Streetwear:Lust auf was Festes

Denim - Das Jahr der Jeans

Valentino zeigte zum ersten Mal Jeans auf dem Laufsteg, eine Neuinterpretation der Levi's 517 von 1969.

(Foto: Valentino)

Wenn 2020 das Jahr der Jogginghose war, wird 2021 das der Jeans: Auf den Laufstegen war jedenfalls so viel Denim zu sehen wie lange nicht. Bekommt wenigstens der Hosenboden wieder ein bisschen mehr Halt im Leben?

Von Silke Wichert

Natürlich hat Lagerfeld das damals anders gemeint mit der Jogginghose und dem Kontrollverlust, aber im Nachhinein ergibt der legendäre Satz einen viel tieferen Sinn. Wir erinnern uns: Der Designer, nie um einen Spruch verlegen, erklärte 2011 bei Markus Lanz, wer Jogginghose trage, habe die Kontrolle über sein Leben verloren. Eine Pauschal-Watschn gegen die modische Prekarisierung unserer Gesellschaft. Geändert hat es bekanntlich wenig, nicht mal Lagerfeld hielt es davon ab, für Chanel bald selbst Jogginghosen zu entwerfen. Und knapp zehn Jahre später? Saßen auf einen Schlag noch sehr viel mehr Leute in Jogginghosen herum. Weil sie kaum noch rauskonnten und dafür wenigstens zu Hause Barrierefreiheit genießen wollten. Die bequeme Schlabberhose wurde früh zum Sinnbild der Corona-Zeit, jener Monate also, in denen wir tatsächlich einiges an Kontrolle über unser Leben verloren - nur diesmal ganz unfreiwillig. Der Look vermittelte plötzlich weniger Acht- als Hilflosigkeit.

Während 2020 nun also als das Jahr der "Sweatpants" in die Geschichtsbücher eingeht, soll 2021 das der Jeans werden. Zumindest auf den Laufstegen war selten so viel von dem blauen Stoff zu sehen, vor allem bei Labels, die hier sonst eher zu den sparsamen Abnehmern gehören. Balmain zeigte für dieses Frühjahr mehr als ein Dutzend Jeanslooks, inklusive Blazer mit den typischen Pagodenschultern, und viel "Double-Denim". Also Jeanskleid oder Jeansmantel über Jeanshose, womit wir wieder auf der Höhe der frühen Nullerjahre mit dem unvergesslichen Double- beziehungsweise Quadruple-Jeans-Moment von Britney Spears und Justin Timberlake wären.

Streetwear: Denim von Dior für dieses Frühjahr.

Denim von Dior für dieses Frühjahr.

(Foto: Dior/Hersteller)

Es geht natürlich auch anders: Chanel präsentierte in seiner Resort-Kollektion schmale Bermudas sowie weite Jeans mit seitlichen Logoprint-Einsätzen. Maria Grazia Chiuri bei Dior und Hedi Slimane bei Celine bauen die Jeansabteilung ohnehin seit einer Weile aus. Kate Moss posiert in der neuen Saint-Laurent-Kampagne in perfekten, knöchellangen Blue Jeans, die neue Tasche der Marke ist aus gestepptem Denim. Das wohl deutlichste Signal kam von Valentino, wo der Designer Pierpaolo Piccioli nicht nur lange Blumenkleider durch den Staub einer alten Gießerei außerhalb von Mailand schickte, sondern erstmals überhaupt in einer Laufstegkollektion ein halbes Dutzend Jeans präsentierte. Nicht irgendwelche versteht sich: Sondern eine Neuinterpretation der Bootcut Levi's 517 von 1969, die ab sofort in die Valentino-Läden tröpfelt. Seit dem 1000-Euro-Vetements-Modell vor fünf Jahren wurde keine Designerjeans mehr so sehnsüchtig erwartet.

