Interview:Das Rettungs-Iglu

Lesezeit: 3 min

An griechischen Küsten stapeln sich Rettungswesten von Geflüchteten. Was tun damit? Ein mutiger spanischer Schüler hatte eine Idee, wie man dem Müll wieder Sinn geben könnte.

Interview von Julia Rothhaas

Mehr als 165 000 Menschen sind in diesem Jahr schon von der türkischen Küste über das Meer nach Griechenland geflohen, knapp 94 000 landeten dabei auf Lesbos. Für eine Spendenaktion an seiner Schule ließen sich der 15-jährige Achilleas Souras und seine Klassenkameraden einige zurückgebliebene Rettungswesten von der Insel schicken. Souras konzipierte daraufhin den Bauplan für ein Iglu, um damit auf die Flüchtlingsproblematik aufmerksam zu machen. Sein Kunstprojekt "S.O.S. Save Our Souls" wird derzeit in seiner Heimatstadt Barcelona ausgestellt.

SZ: Wie kommt ein 15-Jähriger darauf, aus Rettungswesten ein Iglu zu bauen?

Achilleas Souras: Ich wollte damit zeigen, dass die Struktur für eine Erstlingsunterkunft für Geflüchtete nicht aufwendig sein muss. Schon als Kind fand ich es spannend, aus alten Plastikflaschen Spielzeug zu machen. Mir gefällt die Idee, mit wenig Geld Dinge herzustellen.

Berührt dich das Schicksal der Flüchtlinge so sehr, dass du etwas unternehmen wolltest?

Aus 35 Rettungswesten, die vor der Insel Lesbos am Strand lagen, hat Achilleas Souras in Handarbeit ein Iglu gebaut. (Foto: privat)

Wenn ich über diese Probleme nachdenke, bin ich nicht sehr emotional, sondern möchte stattdessen lieber etwas Konstruktives machen.

Warum hast du dich ausgerechnet für ein Iglu entschieden?

Der Aufbau ist simpel, man kann es leicht zusammenbauen, und das Material steht kostenlos zur Verfügung. All die Schwimmwesten liegen einfach am Strand herum. Die Eskimos haben für ihre Iglus ja auch so viel Eis, wie sie nur brauchen.

Wie bist du an die Westen gekommen?

Für ein Schulprojekt wollten wir ein paar Rettungswesten haben, um sie versteigern und das Geld an Geflüchtete spenden zu können. Also haben wir dem Bürgermeister von Lesbos gemailt - und er hat uns tatsächlich welche geschickt. Als sie schließlich vor mir lagen, kam mir die Idee, etwas Größeres daraus zu machen.

Wie hat es sich angefühlt, die Jacken plötzlich in der Hand zu halten und zu wissen, dass darin Menschen ihr Leben riskiert haben?

Souras möchte zeigen, dass man aus den Überbleibseln einer Flucht Erstunterkünfte bauen könnte. (Foto: privat)

Es war seltsam, die Westen rochen noch nach Meer. Mir wurde klar, dass jede einzelne ein Menschenleben repräsentiert, und ich nicht weiß, ob sie die Flucht überstanden haben oder wo sie jetzt leben.

Wie viele Westen hast du für dein Iglu gebraucht?

35 Stück. Man kann den Aufbau neu zusammensetzen, um sie größer und höher zu machen. Oder zwei Iglus miteinander verbinden.

Woher wusstest du, wie du das Zelt bauen musst?

Ich habe schon Erfahrung damit, Baupläne in 3-D zu zeichnen, aber die Konstruktion selbst war komplizierter. Ich habe mich mit meinen Eltern beraten, welches Material sich am besten dafür eignet, und es dann in einem Baumarkt besorgt. Die Stangen habe ich oben in der Mitte zusammengebunden und die Rettungswesten in Rechtecke geschnitten und zusammengenäht, um sie über das Gerippe zu legen. Mit dem Nähen habe ich einfach losgelegt, nachdem mir jemand erklärte, wie das geht. Es war zwar aufwendig, aber nicht sonderlich schwer.

Praktisch veranlagt: Der 15- jährige Achilleas Souras. (Foto: privat)

Hast du mit der Hand genäht?

Ja, und mit der Nähmaschine. Das ging einfach schneller.

Wie lange hast du gebraucht, um das Iglu zu bauen?

Insgesamt habe ich drei Wochen daran gearbeitet, aber nicht jeden Tag.

Und wo steht das Iglu jetzt?

Im Schifffahrtsmuseum in Barcelona.

Wie kam es denn dazu?

Ich mag das Museum sehr, also habe ich einfach meine Iglu-Bilder hingeschickt. Kurz darauf haben sich die Verantwortlichen bei mir gemeldet. Ich habe auch die Saatchi Galerie in London angeschrieben, wo man ebenfalls so begeistert war, dass drei Bilder meines Projekts auf ihre Website gestellt wurden.

Im Februar dieses Jahres hat der chinesische Künstler Ai Weiwei die Säulen vor dem Berliner Konzerthaus mit Rettungswesten von Flüchtlingen ummantelt, inzwischen gibt es jede Menge Kunst aus diesem Bereich. Hast du dich davon inspirieren lassen?

Nein, ich finde Ai Weiweis Arbeit zwar spannend, aber mein Projekt war eher meinem Interesse an nachhaltiger Architektur geschuldet.

Wünschst du dir, dass dein Entwurf tatsächlich irgendwann für humanitäre Zwecke zum Einsatz kommt?

Ja, denn jetzt hilft er den Flüchtlingen nur indirekt. Idealerweise müsste man die Iglus serienmäßig vor Ort produzieren und ihre Herstellung vereinfachen. Sie müssten kompakter werden, damit sie mehr Wärme speichern. Es wäre toll, wenn ich damit Menschen helfen könnte. Aber noch hat sich keine Firma bei mir gemeldet.

Was haben deine Freunde zu deiner Arbeit gesagt?

Ich habe ihnen erst nichts davon erzählt, weil ich gucken wollte, ob ich das Ganze auch wirklich durchziehe. Aber als das Iglu fertig war, fanden sie es toll.

"S.O.S." ist dein erstes Projekt. Was steht als Nächstes an?

Ich interessiere mich für Kunst, zeichne und entwerfe Modelle, aber ich möchte auch auf Probleme aufmerksam machen, die uns alle angehen. Mit Nachhaltigkeit und Recycling werde ich mich weiter beschäftigen, aber nicht unbedingt mit Rettungswesten.

Aber manchmal bist du auch einfach 15 Jahre alt, oder?

Klar. Dann spiele ich am liebsten Basketball mit meinen Freunden.

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: