Süddeutsche Zeitung

Intelligente Haute Couture:Telefon zum Anziehen

Kann Haute Couture praktisch werden? Gar intelligent? Die Designer Ryan Genz und Francesca Rosella entwickeln Hightech-Couture - für die Bühne des Eurovision Song Contest oder für Katy Perrys Auftritt auf dem roten Teppich. Ein Gespräch über leuchtende Abendkleider und Telefone zum Anziehen.

Lena Jakat

Wie kann der technologische Fortschritt die Mode bereichern? Können Kleider künftig Gefühle ausdrücken? Gar intelligent werden? Diese Frage führte die Italienerin Francesca Rosella und den US-Amerikaner Ryan Genz in die Berge des Piemont. Dort, in der Kleinstadt Ivrea, erforschten sie am Interaction Design Institute wearable technology, tragbare, kleidsame Technologie. Seit 2005 entwerfen und entwickeln Genz und Rosella Hightech-Haute-Couture. Zu ihren Kunden sind Stars wie Katy Perry. Ein Gespräch über leuchtende Abendkleider und Telefone zum Anziehen.

Süddeutsche.de: Smartphones, Laptops und Tablets sind nicht nur nützliche Technologien, sondern auch modische Accessoires. Nützliche Mode gibt es aber umgekeht noch kaum, oder?

Francesca Rosella: Unser ganzes Leben besteht aus Technologie. Wir nutzen iPhones, laden Filme aus dem Netz. Die Mode ist dagegen ganz schön langweilig. Wir kleiden uns fast immer noch genauso wie im Mittelalter. Klar, die Röcke sind ein bisschen kürzer geworden, aber an sich sind die Klamotten noch exakt dieselben. Indem wir ein bisschen Technologie einbauen, erhalten unsere Entwürfe eine Lage Magie. Sie sollen ihre Träger glücklich machen - so als ob die Kleidung Superkräfte verleiht.

In vielen Modellen verarbeitet das Designer-Duo Unmengen von LEDs. Eine der ersten Kreationen, ein Abendkleid aus Seidenchiffon, Organza und 24.000 LEDs, fand schon vor einigen Jahren seinen Weg in ein Chicagoer Museum. Andere leuchtende Sonderanfertigungen trugen bereits Katy Perry auf dem roten Teppich, U2 bei ihrer 360°-Tournee 2009 - und die aserbaidschanische Sängerin Safura beim Eurovision Song Contest 2010.

Süddeutsche.de: Warum haben Sie angefangen, Lämpchen in Kleider einzubauen?

Ryan Genz: Licht und Mode, das ist definitiv eine sehr hübsche Kombination. Ende der 1990er Jahre habe ich als Interface-Designer Benutzeroberflächen entworfen und angefangen, mich auch für das Visuelle in der realen Welt zu interessieren. Ich habe nach und nach verstanden, dass die Dinge, die außerhalb des Computers vonstattengehen, viel spannender sind. Ich wollte die Technologie aus dem Rechner befreien.

Rosella: Ich arbeitete als Designerin bei Valentino, als dort ein Vertreter leuchtendes Garn anbot. Ich war völlig begeistert und schlug vor, ein Kleid aus schwarzer Spitze damit zu besticken, so dass es aussieht, als würde die Spitze zu leben beginnen. Aber alle sahen mich nur an, als sei ich komplett verrückt geworden und sagten: Entwirf einfach Abendkleider, die nicht leuchten. Damals hatte ich überhaupt keine Ahnung von Technologie, sondern nur ein paar verrückte Ideen.

Süddeutsche.de: Wie unterscheidet sich die Technologie von den anderen Rohstoffen, mit denen Sie als Designer arbeiten, von Stoffen und Garnen?

Genz: Wir denken darüber nicht als etwas Seltsames oder Störendes nach, sondern die Technologie ist fest in unseren Designprozess integriert. Sie ist ein Rohstoff von mehreren.

Rosella: Natürlich stellt sich uns die Frage, wie wir es schaffen, dass die Technik schön aussieht? Das war von Anfang an die große Herausforderung. Es braucht viel Zeit und Forschung, bis Technologie tatsächlich zu einem Werkstoff wurde wie andere auch: weich, leicht und dehnbar. Wir bringen die Technologie mit traditionellen Stoffen zusammen. Ich liebe romantische Abendroben und die kann man ausgezeichnet aus Seidenchiffon machen, weil es ein unglaublich weiches und sehr luxuriöses Material ist, wunderbar. Am Ende sollen sich unsere Kleidungsstücke anfühlen wie normale Mode, die allerdings zaubern kann. Das erfordert einen sehr intensiven Design-Prozess. Die T-Shirts zum Beispiel haben wir zwei Jahre lang entwickelt.