Vom "blauen Wunder" reden wir jetzt bitte nicht

Die Aufmerksamen werden nun einwenden: Aber die Jeans war doch nie weg! Stimmt. Doch das ist natürlich genau so eine Phrase, als würde man nun das "blaue Wunder" ausrufen. Vielmehr ist es so: Die Jeans ist in diesem Jahr eben noch ein bisschen mehr da beziehungsweise noch ein bisschen mehr zurück, und natürlich passiert das nicht zufällig. Denn wenn jemand immer nur lose Affären und Bekanntschaften hat, bekommt er irgendwann doch mal Lust "auf was Festes". So ungefähr verhält es sich auch mit der stofflichen Beziehung: Wenn es ewig nur lose schlabbert, verlangt der Körper wieder nach Struktur, Verlässlichkeit, etwas Halt, wenigstens am Hosenboden, wenn einem sonst schon alles unter den Füßen weggezogen wurde.

Aber dieser dicke Baumwollstoff, genannt Denim, ist ja nicht nur einfach fest, sondern vor allem beständig. Der deutsche Auswanderer Levi Strauss meldete 1873 ein Patent für Jeans mit Nieten an, das machte die Arbeiterhose noch widerstandsfähiger, weswegen sie ja erst zu einem solchen Klassiker avancieren konnte, der später von Filmhelden, Punks, Hippies, Sandkastenkindern und Steve-Jobs-Typen getragen wurde. Wahrscheinlich gibt es kein Teil der Garderobe (außer Unterwäsche und Sneakers), das durch alle soziale Schichten und Altersklassen hindurch dermaßen präsent ist. Jeans sind absolute Basics, und gerade in Krisenzeiten, orakeln Marketingexperten, besinnen sich Konsumenten auf das Wesentliche zurück. Das kann, je nach persönlicher Auslegung, gutes Brot, Gold, eine Hermès-Birkin oder eben eine Jeans sein.

Levi's meldet bereits, dass die Nachfrage nach klassischen Modellen wie der 501 wieder stark angezogen hat, im vierten Quartal 2020 sogar um 80 Prozent. Überhaupt gehen die Umsätze beim größten Jeansanbieter nach dem Corona-Einbruch wieder deutlich nach oben, das letzte Quartal, heißt es im Konzern, sei schon wieder profitabel gewesen. Generell suchen laut der globalen Shopping-Plattform Lyst immer mehr Kunden im Netz nach Jeans. Jetzt wo wir ein klein wenig hoffen, die Kontrolle über unser Leben bald zurückzugewinnen, stellen wir uns offenbar auch wieder auf Kleidung aus der alten Normalität ein.

Denim - das Jahr der Jeans

Bei Sänger Harry Styles sind die Socken fast schon länger als die Hosen.

(Foto: Gucci)

Model und Designerin Alexa Chung schrieb kürzlich in der britischen Times einen ausgiebigen Text über ihre Leidenschaft für Jeans aller Art. Im Schrank hat sie derzeit angeblich "15, Tendenz steigend", was bei ihr als absolute Untertreibung gelten darf. Fast jeder kann sich aber an sein erstes Paar erinnern. Bei Chung war es eine schwarze Levi's 512, die ihre älteren Geschwister trugen. Die Künstlerin Rosemarie Trockel erwähnt in einem von ihr gestalteten Begleitbuch zur aktuellen Kollektion von Bottega-Veneta ihr erstes "Lieblings-Kleidungsstück", das, unschwer zu erraten, ebenfalls eine Jeans war. "Der coolste Junge von allen trug Jeans, die ihm, zu unser aller Erstaunen, wie ein Handschuh passten", schreibt Trockel. Daraufhin sei sie als junges Mädchen Ende der 50er mit ihrer Mutter von Schwerte ins ferne Köln gereist, um im "American Stock"-Store am Friesenplatz eine solche Jeans zu kaufen. Ein paar Straßen weiter ließ sie sich gleich noch die langen blonden Locken abschneiden. Freiheit, Unabhängigkeit, Aufmüpfigkeit - eine Jeans konnte damals so viel transportieren.

