Süddeutsche Zeitung

Preisgekrönter Käser:Die Milch macht's

Um den Käse von Willi Schmid aus Lichtensteig zu ergattern, schreiben Sterneköche Bettelbriefe. Wie kriegt der Schweizer das hin? Über den feinen Unterschied zwischen gut und einzigartig.

Von Titus Arnu

Die Leidenschaft für Käse sieht man Willi Schmid an den Ohren an, genauer gesagt an dem Schmuck, der daran baumelt. Der 53-jährige Schweizer erinnert ein bisschen an Asterix: blonder Schnurrbart, verschmitztes Lächeln, listiger Blick aus braun-grünen Augen. Statt eines Flügelhelms wie der kleine Gallier trägt er eine weiße Kappe auf dem Kopf. An Schmids linkem Ohrläppchen blitzt ein goldener Ohrring mit einem Anhänger in Form einer Kuh auf, am rechten ist eine winzige Käseharfe zu erkennen. "Das symbolisiert meine Verbundenheit mit Landwirtschaft und Käse", sagt er.

"Mein Traumberuf war eigentlich Bauer", erzählt Schmid, während er durch seine Käserei in Lichtensteig im Kanton St. Gallen führt. Sie hat den hübschen Namen Städtlichäsi, wirkt auf den ersten Blick unscheinbar und hat meistens nur drei Stunden vormittags geöffnet. Die Käsesorten, die Schmid produziert, sind außergewöhnlich exquisit. Feinschmecker und Käse-Affineure stehen Schlange für die Produkte aus Lichtensteig. Fachmagazine überbieten sich gegenseitig mit Lobestiteln, feiern Willi Schmid wahlweise als "Käse-König", "Käse-Virtuose", "Käse-Flüsterer" oder gar "Mozart der Käser". Für seinen "Jersey Blue", einen Blauschimmelkäse, und den "Mühlistei", einen halbharten Kuhkäse, wurde er mit Goldmedaillen bei den Käse-Weltmeisterschaften ausgezeichnet. Seine Spezialitäten liefert er weltweit an Spitzenrestaurants, etwa in die USA oder an den Schweizer Drei-Sterne-Koch Andreas Caminada, der die "leidenschaftliche, sympathische und bodenständige Art" des bescheidenen Käsers lobt.

Der Käse schmeckt karamellig? "Da haben die Kühe viele Gräser gefressen!"

Käse ist grob gesagt nur geronnene Milch, die man sehr lange stehen lässt. Aber Käsemachen ist auch ein Kunsthandwerk. Wie arbeitet man mit Kuh-, Schaf- und Ziegenmilch, damit der Käse nicht nur gut, sondern einzigartig wird? Verfügt Schmid über ein Geheimrezept wie für den Zaubertrank bei Asterix? Der Käse-Künstler reagiert bei blöden Fragen überhaupt nicht abwehrend und lässt Besucher gerne in seine Käsekessel schauen. Falls er dafür Zeit hat, denn der Käse geht immer vor, deshalb hat der Laden auch nur so kurz geöffnet. In der Vitrine liegen mehr als 30 außergewöhnliche Käse-Kreationen mit Namen wie "Blauer Büffel", "Bergfichte" und "Hölzig Geiss".

Wer vor dem Städtlichäsi das Auto parkt und kurz seine Nase in die Bergluft hält, wird von typisch Schweizer Gerüchen überwältigt. Aus der Käserei kommt der Duft nach frischer Milch und deftigem Käse. Dazu mischen sich Schokolade- und Back-Aromen. Gegenüber von Schmids Käseladen an der Hauptstraße der Kleinstadt ist der Firmensitz von Kägi. Kägi fret, das sind mit Nougat gefüllte Waffeln, umhüllt von Schokolade, eine Schweizer Delikatesse wie Fondue, Bündnerfleisch und Rösti. Dass einer der besten Schweizer Käsemacher auf der anderen Straßenseite residiert, ist eher Zufall.

Wie die Gebrüder Kägi, Erfinder der knackigen Schoko-Biscuits, lebt und arbeitet Willi Schmid im Toggenburg, einer landwirtschaftlich geprägten Gegend in der Ostschweiz. Seit seinem 15. Lebensjahr arbeitet er in und mit der Natur, er kennt in seiner Heimat nicht nur alle Bauern und jede Kuh mit Vornamen, er weiß auch, welche Kräuter zu welchen Jahreszeiten auf welchen Almen gedeihen. Er kann gewissermaßen das Gras wachsen hören. Und dieses Wissen wirkt sich auf den Geschmack seiner Käsesorten aus. Beim Verkosten des "Bergmatter", eines würzigen Bergkäses, schließt er die Augen und meint: "Ein schönes karamelliges Röstaroma - die Kühe haben viele Gräser gefressen."

An seine Milchlieferanten stellt Schmid höchste Qualitätsansprüche. An die Kühe dürfen sie nur Gras und Heu aus dem Toggenburg verfüttern, die Landwirte müssen sich verpflichten, ihren Tieren kein Silofutter, keine Rüben und kein importiertes Kraftfutter zu geben. Frei von Nitraten und Gentechnik muss es sowieso sein. Die Natur gibt den Takt vor. Im Winter gibt es zum Beispiel keinen frischen Ziegenkäse, weil die Ziegen dann nicht gemolken werden. Willi Schmid schaut auf die artgerechte Haltung der Tiere: "Die Kühe sollen während der Vegetationszeit komplett draußen sein", sagt er, "die Kuh soll Kuh sein dürfen." Auch im Winter bekommen die Tiere regelmäßig Auslauf und Sonne.

Das ist tierfreundlich - und aus Sicht des Käsers ein entscheidender Faktor für den Geschmack. Die Chemie muss stimmen! Schmid hält ein Impulsreferat über die chemische Zusammensetzung des weißen Goldes, während er prüfend mit einer Käseharfe in einem Kessel herumstochert. Kalzium- und Magnesiumgehalt seien für den Käse ebenso entscheidend wie Fett und Eiweiß. Um das optimal kontrollieren zu können, setzt er auf bestimmte Tiere: "Bei Kühen bin ich Rassist, ich verwende nur Milch von Schweizer Braunvieh und Jersey-Rindern." Wenn ihm ein Landwirt Milch von Holsteinern unterjubele, sei das ein Kündigungsgrund, denn deren Eiweißqualität sei minderwertig.

Insgesamt verkauft Willi Schmid 60 Prozent Kuhkäse und 30 Prozent Ziegenkäse, der Rest ist Käse aus Milch von Büffeln und Schafen. In seiner Käserei stehen sechs Kessel, für jeden Lieferanten einer. Die Milch wird nicht wie in Großbetrieben zusammengekippt und gemischt, jede Zulieferung wird separat verarbeitet. "Weiden haben verschiedene Lagen, so wie Weinberge unterschiedliche Lagen haben", erklärt der Käse-Künstler. Je nach Sonneneinstrahlung, Feuchtigkeit und Wind wachsen auf einer Alm bis zu 150 unterschiedliche Pflanzen, und dementsprechend anders schmeckt am Ende der Käse. Auf der Ostseite eines Tals wachsen mehr Gräser, von der Westseite komme eher aromatische, kräuterbetonte Milch. Jene Karamell- und Vanillenoten, die Käsekenner aus einem reifen Hartkäse herausschmecken, stammen aller Wahrscheinlichkeit nach eher von süd- bis ostseitigen Weiden.

Täglich müssen Schmid und seine Mitarbeiter bis zu 5000 Käselaibe bewegen

Bis 1997 war in der Schweiz vorgeschrieben, dass man nur regionale Käsesorten herstellen darf - Appenzeller im Appenzeller Land, Emmentaler im Emmental, Greyerzer in Gruyères. Die Käseverbände wollten die Kontrolle über die Sorten behalten. Als diese Beschränkung fiel, kreierte Willi Schmid innerhalb von zwei Wochen 25 neue Sorten. Sein Signature-Käse ist der "Mühlistei", ein Halbhartkäse mit Grauschimmelrinde, dessen Form an einen Mühlstein erinnert. Mit dem "Jersey Blue" wurde Schmid international bekannt, der Blauschimmelkäse hat ein nussiges Aroma mit leicht rauchiger Note. Etwas ganz Spezielles ist die "Bergfichte", ein Weichkäse aus Braunvieh-Rohmilch, der in Fichtenrinde eingebunden wird, er schmeckt säuerlich und leicht harzig. Dieser Rinden-Rundling ist eine Reminiszenz an eine uralte Technik des Käsemachens, die schon vor Jahrtausenden praktiziert wurde. 100 000 Kilo Käse macht Schmid pro Jahr aus 800 000 Kilo Milch, das ist im Vergleich zu anderen Betrieben wenig - Großmolkereien produzieren das Hundertfache.

90 Prozent der Käselaibe lagern in den fünf unterschiedlich klimatisierten Reiferäumen, der Rest geht an Affineure. Täglich muss Willi Schmid zusammen mit seinen Mitarbeitern 3000 bis 5000 Laibe bewegen, schmieren und bürsten. Käsefans und Küchenchefs schreiben Liebes- und Bettelbriefe, um mehr von den begehrten Köstlichkeiten aus Lichtensteig zu bekommen, aber irgendwann ist der Käs gegessen. Und wann der ideale Zeitpunkt ist, um eine bestimmte Sorte zu produzieren, lässt sich nicht immer planen. Das hängt für Willi Schmid vom Wetter, von der Vegetation, von den Tieren und auch ein bisschen von seinen Fingerspitzen und Ohrläppchen ab, sagt er: "Käsen ist letzten Endes Gefühlssache."

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