Neben den Spezialaufträgen und der Haute-Couture-Kollektion haben Genz und Rosella auch eine Prêt-à-porter-Linie auf den Markt gebracht. Deren Modelle tragen nicht ganz so aufwändige Technik in sich und sollen das Erlebnis der "kleidsamen Technologie" einem breiteren Publikum öffnen.

Süddeutsche.de: T-Shirts mit LEDs, das gibt es derzeit vor allem noch in Online-Shops für Computer-Nerds. Verstehen Sie sich als Botschafter für wearable technology in der Modewelt?

Genz: Als wir 2005 damit anfingen, hat dieser Begriff für die meisten Menschen überhaupt keinen Sinn ergeben. Wir haben aber immer mehr Akzeptanz erfahren. Dadurch, dass Prominente unsere Entwürfe auf der Bühne tragen, wird unsere Arbeit immer besser aufgenommen.

Rosella: Wir müssen auch als eine Art Botschafter auftreten. Tragbare Technologie, das ist ja nicht nur Kleidung, das kann viele Bereiche revolutionieren. Die Idee, dass die Kleider, die wir tragen, ein Bindeglied zwischen dem Träger und seiner Umwelt werden kann, ein Medium, um zu kommunizieren und Gefühle zu teilen, das ist fantastisch. Ich denke, das ist die Zukunft.

Süddeutsche.de: Wie soll Kleidung Gefühle ausdrücken?

Genz: Berührungsempfindliche Technologie ist ein sehr spannendes Feld. Schon 2006 haben wir ein Shirt entwickelt, das Umarmungen simuliert. Natürlich ist auch das nur eine symbolische Repräsentation menschlicher Berührung, aber doch viel direkter als eine SMS oder ein Foto.

Das Hug Shirt sieht aus wie ein sportliches Langarm-Hemd. Darin sind allerdings Sensoren eingearbeitet, die Druck, Körpertemperatur und Puls wiedergeben. Gesendet wird die Umarmung über das Handynetz, entweder von einem anderen Träger des Shirts oder per Simulation. 2006 tourten die Designer mit ihrer Erfindung um die Welt.

Süddeutsche.de: Hat das Projekt denn Zukunft?

Rosella: Allerdings! Es soll in den kommenden Monaten in Serie gehen. Jahrelang hatten wir Probleme mit der Handyschnittstelle. Das ist jetzt vorbei. Das iPhone rettet die Welt, wieder mal. Jeder wird sich aus der Ferne umarmen können.

Süddeutsche.de: Das Kleidungsstück der Zukunft kann also leuchten und mich umarmen. Kann es sonst noch was?

Rosella: Denken Sie zum Beispiel an all die Sachen, die gerade noch in Schachteln und Hüllen stecken. Wie Ihr Telefon oder die Kamera - alles, was Sie mit sich tragen, um in Verbindung zu bleiben. Jedes Mal, wenn ich mein Smartphone fallen lasse, denke ich: Oh nein, jetzt habe ich es kaputt gemacht. Stellen Sie sich vor, dass Sie all diese Technik einfach am Körper tragen könnten - in der Kleidung. Wenn man abends aus seinem Kleid steigt und es auf den Boden fällt, geht es nicht kaputt.

Süddeutsche.de: Meinen Sie etwa ein iPhone zum Anziehen?

Rosella: Exakt. Den Prototypen dazu gibt es schon. Ryan wird immer sauer, wenn mein Telefon klingelt und klingelt, und ich es in den Tiefen meiner Handtasche nicht finden kann. Also haben wir ein Kleid entworfen, das die Sim-Card im Etikett trägt, Mikrofon und Lautsprecher am Handgelenk, und die Antenne im Saum. Wenn das Kleid klingelt, hebt man einfach die Hand zum Ohr und der Anruf wird entgegengenommen. Momentan kann man allerdings nur zwei oder drei Leute anrufen. Klar ist das nichts für jeden Tag, und nichts für Menschen, die auf dem Handy Mails schreiben. Aber wenn man abends zum Beispiel ausgeht, dann kann man sein Handy zu Hause lassen. Man hat einfach dieses Kleid an, das aussieht wie ein kleines Schwarzes. Aber es klingelt.

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