Kalligrafie:Tanz der Buchstaben

Kalligrafie: Handgeschriebene Grüße, die Eindruck machen: Postkarten aus der Schreibwerkstatt von Chiara Attanasio.

Handgeschriebene Grüße, die Eindruck machen: Postkarten aus der Schreibwerkstatt von Chiara Attanasio.

(Foto: oh)

Die Kunst des Schönschreibens ist wieder gefragt. Zu Besuch im Münchner Atelier von Chiara Attanasio, die auch Kurse für eine prägnante Handschrift gibt.

Von Christian Mayer

Sie sitzen am Schreibtisch, jede für sich; die Feder kratzt übers raue Papier, manchmal huscht der Anflug eines Lächelns über ihr Gesicht. Dann wieder überkommt sie eine leise Melancholie, wie man sie spürt, wenn man schreibend den anderen herbeisehnt.

Zwei junge Frauen und ihre Liebesbeziehung zum jungen Dichter Friedrich Schiller, die auch eine Brieffreundschaft ist: Darum geht es im Historiendrama "Die geliebten Schwestern" von Dominik Graf. Der Film räumte 2015 wegen der Hauptdarsteller Hannah Herzsprung, Florian Stetter und Henriette Confurius diverse Preise ab. Doch der Film bleibt auch deshalb in Erinnerung, weil er eine Hommage ans Schreiben ist.

Kalligrafie: Chiara Attanasio.

Chiara Attanasio.

(Foto: oh)

Diese Szenen aus dem Film fallen einem ein, wenn man die Kalligrafin Chiara Attanasio an ihrem Arbeitsplatz in Schwabing besucht. Oscar, die französische Bulldogge, liegt schläfrig unter dem Schreibtisch, auf dem die 37-Jährige gerade die nächsten Aufträge in Angriff nimmt: Die Hochzeitssaison ist erst mal wieder vorbei, dafür steht wieder das große Pin-Fest in der Pinakothek der Moderne an. Hunderte Einladungen gehen bei ihr über den Tisch, auf dem Füller, Stifte, Tintenbehälter zum Einsatz kommen. Chiara Attanasio verleiht jedem Namen etwas Schwungvolles und zugleich Leichtes; sie bringt die Buchstaben zum Tanzen, ohne aus dem Rhythmus zu fallen.

Kalligrafie ist eine uralte Kunst, bei den Chinesen waren sogar die Kaiser bestrebt, es in dieser Disziplin zur Meisterschaft zu bringen. Das Innere sichtbar machen, darauf kommt es an. Chiara Attanasio, die ihre Worte mit Bedacht wählt, nennt ihre Tätigkeit lieber Handlettering. Aber kann man von diesem Handwerk auch leben? "Als ich 2011 damit anfing, habe ich erst mal zwei Jahre nicht gewusst, wie ich die Miete zahlen soll. Danach ging es langsam aufwärts", erzählt die Unternehmerin. Inzwischen laufen die Geschäfte gut, denn die Nachfrage nach Handgeschriebenen wächst in dem Maße, in dem Kommunikation im Alltag immer schneller, digitaler und manchmal auch liebloser wird. "Die Leute spüren ein Bedürfnis in sich, sie wollen keine Massenprodukte, sondern etwas Eigenes", sagt Attanasio.

Inzwischen hat die Münchnerin neue Geschäftsfelder entdeckt: Für Ladengeschäfte entwirft sie Logos und Botschaften, die sie dann selbst auf die Scheiben malt, sie arbeitet als Postkartendesignerin, Gestalterin und Dozentin. Wer will, kann bei ihr auch ein kalligrafisches Tattoo bestellen, das im Studio in die Haut geritzt wird.

Ihre Leidenschaft entdeckte sie schon in der Grundschule, als sie mit kindlicher Akribie die Hausaufgabenhefte füllte und anfing, mit Tusche zu experimentieren. Während ihrer Lehre zur Goldschmiedin spürte sie, wie sehr sie das Schreiben vermisste. Und ließ sich dann, nachdem sie Kommunikationsdesign in München studiert hatte, auf das Abenteuer ein, den Worten eine eigene Form zu verleihen.

"Jeder kann seinen persönlichen Strich finden"

"Schreiben gehört zum guten Ton, das ist in anderen Ländern noch stärker als bei uns", sagt Attanasio. Sie findet es schade, dass Schulkinder heute oft nur noch Blockschrift lernen und dass die Computer und Kleingeräte Füller und Bleistift abgelöst haben. Auch deshalb gibt sie Schreibkurse für Kinder und Erwachsene - und nimmt ihnen dabei erst einmal die Ängste. "Viele Leute glauben ja, dass sie eine hässliche Schrift haben. Aber für mich gibt es das gar nicht. Jeder kann seinen persönlichen Strich finden." Dazu gehört allerdings schon eine gewisse Übung, die richtige Stifthaltung, die Entwicklung eines Charakters. Und die Bereitschaft, etwas ganz allein für sich zu tun, bevor man es dann vielleicht mit anderen teilt. Es ist eben so wie in Dominik Grafs "Die geliebten Schwestern": Manche Briefe schreibt man mehr für sich als für den Adressaten.

Wie sehr sich ihr eigener Stil geändert hat, sieht man, wenn man alte Karten von ihr betrachtet. Das Verschnörkelte, Übermütige weicht allmählich einer einfacheren Variante, auch wenn sie noch immer verschiedene Schriftarten im Portfolio hat. Man finde beim Schreiben auch zu sich selbst, zu einer inneren Balance, sagt Chiara Attanasio. Zugleich sei es ein körperlich forderndes Handwerk. "Früher hatte ich oft Rücken- oder Nackenschmerzen, jetzt kann ich meine Kräfte besser einteilen." Und damit sie auch während der Schlussphase eines eiligen Schreibauftrags mal rauskommt an die frische Luft, hat sie ja zum Glück ihren Oscar.

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