiel, als Jennifer Lopez in ihrem legendären Dschungelkleid im Jahr 2000 die Grammys aufmischte. Und erst recht, als sie es 19 Jahre später wieder trug, als 50-Jährige und Überraschungsgast bei Donatella Versaces Modenschau in Mailand vor einem Jahr. Eine erstaunliche kleine Karriere machte vor drei Jahren das gelbe Sommerkleid, bis dahin eher etwas für nicht ganz erwachsen gewordene Frauen mit Faible für Disneys "Cinderella". Damals tanzte Emma Stone im gelben Flatterlook so leichtfüßig durch den Film "La La Land", dass jede so aussehen wollte wie sie.

Und der maximale Gegensatz zu Kamala Harris? Ist Margaret Thatcher, die Frau mit dem eisernen Willen im ewig blauen Kostüm. Nach allgemeiner Farbenlehre steht Blau - auch Angela Merkel wählt es gern, wenn es wieder mal Ernstes zu verkünden gibt - für Vertrauen, Seriosität. Daher auch die blaue Grundtönung in Nachrichtenstudios. Aber bei Thatcher wandelte sich das Seriöse zum Unflexiblen, die unvermeidliche blaue Bluse mit Schleiferl wirkte nicht nüchtern, sondern erstarrt. Beruhigend übrigens für Harris: Weiß ist nicht nur die Farbe der Perfektion und Gottesähnlichkeit, sondern auch der Leichtigkeit. Axel Buether hat Versuche mit Probanden gemacht, weiß gefärbte Kisten wirken auf sie deutlich leichter als dunkel angestrichene, obwohl das Gleiche drin war. Das kann nicht schaden für eine Frau, die sich viel vorgenommen hat.

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