Süddeutsche Zeitung

Insolventes Modelabel aus Hamburg:Jenseits von Eden

An prominenter Kundschaft mangelt es dem Modedesigner Bent Angelo Jensen und seinem Label Herr von Eden wirklich nicht. Lady Gaga, Depeche Mode, Jan Delay - alle hat er schon eingekleidet. Die Legende vom Lumpensammler, der als Autodidakt zum Star-Schneider wurde, schien perfekt. Hätte sich Jensen nur das Rechnen besser beigebracht.

Von Charlotte Frank, Hamburg

Vom Lumpenhändler zum Modedesigner, im Nachhinein klingt die Legende ja auch zu schön, um wahr zu sein. Vom Lumpenhändler zum Designer, das ist ein Aufstieg, so fantastisch, wie vom Bettelknaben zum Prinz zu werden. So übertrieben, wie erst Tellerwäscher und dann Millionär zu sein. Aber Bent Angelo Jensen war wirklich Lumpensammler, so nennt er es selbst. Heute ist er mit seinem Label "Herr von Eden" einer der angesagtesten Modedesigner Hamburgs. Er kleidet Prominente wie Thomas Gottschalk ein, Bela B. von den Ärzten, Tim Mälzer, oder den Regisseur Fatih Akin. Er stattet internationale Künstler aus wie beispielsweise Lady Gaga oder die Musiker der Bands R.E.M. und Depeche Mode.

Aber die Legende ist wirklich zu schön, um wahr zu sein. Am Montag hat Herr von Eden Insolvenz angemeldet. "Ich habe mich übernommen", sagt Bent Angelo Jensen.

Er sieht jetzt blass aus und noch schmaler als sonst. Seine Geschichte vom fantastischen, übertriebenen Aufstieg ist zu der eines tiefen Falls geworden. Solche Geschichten mögen die Leute: dabei zusehen, wie ein strahlender Überflieger mal so richtig auf die Schnauze fällt. Nur: Bent Angelo Jensen steht ja schon wieder auf. Ein bisschen wackelig noch, aber er steht. An diesem Freitag werden seine Läden wieder gefüllt, mit einer neuen Kollektion. Ausgerechnet jetzt. Er nennt das "Flucht nach vorne", und vielleicht muss man seine Geschichte genau so lesen.

Die Geschäfte laufen weiter, während das Insolvenzplanverfahren angestrebt wird, und zumindest in Hamburg laufen sie gut. Der Herr-von-Eden-Store in der Marktstraße im Karolinenviertel ist gepflegt und belebt, als wäre nichts passiert, die Atmosphäre irgendwo zwischen Wohnzimmer und Kunstgalerie, die Mode zwischen Nostalgie und Avantgarde, die Kundschaft zwischen hip und vornehm, es ist wie immer bei Herr von Eden, es ist von allem was dabei.

Nichts für das Vorstellungsgespräch in der Sparkasse

Eine Frau stöbert durch die reduzierte Damenkollektion, zwei Herren probieren Anzüge: Der eine einen dunkelblauen, klassisch geschnitten, mit zwei-knöpfigem Sakko. Die Hose ist gerade, die Passform schmal, der Sitz so elegant, dass man versteht, warum der Stern vor einigen Jahren geschrieben hat, "das Label Herr von Eden fertigt die schönste Anzugmode der Republik". Aber dann ist da noch der andere Kunde, ein junger Vater, dessen Baby im Maxi-Cosi in einer Ecke schläft. Er kommt in einem orangeroten Anzug mit dunklen Streifen aus der Umkleidekabine. Sitzt auch gut, sieht elegant aus, ist jetzt aber nicht gerade das ideale Muster zum Vorstellungsgespräch in der Sparkasse.

Es sind diese extravaganten Modelle, die das Label Herr von Eden berühmt gemacht haben, es sind diese klassischen Schnitte, dieser dandyhafte, selbstbewusste Auftritt, den Bent Angelo Jensen seinen Kunden auf den Leib schneidert. Es sind, ganz allgemein, Herrenanzüge, denen er seinen Aufstieg verdankt. Zu Beginn seiner Karriere hat er sie aus Altkleidersammlungen gefischt, aufgearbeitet, verkauft, je schwerer der Stoff war, desto höher der Preis, eine Waage war seine Kasse. So fing alles an.

"Da drüben", sagt Jensen und weist aus seinem Laden auf die andere Straßenseite. Das Haus ist eingerüstet, wird wohl gerade teuer saniert, wie es eben so ist in Szenequartieren wie dem Karoviertel, wo in Hamburg die Künstler wohnen, die Kreativen, Alternativen. 1996, als 19-Jähriger, hat Jensen hier mit einem Freund sein erstes Geschäft aufgemacht: einen Second Hand Shop. Hier verkaufte er vor allem Herrenanzüge aus den 1920er- bis 1980er- Jahren, die er in den Sortierbetrieben der Altkleidersammler zusammenklaubte. Was originell und noch brauchbar war, nahm er mit, steckte es zur Not neu ab und bot es nach Dekaden sortiert im Karolinenviertel an. Er hatte schnell Erfolg damit, aber es reichte ihm auch schnell nicht mehr. "Ich wollte nicht nur Lumpensammler sein", sagt er, "ich wollte eigene Modelle entwerfen." Den "perfekten Anzug", darunter ging es für ihn nicht.

