Süddeutsche Zeitung

Inneneinrichtung:Luxus, natürlich

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Kompliziertes Mobiliar aus einfachen Materialien: Der Schreiner Alv Kintscher baut Möbel aus Fundstücken - und prägt mit seinen Entwürfen den modernen Alpinstil.

Von Gerhard Matzig

Schwungvoll öffnet sich die schwere Holztür. Gleich rechts davon wird man als Besucher von einem Schild mit diesem faustischen Goethe-Wort begrüßt: "Vermesse dich, die Pforten aufzureißen". Und nun, da die Pforte zu Alv Kintschers Inneneinrichtungs-Manufaktur in Sachsenkam, unverschämt idyllisch gelegen zwischen Starnberger See und Tegernsee, also aufgerissen wurde, steht er selbst freundlich lächelnd in der Tür. Das intensive Blau der Augen würde an den jungen Terence Hill erinnern, wenn es nicht noch viel mehr vom Blau des sehr viel älteren Tegernsees erzählte. Und - das kann man hier schon mal festhalten - es erzählt auch sehr viel von der Natur-Sehnsucht des Gestalters. Von seiner Sicht auf die Dinge. Auf eine Dingwelt, die mehr Welt als Ding ist. Vor allem aber Passion. Übrigens würde man idealerweise Alv Kintscher nun auch noch so beschreiben: ein Berg von einem Mann.

Aber der 51-jährige Designer, der mit seiner Arbeit den in Retro-Wahnsinn führenden Jodelstil zum Teufel schickte, um ihn als "Modern Nature"-Style im Nachhaltigkeitsgewand der Gegenwart zu reanimieren, besitzt eher die Physiognomie und Dynamik eines Läufers als das statische Wesen eines Massivs. Immerhin trägt er aber den Berg im Namen. Was unmöglich ein Zufall sein kann.

Flüsse, Seen und Berge sind die stilistischen Jagdgründe des Designers

"Meine Eltern", erzählt Kintscher, während er an einem Tisch inmitten seiner sympathisch verschachtelten Treppauf-treppab-Schreinerei Bleistift, Radiergummi und Espressotasse zu einem Ensemble ordnet, "haben mir den Namen des Piz Alv gegeben. Das ist ein Berg in der Schweiz." Wieder dieses spitzbubenblaue Tegernseelächeln - "keine Ahnung warum, vielleicht wurde ich ja auf dem Gipfel gezeugt oder so."

Oder so. Jedenfalls passt es hervorragend zum Tun und Denken des Alv Kintscher, dass er seinen Namen nicht etwa umdesignt hat, zum Beispiel von Alfred zu Alv, um sich irgendwie designbrillenhaft interessant zu machen, sondern dass er einfach so rätoromanisch gediegen heißt wie ein 2855 Meter hoher Berg in Graubünden. Wie ein Stück Natur. So ein Berg ist ja einfach da, präsent und selbstverständlich. Und das Design von Alv Kintscher, seine Tische und Küchen, die Leuchten und Sofas, die Waschbecken, Kamine, Fenster, Türen, Hocker, Sessel, Stühle, das alles könnte man womöglich so auf den durchaus positiven Punkt bringen: Es ist halt einfach da.

Bei seinen Einrichtungen vereint Alv Kintscher urige Optik und gemütliche Eleganz, etwa im Chaletdorf Priesteregg.

Das Design ist einerseits reinste Natur, bestehend entweder aus Stein, Eisen, Holz, geformt von der Natur. Andererseits auch artifiziell, raffiniert, bisweilen extravagant.

Der Gefahr des Kitsches entkommt der Gestalter, indem er den Astleuchten und Baumscheibentischen zugleich immer funktionale Konstruktionsklarheit zur Seite stellt.

Aber so simpel ist es nun doch wieder nicht. Sein Interiordesign ist einerseits reinste Natur, bestehend entweder aus Stein, Eisen, Holz oder Filz, aus nichts sonst, entstanden in und geformt von der Natur, und dann ist es andererseits auch artifiziell, raffiniert, bisweilen extravagant. Manchmal regelrecht verspielt. Zu Kintschers Kunden gehören beispielsweise Willy Bogner, Maria Furtwängler oder Christa Kinshofer. Einfach nur einen Sitzstein oder einen Holzhocker lassen die sich nun auch wieder nicht in ihre Alpin-Hideaways stellen. Ganz so leicht ist die Sache mit dem Berg, der einfach da ist, eben doch nicht.