Der Umweltaskept ist wichtiger geworfen

Heute werden Jeans immer häufiger ganz unrebellisch im gummierten Umschlag direkt nach Hause geliefert. Bei Levi's setzen sie dieses Frühjahr auf die neue "Loose Cargo", einen Mid-Rise-Schnitt mit verjüngt zulaufendem Bein. Bei Y/Project wird ein tiefer V-Ausschnitt als Trompe-l'œil-Entrée vor die Knopfleiste gesetzt, von Gucci gibt es schlicht abgeschnittene Shorts, die im Kollektionsfilm an Harry Styles vorgeführt, in Kombination mit Loafern und Socken, trotzdem das halbe Internet in Aufregung versetzten. Aber eigentlich lautet die Frage immer seltener "welcher Schnitt?" Seit ein paar Jahren geht irgendwie alles, die ständig totgesagte Skinny, die wiederbelebte Bootcut, bald kommen wohl auch die "Bumsters" zurück, die extremen Hüfthosen, die Alexander McQueen in den Neunzigern entwarf.

Denim - Das Jahr der Jeans

Glenn Martens zeigt mit seinem Label Y/Project regelmäßig innovative Jeans - im Sommer präsentiert er seine erste Kollektion als Creative Director von Diesel.

(Foto: Hersteller)

Wichtiger geworden ist dafür bei Jeans der Umweltaspekt, weil der Stoff zwar im besten Fall ewig hält, dafür aber oft gewaltige Spuren hinterlässt. Nicht nur der Anbau der Baumwolle verbraucht enorm viel Wasser, sondern auch das Waschen des Denimstoffes. Viele Hersteller haben deshalb neue Fasern entwickelt, Levi's etwa das "Cottonized Hemp", ein Hanfgarn, das so behandelt wird, bis es aussieht und sich anfühlt wie Baumwolle, aber weniger Wasser, Chemikalien und Anbaufläche benötigt. H&M brachte gerade mit Lee eine Kollektion heraus, die aus 100 Prozent recycelter Baumwolle besteht, die Aufnäher sind statt aus Leder aus Kork und Jacron-Papier. Bei G-Star können 98 Prozent des Modells Elwood mittlerweile wiederverwertet werden, zudem hat man das nach eigenen Angaben bislang "sauberste Indigo-Färbeverfahren der Welt" entwickelt, bei dem kein Salz und 70 Prozent weniger Chemikalien zum Einsatz kommen und mit recycelten Pflanzenresten gefärbt wird. Auch Diesel führte vergangenes Jahr das "Diesel Green Label" ein. Hier geht es um Lasertechnik, aber auch um weniger Chemikalien, weniger Wasserverbrauch und recycelte Baumwolle.

Streetwear: Was tun, damit der Absender nicht immer unter Pullovern und Gürteln verschwindet? Den Aufnäher statt oben einfach unten anbringen!

Was tun, damit der Absender nicht immer unter Pullovern und Gürteln verschwindet? Den Aufnäher statt oben einfach unten anbringen!

(Foto: Gucci/Hersteller)

Noch nachhaltiger ist natürlich, sich überhaupt keine neue Jeans zu kaufen, sondern die unter den Jogginghosen verstauten alten Modelle aufzutragen, abzuschneiden, die Knie wie bei Gucci herzförmig mit Nieten zu verzieren oder das Firmenschild, ebenfalls wie Gucci, statt oben am Bund unten am Saum anzubringen. Damit die Markenbotschaft nicht immer unter langen Pullovern und Gürteln verschüttgeht. Dass da keiner früher draufgekommen ist.

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:Große Umarmung

Aufwendige Ärmel, im Fachjargon Statement Sleeves, waren schon in der Renaissance ein Statussymbol und bleiben auch 2021 Liebling der Designer. Vor allem sind sie ideal für die Festtage.

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