Jeans:Wie ein edler Tropfen

Jeans: Zu einem neuen Image gehören auch neue Läden. Die Hosen lagern hier wie in einem Weinkeller.

Zu einem neuen Image gehören auch neue Läden. Die Hosen lagern hier wie in einem Weinkeller.

(Foto: OH)

Erst wuchs das Jeans-Label Diesel enorm, dann war nicht mehr klar, wofür es überhaupt steht. Jetzt will der neue Chef Alessandro Bogliolo Diesel zur Coolness zurückführen.

Von Ulrike Sauer, Mailand

In die Mode-Falle tappte Alessandro Bogliolo, kaum dass er sein eigenes Geld verdiente. Der Jobanfänger probierte vor 25 Jahren seine erste Diesel-Jeans an und war begeistert. An der Kasse sollte er 200 000 Lire hinlegen. Wohl ein Versehen, dachte Bogliolo. Er nehme nur eine einzige Hose, reklamierte er, kaufte die Jeans dann aber trotzdem. "In genau dem Moment bin ich von der typisch männlichen Nützlichkeitsüberlegung Ich-brauche-eine-neue-Jeans in die Faszination der Mode eingetreten", sagt der Manager. Eine Levi's zum halben Preis hätte es ja auch getan. So verführt die Magie der Mode.

Nun ist Bogliolo seit dreieinhalb Jahren Diesel-Chef und arbeitet daran, den alten Zauber aufzufrischen. Die rebellische Marke mit dem Mohikaner-Kopf im Logo, 1978 von Landarbeitersohn Renzo Rosso gegründet, war in Richtung Mainstream abgeglitten. Um zur alten Coolness zurückzufinden, begab sich Diesel zu den Anfängen zurück. Die Klamotten werden exklusiver, der Vertrieb anspruchsvoller, die Werbung wieder schriller.

Der Preis für die Aufwertung des Labels ist happig. 2016 büßte Diesel 250 Millionen Euro Ladenumsatz ein. Nicht nur die Marke aus Venetien hat mit dem Umbruch zu kämpfen. Digitalisierung, neue Kundenansprüche, eine tiefe Krise des Einzelhandels, der Boom des Fast Fashion - all das fordert erfolgsverwöhnte Modeunternehmen heraus. "Ob wir wollen oder nicht, wir müssen diese neue Welt umarmen", sagt Bogliolo.

Bei Diesel fällt die Umarmung besonders heftig aus. Man reagierte 2014 radikal auf die Umwälzungen. In der Konzernzentrale im venezianischen Breganze nimmt man Opfer in Kauf. 2016 fiel der Umsatz auf 960 Millionen Euro. Die Marke machte zehn Millionen Euro Verlust. Im Einzelhandel ging der Absatz zweistellig zurück. Jedes fünfte Fachgeschäft wurde ausgemustert, es haperte am Niveau für die Präsentation des neuen Premium-Konzepts. Auch intern griff man hart durch. Mitarbeiter, die den Umbau des Unternehmens bremsten, mussten gehen. Schließlich steckt Diesel nun 100 Millionen Euro in die Erneuerung seiner 400 Läden. Das Ergebnis: "Diesel schrieb im vergangenen Jahr die schlechteste Bilanz seiner Geschichte", sagt Bogliolo. Es klingt mehr stolz als besorgt.

In der Geschichte liegt für den international erfahrenen Manager auch die Wurzel des Problems. Diesel war ein Phänomen der Modebranche. In 25 Jahren wuchs die unkonventionelle Marke von null auf eine Milliarde Euro Umsatz. Heute trägt die Denim-Sparte nur noch ein Drittel zum Umsatz bei. Unternehmensgründer Rosso verdiente schnell viel Geld. Er legte sich die Designermarken Maison Margiela, Victor & Rolf, Marni und Cademartori zu und baute seine eigene Luxusholding namens Only the brave auf. Mutig war es, doch Diesel wurde darüber zum Opfer des eigenen Erfolgs. Und ist damit keineswegs allein. "Man verlässt sich zu stark auf die Bestseller", sagt der 51-jährige Bogliolo. Die starke Kundenorientierung bezahlte das Label mit dem Verlust der Identität. "Unser Profil war verschwommen", sagt Bogliolo.

