Italien:Haus der Geschichte

Seit mehr als 20 Jahren restauriert ein deutscher Unternehmer eine historische Villa in Asolo in Venetien. Ein Millionengrab? Nein, ein Werk der Liebe.

Von Thomas Steinfeld

Der Bauherr steht in einer Loggia. Sie zieht sich durch den gesamten ersten Stock einer italienischen Villa und ist über siebzig Meter lang. Die Wände sind mit Fresken geschmückt. Der Boden ist mit staubigen Filzbahnen bedeckt. Die Rundbögen sind mit Kunststoffplanen verhängt. Wären sie es nicht, könnte man hinausschauen auf einen weiten Hof, auf einen Obstgarten, einen Weinberg und eine Reihe Pappeln, hinter denen sich die Industrielandschaft des Veneto mehr schlecht als recht verbirgt.

"Es ist sinnlos, ich weiß", sagt Herr M., denn so wollen wir den Bauherrn, einen unternehmungslustigen Mann von gut fünfzig Jahren, bis auf Weiteres nennen. Er sagt es nicht nur einmal, denn der Satz bezieht sich auf sein Bauvorhaben: die Restaurierung eines Herrschaftshauses, dessen älteste Teile aus der Zeit um das Jahr 1550 stammen. "Sterben ist auch sinnlos", sagt er dann, "denn was mache ich dann mit meinem Geld?" Auch diesen Satz spricht er mehrmals.

Fünf Meter hoch ist die Loggia. So wie sie scheint das ganze Haus, mitsamt seinen Bogengängen und den drei hohen Fenstern in jedem Stockwerk des Gebäudetraktes in der Mitte, des Blicks auf die Landschaft wegen gebaut zu sein. Wenn die Gerüste und die Planen verschwunden, wenn der Fußboden freigelegt und die Baumaterialien entfernt sein werden, wird es in dieser Villa jedenfalls einen Laubengang von seltener Schönheit geben.

Herr M. ist ein Deutscher, hat aber den größten Teil seines Lebens in Italien verbracht. Im Mai, sagt er, wolle er einen Sessel in die Loggia tragen, sich ein Glas Wein holen und beim Anblick dieser Schönheit für lange Zeit verstummen. Mehr als zwanzig Jahre wird er dann, wie er meint, "gegen dieses Haus gekämpft" haben. So lange ist es her, dass er zum ersten Mal dem alten Grafen gegenübersaß, um mit ihm über den Kauf des Hauses zu sprechen, in dem die Adelsfamilie seit Hunderten von Jahren gewohnt hatte. Aber da war der Graf schon lange in einen modernen, kleinen Anbau gezogen, weil es während der kalten Jahreszeit in der Villa nicht auszuhalten war. Auf der Westseite war eine Außenwand eingebrochen, auf der Ostseite war das Wasser die Mauern hochgekrochen, bis die Deckenbalken an ihren Enden faulten, und der Hügel hinter der Villa hatte auf das Nymphäum gedrückt, die künstliche Grotte auf der Rückseite des Hauses, sodass sie einzustürzen drohte. Hohes Gras wuchs in den Fugen der großen Freitreppe. "Nun gut, vielleicht November", sagt Herr M. Aber so, wie die Dinge aussehen, wird es vielleicht noch ein Jahr länger dauern, bis er den Sessel auf die Loggia schleppen kann, und möglicherweise wird auch diese Frist nicht ausreichen.

Im Mai wird die Restaurierung vielleicht fertig. Oder im November. Oder nächstes Jahr

Die Villa, die Herr M. im Jahr 1995 für eine nach damaligen Verhältnisse noch überschaubare Summe kaufte, liegt auf der Grenze zwischen der Ebene und den Hügeln, die dann irgendwann in die Dolomiten übergehen. Hier, auf der "terra ferma", ließen sich reiche Venezianer im 16. und 17. Jahrhundert prächtige Villen bauen. Unten lag das Land der Bauern, in das man das durch den Seehandel erworbene Vermögen investierte. Aber den Hügel hinauf zogen sich die Gärten, und gebaut wurde selbstverständlich so weit oben wie möglich, sodass die Herrschaft auf ihr Land und ihre Leute hinuntersehen konnte, während ihre adligen Ohren vom frischen Wind gekühlt wurden.

Eine zweistöckige Anlage mit einem Zentralbau und zwei Satelliten war die Villa ursprünglich gewesen, errichtet um 1550, also ein paar Jahre, bevor der berühmte Architekt Andrea Palladio einige Kilometer entfernt die Villa Barbaro baute, auch Villa Maser genannt. Knapp hundert Jahre später ließ ein neuer Besitzer ein drittes Stockwerk aufsetzen und die beiden Satelliten miteinander durch einen Bau verbinden, in dem drei Bogengänge aufeinander stehen. Seitdem ist das Haus - es hat eine Fläche von fast viertausend Quadratmetern - deutlich größer als die Villa Barbaro, und das ist ein Umstand, auf den die früheren Besitzer beträchtlichen Wert legten.

