Instrumente:Für Liebhaber

Experten des Klangs: In Wiener Neustadt baut die Traditionsfirma Bösendorfer heute noch Flügel für Künstler und Konzerthallen.

Von Peter Münch

Instrumente: Der Pianist András Schiff am eigens für ihn gefertigten Bösendorfer 280 VC im Konzerthaus Wien.

Der Pianist András Schiff am eigens für ihn gefertigten Bösendorfer 280 VC im Konzerthaus Wien.

(Foto: Lukas Beck)

Mit Schwung setzt sich Marialy Pacheco an den Flügel, im schwarzen Glitzerkleid und hochhackigen Schuhen. Ein paar einführende Worte, ein strahlendes Lächeln, dann geht's los. Rund hundert Besucher haben an diesem Abend den Weg gefunden zum "Konzert in der Manufaktur", die kubanische Pianistin hat schon größere Hallen gefüllt in Montreux und anderswo auf der Welt. Doch dies ist auch für sie ein spezieller Abend. "Cuba meets Jazz" ist das Motto, doch eigentlich müsste es heißen "Jazz trifft Wiener Neustadt", genauer gesagt: Der Jazz trifft auf den viel gerühmten "Wiener Klang".

Denn Marialy Pacheco, die aus der Klassik kommt und einst von Keith Jarrett zum Jazz bekehrt wurde, ist eine der offiziellen "Bösendorfer-Künstlerinnen", und mit diesem Auftritt auf dem Werksgelände des österreichischen Klavierbauers, so sagt sie, ist sie "nach Hause gekommen zur Bösendorfer Familie". Im Showroom des in Wien gegründeten und heute im fünfzig Kilometer entfernten Wiener Neustadt ansässigen Unternehmens, da, wo sonst an die dreißig Instrumente stehen zum Testspiel für die Kunden, zeigt sie nun ihr Können - und natürlich auch, was das neue Prunkstück aus dem Hause Bösendorfer kann, der "280 VC".

Von 100.000 Euro aufwärts kostet ein Flügel. Und das Meiste daran ist handgefertigt

VC steht für Vienna Concert, 280 für die Länge des Flügels. Seit Oktober 2015 ist die neue Modellreihe auf dem Markt, und wenn Thomas Broukal davon spricht, dass dieser Flügel das Unternehmen, nun ja, beflügeln und zu alter Größe zurückführen soll, dann leuchten seine Augen. 57 Jahre ist Broukal alt, seit mehr als vier Jahrzehnten bei Bösendorfer, mit fünfzehn hat er dort seine Lehre als Klavierbauer begonnen. Heute ist er Technikchef und hat die VC-Reihe mit ausgetüftelt, die Bösendorfer zurückbringen soll auf die großen Konzertbühnen der Welt und natürlich auch in die Konservatorien und privaten Salons.

Schließlich ist Bösendorfer, geschrieben aus Prinzip in goldenen Lettern, eine Legende. 1828 wurde die Firma von Ignaz Bösendorfer gegründet, und bald gehörte der Besitz eines Bösendorfer-Klaviers zum guten Ton in Wiener Bürgerhäusern. Natürlich wurde auch das Habsburger Herrscherhaus beliefert vom "k. k. Hof-Kammer-Pianoforte-Verfertiger", der spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Weltruhm gelangte. Johannes Brahms und Anton Bruckner spielten und komponierten mit Bösendorfer. Ein Bösendorfer-Flügel soll angeblich auch das erste Instrument gewesen sein, das dem kraftvollen Spiel von Franz Liszt standgehalten hat. Zeitlebens blieb er Bösendorfer treu.

Das waren die goldenen Zeiten. In Öster-reichs Hauptstadt gab es damals noch 120 Klavierbauer, heute ist davon als Serienproduzent nur noch Bösendorfer übrig geblieben. Auf den glorreichen Aufstieg folgte ein Abstieg auf Raten, der den veränderten Bedingungen am Markt, aber auch eigenen Managementfehlern geschuldet war. In den Sechzigerjahren wurde Bösendorfer von einem amerikanischen Konzern gekauft, dessen Kerngeschäft der Holzhandel war. 2002 kehrte das Unternehmen zurück in österreichischen Besitz, doch die Bawag-Bank hatte genug eigene Probleme und wurde schließlich von einem US-Fonds namens Cerberus geschluckt. Rote Zahlen wurden zur Regel, und der große Konkurrent Steinway mit Sitz in Hamburg und New York enteilte in andere Sphären und erreichte ein Fast-Monopol auf den großen Konzertbühnen weltweit.

Was Bösendorfer blieb, das war der Mythos. Wie sehr der im kulturstolzen Österreich gepflegt und verteidigt wurde, das sah man, als das Unternehmen Ende 2007 vom japanischen Instrumenten- und Motorenbauer Yamaha gekauft wurde. Der Dirigent Nikolaus Harnoncourt wetterte damals: "Mich fröstelt, wenn ich daran denke." Er fand den Verkauf "zum Weinen". Der Pianist Rudolf Buchbinder empörte sich: "Man verkauft doch auch nicht die Sängerknaben und die Lipizzaner ins Ausland." Geschäftlich aber ging es danach wieder aufwärts - allerdings erst nach einem Sparprogramm, bei dem die Belegschaft um ein Drittel auf heute gut 120 Mitarbeiter schrumpfte und der Standort Wien zugunsten von Wiener Neustadt geschlossen wurde. Bösendorfer blieb eine eigene Marke innerhalb des Konzerns. "Yamaha hat das Unternehmen gekauft, um dieses Juwel der Wiener Klavierbau-Tradition zu erhalten", meint die heutige Bösendorfer-Chefin Sabine Grubmüller.