Bent Angelo Jensen, 35, ist Perfektionist, Exzentriker, Dandy. Er trägt an diesem warmen Julitag in Hamburg Lederschuhe mit Gamaschen, ein geblümtes Hemd, schwarz manikürte Nägel, goldene Ohrringe. Die Haare sind kurz geschnitten, der Bart über der Oberlippe scharf rasiert, alles sitzt perfekt, nur die Augen wirken müde. Sein Smartphone klingelt pausenlos, Freunde rufen an, Geschäftspartner, Lieferanten. 51 Prozent seiner Gläubiger müssen dem Insolvenzplan zustimmen, dann kann Herr von Eden weitermachen.

Bent Angelo Jensen übt sich in Zuversicht: Der vorläufige Insolvenzverwalter Nils G. Weiland hat Unterstützung für das Sanierungsvorhaben signalisiert. "Die beiden größten Stofflieferanten haben auch schon zugesagt", sagt Jensen. Das Telefon vibriert noch einmal, eine SMS, Jan Delay schreibt: Er wünsche Bent jetzt viel Kraft.

Jan Delay war der erste Prominente, der sich bei Herr von Eden einkleiden ließ. Viele der karierten, gemusterten, bunten Maßanzüge, in denen man den Rapper kennt, kommen aus der Hamburger Marktstraße. Anzüge machten "nicht unlinks", hat Jan Delay einmal in einem Interview mit der Entertainment-Plattform Monsters and Critics gesagt, wider den Spießer-Banker-Beamten-Ruf, den die Kombination aus Jackett und Bundfaltenhose lange in Deutschland hatte. Es hat viel mit Jan Delay zu tun, dass der Anzug jetzt wieder cool ist. Es hat viel mit Herr von Eden zu tun, dass Jan Delay Anzug trägt.

Autodidakt, Wunderkind, aber kein Rechengenie

Wo er das Geschäft gelernt hat? Da erzählt Jensen von seiner älteren Schwester, die Schneiderin war und später Modedesign unterrichtet und ihm bei den ersten Schnitten geholfen hat. "Ansonsten habe ich mir alles selbst beigebracht", sagt er, durch die viele Arbeit mit Klamotten aus Altkleidersortierbetrieben habe er sich in Schnittführungen und Passformen ausgekannt. Dass Jensen Autodidakt ist, hat die Legendenbildung um das Wunderkind aus dem Second-Hand-Laden immer genährt. Er lacht bitter. "Das Rechnen hätte ich mir wohl besser beibringen müssen." Er hat sich verkalkuliert.

Das Geschäft mit den perfekten Anzügen ging so blendend, dass Jensen bald einen zweiten Laden in Berlin aufmachte, in Kopenhagen, in Köln, noch einen in Hamburg und einen in München. Aber München und Kopenhagen liefen nicht, allein in Bayern machte er 300.000 Euro Verlust. "In Städten, in denen es keine Wildplakatierung gibt, funktioniert Mode nicht, die mit Subkultur spielt", sagt er heute, im Rückblick. Die Geschäfte in München, Kopenhagen und die zweite Filiale in Hamburg hat er längst dicht gemacht, aber hinterher saß er trotzdem noch da, mit seiner viel zu großen Verwaltung und den viel zu hohen Lieferantenverbindlichkeiten.

Todesstoß Damenkollektion

Am schwersten aber wogen seine Fehler mit der Damenmode-Kollektion. Die lief von Anfang an nicht so richtig, zu kühl waren die Entwürfe, zu geradlinig, zu androgyn, zu viel Marla Glenn und Marlene Dietrich. "Den Frauentyp, den ich mir vorgestellt habe, gibt es so als Kundin nicht in Deutschland", sagt er. "Ich habe an den Frauen vorbeiproduziert." Die Damenkollektion hat ihm letztendlich das Genick gebrochen. Er wird sie komplett abstoßen. Er hat insgesamt 600 000 Euro Schulden.

Aber er hat auch noch drei Geschäfte, Herr von Eden in Hamburg, Berlin und Köln, die schwarze Zahlen schreiben, und er hat sein Maßatelier am Hamburger Großneumarkt. Er hat den "perfekten Schnitt", an dem er jetzt weiter feilen will, mit einer Passform, die auch kräftigere Männer tragen können. Alle sechs Wochen wird Herr von Eden künftig die Ware in den Läden erneuern - lieber weniger produzieren und wendiger bleiben. "Wir wollen überleben", sagt Bent Angelo Jensen. Mitten in der größten Krise des Unternehmens erwartet Herr von Eden an diesem Freitag eine Großlieferung. 300 Anzüge kommen neu in die Läden. Der Lumpensammler von früher flieht nach vorn.

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SZ vom 05.07.2013/leja
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