Gesamtansicht

Acht oder neun Millionen Euro hat der Besitzer in die Restaurierung des alten Adelssitzes gesteckt. Seine Handwerker stellen Zimmer für Zimmer die historische Bausubstanz der Villa wieder her.

(Foto: mauritius images)

Bauzäune umschließen das Gelände. Sie hegen nicht nur die Villa ein, sondern auch neun Ziegen. Der Umstand, dass es hier Ziegen gibt, geht zurück auf den Hausmeister des alten Grafen. Auf einen Trunkenbold, sagt Herr M., der das Anwesen habe verkommen lassen. Lange Jahre nachdem Herr M. das Haus übernommen hatte, kaufte er drei neue Tiere. Jetzt werden die Ziegen von den Handwerkern gefüttert, von einer Gruppe von Fachleuten für die Wiederherstellung von historischen Bauten. Herr M. hatte die Arbeiter aus Apulien geholt. Einige von ihnen sind nun schon so lange im Veneto, dass sie darüber grau wurden, sagt Herr M. Die Ziegen hinterlassen ihre Kotkugeln auf der Freifläche vor dem Haus. Sie turnen auch über den Brunnen am Nymphäum. Herr M. mag die Ziegen. Sie zeitigen in der herrschaftlichen Anlage eine ähnliche Wirkung wie die Hunde auf barocken Gemälden. Sie sorgen für Gleichheit in aristokratischen Verhältnissen.

"Die Villa ist ein Repräsentationsbau, so wie es all diese Villen im Veneto sind", erklärt Herr M. Das heißt zum einen, dass der Bau durch seine erhabene Position, aber auch durch die Loggien so imposant wie möglich gemacht wurde. Er wirkt von innen deutlich kleiner als von außen. Zum anderen bedeutet Repräsentation, dass mit einfachen Mitteln gebaut, aber mit großem Aufwand dekoriert wurde. Denn Arbeitskraft war billig. Deswegen bestehen zum Beispiel die Gewölbe aus Holzstäbchen, auf die Mörtel aufgetragen wurde (was dazu führt, dass das Holz heute pulverisiert ist und die Decken vom Mörtel gehalten werden). Der Putz wurde aus gemahlenen Steinen aus dem Piave hergestellt, der Bodenbelag aus zerriebenen Ziegeln, die Fenster und Türen aus Fichtenholz. Und weil das alles so ist, und weil der Denkmalschutz einmal dieses und ein anderes Mal jenes sagt, vor allem aber, weil sich Herr M. zum Diener seines Hauses gemacht und noch in die letzte Fensterzarge verliebt hat, wird nun seit mehr als fünfzehn Jahren mit denselben Techniken gearbeitet, die auch beim Bauen und Umbauen der Villa verwendet wurden - nur dass die Maschinen heute effizienter sind. Und so steht nun ein Arbeiter in einem großen Saal und schaufelt den zerschlagenen Fußboden zusammen, damit er ein zweites Mal gemahlen, wieder aufgetragen, mit Leinöl übergossen und wieder poliert werden kann.

Herr M. lebt allein in diesem Haus. Wenn er sich entscheiden musste, zwischen einem anderen Menschen und der Villa, wählte er jedesmal das Haus. Am Anfang gab es den Plan, einen Teil der Anlage in Eigentumswohnungen zu verwandeln. Nicht immer hatte Herr M. genug Geld, um weiterzubauen. Einige Wohnungen entstanden, in den ehemaligen Wirtschaftsgebäuden, und ein paar wurden tatsächlich verkauft. Aber dann kam die Finanzkrise. Der italienische Immobilienmarkt brach zusammen. Herr M. baute aber unverdrossen weiter, mit Hilfe des venezianischen Architekten Alberto Torsello, ließ Betonpfeiler hinter dem Nymphäum versenken, zehn Meter tief, damit der Hügel nicht mehr drückt. Er ließ die Fundamente freilegen, um das Wasser von der Villa fernzuhalten, ließ die gesamte Technik erneuern, sodass sie nicht mehr sichtbar ist und trotzdem funktioniert.

Herr M. ist reich, daran kann kein Zweifel herrschen. Er sei es noch nicht viele Jahre, sagt er. Acht oder neun Millionen Euro hat er mittlerweile für die Restaurierung der Villa ausgegeben. Irgendwo nördlich der Alpen gehört ihm eine Fabrik, in der lauter nützliche und völlig unscheinbare Dinge hergestellt werden. Mit dem Gewinn entsteht ein Gebilde von eher zweifelhaftem Nutzen, aber von großer Schönheit. Nur bis er sie genießen kann, wird es noch etwas dauern.