Gehen wir als also erst mal raus. Raus in die Natur. Zu den Flüssen, Seen und in die Berge. Dort befinden sich die stilistischen Jagdgründe von Alv Kintscher. Dort findet er seine Möbel wie nebenher. Beim Joggen und Radfahren, unterwegs mit dem Hund, oder beim Spazierengehen. Die Möbel liegen dann noch im Flussbett, sie stranden am Ufer oder verstecken sich im Unterholz des Waldes. Das heißt: Noch sind sie keine Möbel, sondern eigenartige Steinbrocken oder einfach nur grotesk verformtes Schwemmholz, wie es auch die Fantasie von Salvador Dalí entzündet haben könnte.

Es ist vielleicht ein wenig vermessen, wenn man nun auch noch an Michelangelo erinnert, der im 16. Jahrhundert mit dem "David" die erste Monumentalstatue der Hochrenaissance schuf. Es ist die berühmteste Skulptur der Kunstgeschichte. Befragt nach dem Geheimnis seiner Kunst antwortete Michelangelo: "Der David war immer schon da gewesen. Ich musste lediglich den überflüssigen Marmor um ihn herum entfernen."

Oh, dieser Vergleich ist also vermessen, weil Michelangelo einer der größten Künstler der Geschichte ist und Kintscher nicht Knaben aus Marmor, sondern Leuchten aus Schwemmholz schlägt? Stimmt, aber wir sollen ja vermessen sein. Sagen wir so: Ein Bildhauer und Renaissancekünstler ist er nicht, der Kintscher Alv, aber es ist eine nicht ganz kleine Kunst, in den Dingen, die sonst achtlos herumliegen, etwas von dem zu ahnen, was sie auch sein können. Weil es schon darin wohnt.

Mit Funktionsklarheit bei seinen Entwürfen entkommt er der Kitsch-Gefahr

Und weil es jetzt eh schon egal ist, müssen unbedingt auch noch Adolf Loos und Karl Kraus ins Spiel kommen. Kraus, der begnadete Aphoristiker, sagte vor einem Jahrhundert: "Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung, Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst." Und Loos, ebenfalls ein mit der Tugend der Boshaftigkeit gesegneter Österreicher, Architekt zumal, warnte jenen, "der in den Bergen baut", vor dem Elend des Malerischen: "Baue nicht malerisch. Überlasse solche Wirkung den Mauern, den Bergen und der Sonne." Andernfalls sei man ein "Hanswurst". Und was hat das jetzt mit dem Schreiner Alv Kintscher zu tun, der sich als Student im elterlichen Betrieb, wo für Karstadt "Bauernmöbel" hergestellt wurden, etwas Geld mit allerlei Schnitzereien verdiente?

Es ist so: Die Sehnsucht der Menschen nach dem karikaturhaften Lederhosenfuror auf der Wiesn hat genau wie der allerorten (und gerne auch in Pinneberg) boomende Alpinstil mit eingebautem Alpenglühen etwas mit dem Verschwinden von Gemütlichkeit und Malerischem zu tun. Loos hat der Welt alles Ornamentale so gründlich ausgetrieben wie Kraus uns das behäbige Gemüt. Weshalb das ziemlich auf dem Zeitgeist surfende und extrem erfolgreiche Geschäftsmodell von Alv Kintscher schon darin begründet ist, dass er sagt: "Die Welt soll modern sein, aber nicht kalt. Und Wohnungen dürfen auch so schön sein, dass man sich darin wohlfühlt." Es gibt Architekten der Moderne, die das Wort "Wohlfühlen" nicht mit langen Stangen angefasst hätten.

Es ließe sich darüber grübeln, ob Baumstämme, die vom Blitz getroffen wurden und nun als Leuchte für Prominente dienen, nicht auch in einer gewissen Kitsch-Gefahr schweben. Das ließe sich auch von den Yachten sagen, die Kintscher als "segelnde Luxuszimmer" (so das Fachmagazin Yacht) ausstattet: mit offenem Feuer im filzgetäfeltem Salon, wo die Handläufe aus Treibholz sind. Kitsch, kitschiger, Kintscher sozusagen. Aber dieser Gefahr entkommt der Gestalter aus Sachsenkam, indem er den Astleuchten und Baumscheibentischen zugleich immer etwas Beton, funktionale Konstruktionsklarheit und Formökonomie zur Seite stellt. Worin die Natur in ihrer ganz eigenen Gestalt dann umso souveräner erstrahlt. Alv Kintscher gelingt insofern Großes: Man fühlt sich in seinem modernem Interieur ohne jede Hanswurstigkeit schlicht und ergreifend wohl. Gemütlich ist man selbst? So ein Schmarrn.

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SZ vom 04.06.2016
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