In den kleinen und feinen Produktionsanlagen in Wiener Neustadt werden heute 300 Instrumente im Jahr gefertigt. Zehn Modelle gibt es - acht Flügel in unter-schiedlicher Größe und zwei Klaviere. 80 Prozent des Verkaufs entfallen bereits auf die Flügel der neuen Vienna-Concert-Reihe. "Unser Ziel ist, dass es jedes Jahr ein bisschen mehr wird", sagt Grubmüller. Von "brand awareness" spricht sie, der Ruf der Marke soll Kreise ziehen von den Konzertbühnen zu den privaten Enthusiasten, die bereit sind, für einen Flügel Preise von 100 000 Euro aufwärts zu zahlen. Industriell gefertigte Instrumente aus Japan sind schon für die Hälfte zu haben.

Aber das sind dann auch keine Bösendorfer mit diesem altbekannten "sanften und runden Klang", der bei den neuen Modellen noch um "Brillanz und Klarheit" erweitert worden sei, wie Technikchef Thomas Broukal schwärmt. "90 Prozent der Arbeit an einem Instrument werden noch in traditioneller Handwerkskunst erledigt", sagt er. "Den Rest übernehmen Maschinen. Billiger werden die Instrumente dadurch nicht, aber besser."

Ein Kunde aus Singapur wünschte sich vergoldete Schrauben. Kein Problem

Die Qualität beginnt beim Holz, das im Hof aufgeschichtet liegt. Drei bis vier Jahre lagert es hier zum Austrocknen. "Das wird dann mal ein Flügel", sagt Broukal mit Blick auf die gewaltigen Holzhaufen. 80 Prozent davon ist Fichtenholz. "Das hat die beste Schall-Leitfähigkeit." Das Holz kommt aus Lagen über 80o Metern, möglichst Nordseite, im Winter geschlagen. Der Baum müsse ein "hartes Leben haben", erklärt Broukal, dann überstehe er auch die Transformation zum Piano. Auf einem Bösendorfer soll man hundert Jahre spielen können. Allerdings nicht im Konzertbetrieb, da werden sie früher ausgetauscht. "Das ist wie bei einem Hochleistungssportler, der reißt mit 35 auch nichts mehr", sagt Broukal, "aber er ist immer noch ein Top-Skifahrer."

Im Untergeschoss des Produktionsgebäudes sind die Werkstätten - die Tischlerei mit den sirrenden Sägen und die Schlosserei, in der gehämmert und geschraubt wird. Oben hört man dann schon die ersten Klavierklänge. Die Saiten werden aufgezogen, Mechanik und Tastaturen eingebaut. Rund 400 Arbeitsstunden stecken in einem Flügel. Von der Holzeinlagerung bis zur Auslieferung des Instruments vergehen fünf bis sechs Jahre.

Jedes Instrument ist ein Einzelstück, und auch eher extravagante Kundenwünsche werden erfüllt. Broukal erinnert sich an ein pinkfarbenes Klavier für das Kinderzimmer eines Kunden oder ein anderes in Mintgrün. "Das war schon gewöhnungsbedürftig." Nach Singapur wurde ein Flügel mit vergoldeten Schrauben geliefert, nach Aserbaidschan einer reich verziert mit Ornamenten. Und dann gab es auch noch den Auftrag der bayerischen Staatsregierung, die ein Instrument mit Rautenmuster wollte, Weiß und Blau. "Ich sag' immer, wir können nicht Nein sagen", meint Broukal. Bei der Holzverarbeitung liegt gerade ein Bund Furnier aus Pyramiden-Mahagoni. Unlängst hatte sich der Pianist András Schiff einen 280-VC-Flügel mit diesem Furnier bauen lassen, das unter dem grellen Bühnenlicht fast wie Feuer leuchtet. "Das hat einer Japanerin so gut gefallen, da hat sie ihn gleich auch bestellt", sagt Broukal. Der Preis: "Über 200", also mehr als 200 000 Euro.

"Der András hat gemeint, warum soll ein Flügel immer schwarz sein", erzählt Broukal. Man kennt sich lange schon, schließlich schwört András Schiff auf Bösendorfer und hat sich ob des Steinway-Monopols über die "Monotonie in den Konzertsälen dieser Welt" beklagt. "Der Klang des Steinway wäre dem Hochdeutschen vergleichbar", sagte der Musiker einmal in einem SZ-Interview aus dem Jahr 2007, "der des Bösendorfer aber dem Wiener Dialekt."

Natürlich steht auch András Schiff auf der stolzen Liste der "Bösendorfer-Künstler", so wie Marialy Pacheco, die an diesem Abend im Saal der Manufaktur die kubanisch-wienerische Jazz-Fusion zum Besten gibt. "Ich möchte mich bei meiner Bösendorfer-Familie bedanken", sagt sie. "Es ist unglaublich, was für eine Leidenschaft und wie viel Disziplin hinter diesem Flügel steckt." Dann spielt sie weiter. Rund und sanft, klar und brillant.

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