Süddeutsche Zeitung

Kakaobohne, gentrifiziert:Macht schick

Von einer Manufaktur in Brooklyn aus begann der Siegeszug hochwertiger Schokoladen für Urbanisten, die Wert auf schönes Design und innere Werte legen. Zum Essen sind die kleinen Süßigkeiten fast zu schade.

Von Anne Goebel

Nein, sagt Ulrike Jung, um das typische Berliner Hipstertum sei es nie gegangen. Sondern darum, dass jeder Mensch an einem langen Tag gern zwischendurch etwas Süßes verdrückt. Dabei klingt ihre Geschichte genau nach einer dieser lässigen Erfolgsstorys: Ein paar Großstädter, beruflich im Kreativbereich tätig, weltanschaulich gemäßigt alternativ, sitzen abends am Tisch zusammen, haben eine Idee und machen daraus ein richtig großes Ding. Ulrike Jung saß vor drei Jahren mit ihrem Bekannten Reto Brunner bei Freunden zusammen, und die Idee war: Es gibt keinen wirklich guten Schokoriegel. Heute gehört den beiden die Manufaktur "Candy Farm" in Kreuzberg. Das Geschäft mit den honigsüßen Snacks floriert - auch deshalb, weil eben eines der Lieblingssteckenpferde hipper Urbanisten Schokolade ist.

Rasiercreme, Seifenstücke, Schokoriegel: Schön verpackt - und schon ist es Trend

Nicht irgendeine Schokolade natürlich. Hier gilt dasselbe wie beim weiterhin gehypten handwerklich gebrauten Bier oder dem Pflegeset für den unvermeidlichen Vollbart: Es reicht nicht, einen dieser Artikel in beliebiger Ausführung zu Hause zu haben, um im Trend zu liegen. Qualitativ hochwertig muss das Produkt sein, nachhaltige Herstellungsweise wünschenswert, ansprechendes Äußeres ebenfalls. Was nicht mit einer nostalgischen Anmutung zu verwechseln ist. So sehr sich gerade alle auf Dinge stürzen, die früher alltäglich und dann sehr außer Mode waren, Rasiercreme etwa oder Seifenstücke. Heute müssen diese Sachen eben nicht nur innere Werte haben, sondern so schön verpackt sein, dass man sie nie benutzen möchte.

Auch in diesem Punkt liegen Ulrike Jung und ihr Geschäftspartner richtig. Die handgemachten Candy-Farm-Riegel aus Mandelnougat oder Cashewcreme sind mit bunt bedrucktem Papier umwickelt - praktischerweise entworfen von Reto Brunner selbst, der Grafiker ist. Klare Farben, geometrische Muster: Wer sich ein Berliner Süßigkeiten-Set zum Beispiel bei Manufactum bestellt, bekommt für zehn Euro drei Kalorienbomben geliefert, die optisch frischer aussehen als etwa die guten alten Täfelchen aus der Schweiz.

Die Ersten, die mit schicker Schokolade von sich reden machten, waren die Brüder Rick und Michael Mast aus Brooklyn. Ihre 2007 gegründete Firma Mast Brothers war bald in allen Metropolen der Welt ein Synonym für edles Zuckerwerk. In ihrem Shop in Williamsburg konnten sich die Kunden vom "bean to bar"-Konzept überzeugen, übersetzt "von der Bohne zur Tafel". Tätowierte Mitarbeiter ließen dort Kakaobohnen direkt aus Säcken in die Mühlen rieseln. Und das grafisch gestaltete Papier kam, klar, aus einer angesagten Druckerei in der Nachbarschaft. Das zog junges, gebildetes, finanziell gut gestelltes Publikum an - die klassischen Foodies, für die Nahrungsmittel Teil ihres Lifestyles sind. 2015 gerieten die Masts durch die Behauptung eines Bloggers in die Schlagzeilen, ihre kostspielige Ware - eine Tafel kostet um die zehn Dollar - werde aus geschmolzener Kuvertüre hergestellt. Die Brüder widersprachen, konnten nicht alle Zweifel ausräumen, inzwischen haben sich die Wogen geglättet.

Wobei man sich schon darüber mokieren könnte, dass die globale Hipstergemeinde ausgerechnet die Aufregung um eines ihrer kulinarischen Kernanliegen so leicht hinter sich lässt. Transparenz, höchste Qualität, möglichst faire Herkunft der Rohstoffe - da ist allein der Verdacht der Panscherei gravierend. Geht's am Ende doch nur um die Verpackung? In diesem Punkt haben die bärtigen Brüder, die auch Spitzenköche wie den New Yorker Thomas Keller beliefern, jedenfalls Maßstäbe gesetzt. Das typische Design, farbenfroh und kleingemustert, hier und da ein wenig marmorierte Hippie-Anklänge, hat sich heute so gut wie jede jüngere Schokoladen-Manufaktur zwischen Dänemark und Südkorea zu eigen gemacht. Die australische Marke Bahen zum Beispiel. Ocelot mit Sitz in Schottland. Oder Melt aus London, die ihre trendbewusste Klientel durch Kooperationen, etwa mit einem Kaschmirlabel, sozusagen von zwei Seiten bezirzen.

Kaschmir trifft Kakao: Mit Kooperationen wird der Kunde von zwei Seiten bezirzt

Auch bei Candy Farm war das Design von Anfang an zentral. "Wir haben uns für die Form des Riegels entschieden, weil sie gestalterisch mehr bietet", so Jung. Und mehr Inhalt sowieso: Ahornsirup, Kokosnussfleisch mit Limette, die Füllungen ohne Zusatzstoffe machen die Riegel zu "soul treats", wie es im Logo heißt, zu Seelentröstern. Inzwischen kommen die Gründer und ein zusätzlicher Mitarbeiter kaum mit der Produktion nach. Stores in Hamburg, Frankfurt oder München haben die Schnitten im Sortiment. Demnächst eröffnet der Shop in der neuen Manufaktur an der Berliner Sonnenallee. Angefangen haben sie in Ulrike Jungs Küche.

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Quelle:
SZ vom 09.12.2017
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