Süddeutsche Zeitung

Interior-Trend:Die Käse-Pflanze

Nach Ananas, Palme und Kaktus ist die robuste Monstera das neue In-Grün. Warum holen wir uns so gerne fremdländische Botanik ins Wohnzimmer?

Von Anne Goebel

Emmental Cheese, das klingt nicht gerade nach einem formschönen, glatten, schicken Objekt für die perfekt eingerichtete Wohnung. Und doch führt das rustikale Stichwort im Netz zu einem Interior-Trend, der gerade alles andere überwuchert - im Wortsinn. Die Zimmerpflanze Monstera deliciosa mit ihrem glänzenden Blattwerk ist überall, in Mode und Beauty, auf Möbelmessen, Kissenhüllen und natürlich auf Instagram.

"Swiss Cheese Plant", der im Englischen gebräuchliche Name, spielt auf die Aussparungen in den Blättern an. Ein verlockend markantes Erkennungszeichen - und schon war der Keim gesät für einen irrwitzigen botanischen Hype um das dunkelgrüne Gewächs. Neueste Meldung aus der Gärtner- und Design-Hauptstadt London: Lieferengpass, den Händlern geht die Monstera aus. Und die Preise steigen.

Dass exotische Flora und Fauna urplötzlich wie ein mildes Azorenhoch für eine Weile unseren Geschmack bestimmt, kommt in letzter Zeit ja häufig vor. Erst die karibische Ananas, vor der es kein Entkommen gab. Sie prangte plötzlich überall, auf T-Shirts, Toilettenpapier oder Herrenhemden von Prada. Dann die Palme, gefolgt vom Kaktus. Doch auch dieser Trend scheint langsam auszudörren, wobei Anbieter wie Ferm Living noch die skandinavisch reduzierte Form des Kaktus als Eichenholzlampe im Sortiment haben (der großartig überdrehte Gegenentwurf: die Sandale mit grünem Sukkulenten-Absatz von MR by Man Repeller).

Aus der Tierwelt wurde der Flamingo als Motiv totdekliniert, aktuell kommt das Faultier aus dem Regenwald dran - es ist, als gäbe es kein Easyjet und keine sozialen Netzwerke, mit denen jeder Mensch real oder virtuell an die entlegensten Orte gelangen kann. Wie in einer Art wiederauferstandenem Biedermeier umgeben wir uns im trauten Heim mit fremdländischer Dekoration, als müsste sie die Unmöglichkeit der direkten Anschauung ersetzen.

Nun also die Monstera deliciosa, ursprünglich beheimatet im tropischen Amerika - und als Star auf Twitter und Co. bei den wirklich Eingeweihten nicht mehr taufrisch. Wer den Zeitgeist wie ein Seher erahnt, hat die Pflanze natürlich allerspätestens bei sich zu Hause eingetopft, als die britische Modedesignerin Phoebe Philo in jedem Céline-Store die ähnlich großblättrige Geigenfeige platzieren ließ. Für die breite Masse ist der Sommer 2018 die Hochsaison des Fensterblatts, so lautet der deutsche Name der sattgrünen Pflanze. Monstera-Ohrringe bei Zara, Tapeten und Handyhüllen im Dschungellook, das Blatt en miniature als Fingernagel-Tattoo. Der Höhepunkt der grünen Welle dürfte damit erreicht sein. Nächstes Jahr blüht uns dann etwas Neues.

Für Andreas Gröger ist so ein Hype nichts Besonderes. Der Kurator am Botanischen Garten beschäftigt sich mit Mode-Zimmerpflanzen, historisch gesehen ein relativ junges Phänomen. Gewächse im Haus zu kultivieren, wurde erst um 1800 möglich, als großbürgerliche Anwesen über mehr Fenster und einigermaßen konstant temperierte Räume verfügten. Als Seefahrernation und Kolonialmacht kam Großbritannien am intensivsten mit tropischer Flora in Berührung, dort entstanden die ersten großen Treibhäuser und bald auch kleine "Gewächshäuselchen" auf privaten Grundstücken, so Gröger. Vom Garten sei die Exoten-Mode dann überall "in die Wohnräume gesickert". Zur Paradepflanze für Betuchte wurde im ausgehenden 19. Jahrhundert die längst völlig aus der Mode geratene Schusterpalme. "Ein zähes Gewächs, kaum umzubringen, die hat jeder gehabt."

Als Initialzündung für die aktuelle Wiederentdeckung der Monstera deliciosa gilt ihr stummer Auftritt in der Serie "Mad Men" als klassisches Bürozubehör der biederen Fünfzigerjahre: Durchaus dekorativ, leicht zu pflegen und in der Erscheinung irgendwie aufgeräumt, keine rieselnden Blätter oder Blüten. Die Opulenz der Belle Époque war lange untergegangen, und nach dem strengen Anti-Dekor der Bauhauszeit gewöhnte man sich langsam wieder an schmückendes Grün im Haus. "In der Wirtschaftswunderzeit wurden Zimmerpflanzen zum Massenphänomen" so Gröger. Und sie spiegeln in jeder Epoche die Bedürfnisse und Träume der Gesellschaft: Die Gummibäume der Sechziger verkörpern den Wunsch nach der Einmal-im-Leben-Fernreise. Der notorische Oleander der Siebzigerjahre ist wie ein Stückchen vom Sehnsuchtsort Mittelmeer, daheim auf der Terrasse.

Die Pflanze ist anspruchslos. Ein grünen Daumen ist unnötig

Ihre zweite Karriere hat die Monstera deliciosa der prägnanten Blattform zu verdanken, die sich eben auch als Print auf Tagesdecken oder Strandtaschen gut macht. Geometrisch, fast architektonisch klar in der Silhouette, verleiht die glänzende Staude jedem Raum wohldosiertes Wintergarten-Flair, ohne dass sorgsam arrangierte Designobjekte durch unkontrolliertes Ranken in den Hintergrund gedrängt würden. Und ohne dass man sich als Bewohner besonders um sie kümmern müsste. Die Pflanze ist anspruchslos und überlebt auch bei mäßig guten Lichtverhältnissen.

Dass das britische Fachblatt Horticulture Week neulich eine Preissteigerung von 20 Prozent und Lieferschwierigkeiten meldete, hat sicher auch mit diesen robusten Qualitäten des Fensterblatts zu tun. Denn man braucht nicht unbedingt einen grünen Daumen, um die Pflanze am Leben zu erhalten. Sie ist genügsam. Ein wesentliches Kriterium der hippen "Tropicana-Welle" (Gröger): maximale optische Ausbeute bei minimalem Einsatz.

Was das tatsächliche Ernten betrifft, so wird das Potenzial der Monstera von den meisten Besitzern allerdings nicht ausgeschöpft. Ihre länglichen Früchte sind essbar, das sagt schon der Namenszusatz "deliciosa", zu Deutsch köstlich - das Aroma soll an Ananas und Banane erinnern.

Die ungezähmten Seiten des tropischen Gewächses sind es hingegen, die den französischen Künstler Sam Szafran faszinieren. Auch er ist eher ein Geheimtipp in der globalen Fangemeinde. Seine mysteriösen Bilder, die düstere Dschungelwelten aus Schlingpflanzen zeigen, erinnern daran, dass sich die Monstera bis zu dreißig Meter in die Höhe ranken kann auf der Suche nach Licht. Was wir in unsere Wohnzimmer lassen, ist nur die hübsche Spitze.

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Quelle:
SZ vom 21.07.2018/eca/olkl
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