Süddeutsche Zeitung

Jil Sander wird 70:Königin des Weglassens

Lesezeit: 3 min

Jil Sander opferte erst ihren Vornamen und bereinigte dann die Mode von Rüschen. Die Designerin hat ihr Label zwar kurz vor ihrem 70. Geburtstag verlassen, ihren Ruhm kann das jedoch nicht schmälern.

Von Catrin Lorch

Dass sie für Frauen mit Persönlichkeit arbeite, gehört zum meist zitierten Credo von Jil Sander. Im Nachhinein erstaunt es, dass die als Heidemarie Jiline Sander im Dithmarschen geborene Modemacherin mit der Behauptung so lange durchkam, ohne selbst je irgendetwas Persönliches preisgegeben zu haben. Vor allem in den Siebzigern, als man den Erfolg eines Modefräuleinwunders aus der Hamburger Milchstraße in ein paar Beobachtungen packen wollte. Oder Anfang der Achtziger, als es galt, dem sich abzeichnenden Welterfolg bundesdeutsche Momentaufnahmen gegenüberzustellen.

Wahrscheinlich wäre es treffend gewesen, schlicht die solide Ausbildung als Textilingenieurin zu bemerken, den Weitblick der Modejournalistin und den unternehmerischen Mut einer jungen Frau, die im Jahr 1968 in Pöseldorf ihre eigene Boutique eröffnet, während gleichaltrige Studenten demonstrieren. Wo man ihr nahekommen wollte, blieb es doch meist beim oberflächlichen Bild des "105 Pfund leichten Persönchens". An ihr perlt alle Neugierde ab wie am Lack des Rolls-Royce, den der Autor der Bild-Serie "Die Frau um die 40" in ihrer Garage entdeckte.

Ein paar Zeilen von Grace Jones hätten mehr erklärt: Die coverte "Walking in the Rain" im superschlanken Anzug, vor allem die Zeile "Feeling like a Woman, Looking like a Man", traf auf eine Generation hart arbeitender Frauen zu, die sich vom eigenen Bankkonto lieber wärmende Kaschmirjacken finanzierten, als sich für die Anerkennung eines Gatten auszustaffieren. Das Geschehen auf dem Laufsteg speckte Sander um einige Adjektive ab: pelzbesetzt, bestickt, gerüscht - das Sakko, das sie berühmt macht, trägt das Eigenschaftswort "ungefüttert". Dass so eine Jacke ohne glatte, innere Haut gut sitzt, muss als höchste Kunst gelten. Im Gegensatz zu all den Kostümierungen, dem Dschungel-Stil oder Russen-Look. Es ist ein Paradox, dass die Privatperson vollkommen unsichtbar wird, als die Firmenchefin ihr eigenes Gesicht für Kampagnen hinhält. Chronisten notieren, das einzige Vorbild dieser Mode sei wohl die Arbeitsbiene.

Lieblingswort "pur"

Doch tatsächlich kommt man der Persönlichkeit von Jil Sander wohl am nächsten, wenn man sie über die - gleichnamige - Marke sprechen hört, oder einfach über ihre Arbeit, die sie bald beherrscht wie nur eine Handvoll Kreativer auf der Welt. Während man in den Siebzigern noch erstaunt konstatiert, dass ihr Lieblingswort "pur" ist und sie zwei Stunden mit der Suche nach geeigneten Knöpfen verbringen kann, darf sie endlich die Qualität ihrer Nähte analysieren, die jede Jeans doppelt in Form halten. Auch wenn die Klatschpresse befremdet mitschreibt, dass man in die ägyptische Baumwolle der von ihr bevorzugten "dichten Qualität" im Altertum schon Mumien eingewickelt hätte.

Doch Jil Sander bereitet in dieser Zeit den Boden für eine Epoche, in der sie mehr ist als nur die "Queen of less", die Königin des Weglassens. Das treffendste Lob kann nur ein Kollege zollen - und es ist ausgerechnet der japanische Dekonstruktivist Yohji Yamamoto, der auf dem Zenit seines Ruhms anerkennt, dass niemand die von ihm angezettelte Revolution so gut verstanden habe wie die Deutsche, "deren Schnitte aber einfach besser sitzen".

In den Neunzigern gilt sie als eine der zehn wichtigsten Designer weltweit, auf Augenhöhe mit Yves Saint Laurent, und vertreibt unter ihrem Namen - als erste Deutsche - auch Kosmetik und Parfum, ist in Hunderten Boutiquen vertreten und unterhält mehr als zwanzig eigene Läden, einen im Trump Tower an der New Yorker Fifth Avenue. Als sie die Aktien ihrer Firma im Jahr 1999 an die Prada-Gruppe verkauft, scheint sich das Bild der Weltmarke zu festigen.

Doch schnell überwirft sie sich mit dem Konzern. Man kann die folgenden Jahre darauf verkürzen, dass Jil Sander, deren "Kundenmafia mit ihr die Marke verließ", wie das Branchenblatt Women's Wear Daily feststellte, nicht nur ein, sondern zwei gefeierte Comebacks erlebte. Der dritte Abgang kurz vor ihrem 70. Geburtstag an diesem Mittwoch - aus persönlichen Gründen - wird wohl die endgültige Trennung von der Marke Jil Sander und der Frau sein, die ihren Vornamen einst als "zu hübsch und zu deutsch" ihrer Karriere opferte.

Sie ist, schlussendlich, nicht gescheitert, sondern hat mehr verdient als die Apostrophierungen "als erste Deutsche". Und ausgerechnet in den letzten drei Saisons hat Jil Sander bewiesen, dass sie nicht nur in der ersten Liga der internationalen Designer spielt, sondern die Szene noch einmal herausfordern konnte. Die langweiligen, zeitgenössischen Silhouetten hat sie souverän verschoben, Taille und Hüfte mit perfekt geführten Nähten gefasst, die auf dem Laufsteg fast lose wirkten. Dass sich diese Entwürfe angezogen anfühlten, wie ein "heimlicher Handschlag", das ist die Intimität, die Jil Sander ihrer Kundenmafia gewährt hat.

Näher kann einem eine Designerin nicht kommen.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2013
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