Rossos Ruf erreichte ihn im Herbst 2013 in San Francisco, wo er gerade für die französische Parfümerie-Kette Sephora tätig war. Scharf war der Diesel-Schöpfer aber auf Bogliolos Erfahrung in den höchsten Sphären der Luxusbranche. 16 Jahren hatte der Absolvent der Mailänder Hochschule Bocconi beim römischen Edel-Juwelier Bulgari an der Spanischen Treppe gearbeitet. Aus der Welt der funkelnden Preziosen wechselte Bogliolo zum Erfinder des dirty-wash und der Jogg-Jeans. "Rosso hat in mir einen Garanten für die Anhebung der Marke gesehen", sagt er. Der Diesel-Erfinder sei ein sehr rationaler Mensch, der die tief greifende Veränderung des Marktes klar vor Augen gehabt hätte. Der Luxus war demokratischer geworden, die Fast Fashion aggressiver. In der Mitte dazwischen wurde die Position von Diesel immer ungemütlicher. "Die Marke musste sich dringend weiterentwickeln", sagt der frühere Bulgari-Mann.

Wenige Monate vor seiner Ankunft hatte Nicola Formichetti als Kreativ-Chef bei Diesel angefangen. Der in New York lebende Italo-Japaner treibt seither die Modernisierung der Marke voran. Für Bogliolo war der Ruf Formichettis, der als Stylist von Lady Gaga und Entstauber von Mugler gewirkt hatte, grundlegend. "Ich sah darin die Entschlossenheit eines Gründers, die echte Wende zu wagen". Auf seine Frage: "Was willst Du eigentlich für eine Marke haben?", antwortete Rosso: "Die Coolste".

Schick, teuer, jung: Die Marke bemüht sich um die Millennials

Die Abkehr war radikal. Unter Bogliolos Vorgängerin Daniela Riccardo, die 20 Jahre in dem globalen Waschmittel- und Windelimperium Procter & Gamble Karriere gemacht hatte, jagte Diesel noch der Umsatzverdoppelung hinterher. Nun also macht man konsequent auf Premium.

Die neu definierte Markenstrategie verabschiedete das Trio Rosso-Bogliolo-Formichetti 2014. Man hob nicht die Preise an, aber die Zahl der teureren Produkte. Das Jeansgeschäft konzentriert sich heute auf eine Spanne zwischen 150 und 200 Euro.

Die neue Ware verlangt natürlich nach neuen Läden. Der Flaggschiff-Store an der Piazza San Babila in Mailand ist nun mit viel Stahl, Glas und digitalen Videoschirmen ausgestattet. Der Demin-Bereich mutet wie ein Weinkeller an, in dem Jeans wie gute Tropfen verwahrt werden. Mit dem neuen Ladenkonzept verabschiedet sich Diesel von der Selbstbedienung und macht Verkäufer zu Beratern. Mit der auffälligen Werbekampagne "Make Love Not Walls" des Fotografen David LaChapelle meldete sich die Marke im alten Stil zurück.

Was nützt das alles, wenn die neuen Kunden heute mit Luxusmode wenig zu tun haben? Dass die Branche ein Problem mit der Generation der Millennials hat, ist inzwischen offensichtlich. "Die Kunden sind einfach weniger geworden", sagt Bogliolo. Außerdem verdienten junge Leute heute weniger als er mit 25. Und natürlich spielten da auch Einstellung und andere Werte eine Rolle. "Aber die Antwort auf die Frage, ob erst die Henne oder erst das Ei da war, überlasse ich den Soziologen", sagt der Diesel-Chef lächelnd.

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