Interview mit Sommelier:"Wir leben in einer Zeit, in der es kaum schlechten Wein gibt"

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"Menschen, die sich nicht so gut auskennen mit Wein, muss man besonders behutsam bedienen." Der Sommelier Gerhard Retter (Foto: Hans Gasser)

Das sagt Gerhard Retter, der als Sommelier in den besten Häusern tätig war. Hier erklärt er, weshalb man Wein am Urlaubsort trotzdem nie sofort nach der Verkostung kaufen sollte.

Interview von Hans Gasser

Gerhard Retter, geboren in der Steiermark, war als Sommelier in den besten Häusern tätig, von Witzigmanns Aubergine über Gordon Ramsay in London bis zum Hotel Adlon. Heute ist er Gastronom im Restaurant Cordo, vormals Cordobar, in Berlin, und in der Fischerklause am Lütjensee in Hamburg. Retter, der auch als Weinexperte in Kochshows fungiert, erklärt, was einen guten Sommelier ausmacht und weshalb man Wein am Urlaubsort nie sofort nach der Verkostung kaufen sollte.

SZ: Sind Sommeliers Trickbetrüger, die immer den profitträchtigsten Wein verkaufen wollen - oder den, der weg muss?

Gerhard Retter: Nein. Das sind nur die schwarzen Schafe unseres Berufsstands. Ein guter Sommelier ist ein Dienstleister. Er muss innerhalb von 30 Sekunden erkennen, was für ein Mensch der Gast ist. Egal, ob der einen Wein für 1000 Euro trinken möchte oder einer ist, der großen Respekt vor der Weinkarte hat und Angst, abgezockt zu werden. Der Geschmack des Gastes hat oberste Priorität. Natürlich muss ein Sommelier auch wirtschaftlich denken und seinen Keller optimieren.

Wie funktioniert das?

Zunächst einmal muss ich mir überlegen, welcher Wein zu den Gerichten passen könnte. Aber ein Wein, der zum Essen passt, muss noch lange nicht zu dem Menschen passen. Ich habe Weine im Keller, die ich hege und pflege, und die ich natürlich verkaufen will. Es gilt, das Beste für den Gast rauszuholen, zu sagen: Dieser Wein präsentiert sich momentan perfekt, ist ideal gereift. Das schließt nicht aus, dass der Wein auch verkauft werden sollte, weil er im Zenit seiner Entwicklung ist. Gästen aber schlechten Wein anzudrehen, der überaltert ist, wird nicht dazu führen, dass diese Gäste wiederkommen. Und das möchte man ja.

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Viele Sommeliers geben unaufgefordert ihr angestautes Wein-Wissen zum besten.

Das Selbstdarstellertum ist eine Katastrophe. Man muss Taktgefühl haben, spüren, wann man benötigt wird, und wann der Gast seine Ruhe haben möchte. Einfach draufloserzählen und mit seinem Wissen prahlen, das funktioniert nicht. Erzählen sollte man nur, wenn der Gast sich für den Wein explizit interessiert und fragt. Menschen, die sich nicht so gut auskennen mit Wein, die muss man besonders behutsam bedienen, ihr Vertrauen erfüllen, sowohl geschmacklich als auch preislich.

Ist es wichtig, den Gästen auch neue Geschmackserlebnisse zu vermitteln - Stichwort Naturwein?

Ein guter Sommelier sollte sich natürlich immer wieder etwas abseits der geschmacklichen Norm bewegen, um aufzufallen, Charakter zu zeigen. Man muss es halt vorsichtig angehen. Wenn einer gern Grünen Veltliner aus der Wachau trinkt, kann man ihm mal sagen: Da gibt es eine Neuinterpretation eines jungen Winzers, der baut den als Naturwein aus, möchten Sie ein Schlückerl probieren? Dann muss man aber auch damit leben, wenn der Gast sag: Den Dreck können Sie selber saufen. Aber Neues zu zeigen, gehört schon dazu. Musikalisch gesprochen: Es gibt nicht nur DJ Ötzi, sondern auch Free Jazz.

Stimmt der Eindruck, dass Weine, die man im Urlaub köstlich fand, zu Hause oft nicht mehr schmecken?

Ja, das ist oft so. Das Ambiente und die Stimmung veredeln den Wein. Davon kann sich niemand frei machen, auch ich nicht. Deshalb kaufe ich nie Weine am selben Tag auf dem Weingut. Ich schlafe immer eine Nacht drüber und reflektiere, probiere am nächsten Tag noch einmal. Erst dann kaufe ich.

Welche Rolle spielt der Tourismus für den Weinverkauf?

Eine sehr große. Wenn Sie die Stimmung dort aufsaugen und sehen, wo der Wein wächst, die Menschen treffen, die den Wein erzeugen. Erst dann lernt man die Seele des Weines kennen und wird oft ein treuer Kunde, nicht unbedingt nur eines Bauern, sondern einer ganzen Region.

Schmeckt der Wein also besser, wenn man den Bauern kennt?

Ja, sicher. Wir leben in einer Zeit, in der es kaum schlechten Wein gibt, im Sinne von fehlerhaft gemacht. Dazu ist die Kellertechnik und die Ausbildung zu gut. Letztlich ist der Weinkauf auch eine Frage der Sympathie. Wir haben im Cordo einen Spruch: "Wir haben keinen Wein hier, dessen Winzer ein Unsympath ist." Da ist schon was dran.

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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