Mit dem Genuss aber ist es so eine Sache: Denn wie soll sein Leben sein, fragt sich der Besucher, wenn Herr M. nicht mehr von Mörtel und Balken reden kann oder von der Erdbebensicherung, die plötzlich von ihm verlangt wurde, nachdem das Erdbeben des Jahres 2012 die Kirchtürme fast der gesamten unteren Po-Ebene beschädigt oder gar zum Einsturz gebracht hatte? Wenn er von den Dieben erzählt, die in den vergangenen Jahren immer wieder die Baustelle heimsuchten und alles mitnahmen, dessen sie habhaft werden konnten - Skulpturen, Türen, Kamine -, klingt beinahe so etwas wie Sympathie an: Herr M. scheint ihr Begehren zu verstehen, das intensive Verlangen nach einem Stück aus diesem Haus, selbst wenn die Diebe damit etwas ganz anderes im Sinn werden gehabt haben als das Behalten und Bewundern.

Herr M. restauriert ein Baudenkmal. Aber er ist kein Historiker. Er ist ein Liebhaber. Erhalten will er das Haus in dem Zustand, in dem es zuletzt als Wohnung einer venezianischen Adelsfamilie benutzt wurde, mit allen Umbauten.

Im Westflügel entdeckte er die ältesten Fresken des Hauses. Dort will er jetzt auch wohnen

Wäre Herr M. ein Historiker, wäre er verzweifelt gewesen, als er herausfand, dass es zur Villa und zu seinen Besitzern kein Archiv gibt. Es hatte eines gegeben. Doch hatte der Hausmeister in seinem ewigen Rausch die Ziegen ins Haus gelassen. Sie fressen auch altes Papier. Auch deswegen ist das, was ist, der Maßstab der Renovierung. Neben der Passage im Erdgeschoss, dort, in der einst die Kutscher ihre Passagiere absetzten, gibt es eine Schreinerwerkstatt. Die Handwerker aus Apulien nehmen darin jedes Fenster und jede Tür auseinander, ersetzen die fehlenden oder beschädigten Teile, reinigen die Malereien und setzen sie wieder zusammen. Die Handwerker haben sogar die Götterwelt aus Marmor wieder zusammensetzen können, die von ihrem Platz über einem der Kamine im piano nobile gestürzt und in tausend Trümmer zersprungen war, als Diebe sie mit Hammer und Meißel abzulösen versucht hatten.

Zur Oberfläche gehören die Fresken. Szenen vom Olymp, Landschaften, allerhand Bukolisches mit und ohne Bacchanal, eine Genoveva mit Hirschkuh, ein paar Trompe-l'œils mit unendlichen Säulengängen, kurz: alles, was man damals so hatte. Viele Fresken wurden jedoch um die vorvergangene Jahrhundertwende übermalt, von einem Künstler, der in der Gegend von Asolo von einer wohlhabenden Familie zur anderen gezogen zu sein scheint, um deren Domizile mit Lichtgestalten und unendlichen Linien auszustatten. Sie alle waren unter Schmutz verborgen, genauso wie die Malereien auf den Deckenbalken, und all der Zierrat musste, Zentimeter für Zentimeter, gereinigt werden. Herr M. behält den Jugendstil, auch wenn er in einem Winkel nachschaute, was darunter verborgen ist und ältere Malereien fand. Im Westflügel entdeckte er, unter dickem, weißem Putz verborgen, lauter Fresken aus der Entstehungszeit des Hauses. Sie leuchten jetzt, als wären sie neu. In diesen drei Räumen, sagt Herr M., will er leben, wenn die Restaurierung fertig sein wird.

Es ist Samstagmittag. Ein Betonmischer fährt mit Getöse den Nachbarhügel hinauf, wo ein Bauer eine halb unterirdische Kellerei errichtet. "Die Winzer verdienen sich dumm und dämlich mit ihrem Prosecco", sagt Herr M. und lacht über den Nachbarn, der seine Reben nicht quer gegen den Hang, sondern in einer Linie mit dem Gefälle anlegte. So kann er zwar bequem mit dem Traktor auf die Straße fahren, aber bei jedem Regen schwemmt es ihm die Erde hinunter. Die Buchsbäume, die für Ordnung im Garten sorgen, sehen schlecht aus. Der Zünsler befiel sie im vergangenen Jahr und ließ nicht viel übrig.

Eine Amsel holt tief Luft, um gegen den Lastwagen zu bestehen. Sie muss sich anstrengen, aber es gelingt ihr. Die Sonne steht so, dass sie auf der Vorderseite in die Villa hineinscheint und auf der Rückseite wieder hinaus. Der Wind bläht die Plastikbahnen, mit denen die Loggia verhängt ist. Man könnte sich vorstellen, dass sie aus weißer Baumwolle bestehen.

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