Im Schaffensdrang:Die Schönen & das Biest

Julian Schnabel stellt sich in eine Reihe mit den Größen der Kunstgeschichte und inszeniert sich wie ein Renaissance-Fürst.

Von Jenny Hoch

Julian Schnabel stapft in die Bar des Berliner Hotels de Rome. Er überprüft kurz den Lichteinfall, dann lässt sich der amerikanische Maler- und Regiestar auf ein Sofa gegenüber der Fensterfront fallen. Er trägt wie immer den Look des exzentrischen Künstlers, der zu seinem Markenzeichen geworden ist: Pyjamahose aus Seide, Bart und getönte Brillengläser - heute in Blau. Anstatt in das passende Schlafanzug-Oberteil hat er sich in ein mindestens zwei Nummern zu kleines rosafarbenes Holzfällerhemd gezwängt. Es spannt am Bauch und an den Oberarmen.

Schnabel ist in der Stadt, weil er mal wieder ein Werk von sich präsentiert: Seine bereits 1987 erschienene Autobiografie mit dem rätselhaften Titel "CVJ. Nicknames of Maitre D's and Other Excerpts from Life" (Verlag Hatje Cantz). Das Buch wurde pünktlich zu seinem 64. Geburtstag präsentiert - standesgemäß auf einer Party in der Paris Bar. Es gratulierten: Claire Danes, Nina Hoss, Wim Wenders und Markus Lüpertz. Der Verlag bringt den Band jetzt noch einmal heraus - quasi als historisches Dokument der wilden Achtzigerjahre in New York City. Schnabel war damals mittendrin. Er betrank sich mit anderen Künstlern in schummrigen Bars, seine "wahre Schule" nennt er das. Er schlug sich als Koch durch und malte wie ein Besessener. Sein Ziel hatte er immer vor Augen: eines Tages reich und berühmt zu werden.

"Ich werde nicht sentimental, wenn ich an früher denke", sagt Schnabel. Doch dann nimmt er plötzlich das Rückenpolster des Sofas auf den Schoß und drückt es wie ein Kuscheltier an seine massige Brust. Was will er uns mit dieser Geste sagen? Vor allem wohl dies: Wir haben es hier mit einem Brocken von einem sensiblen Mann zu tun, bei dem alles außergewöhnlich ist - sein Werk, sein Ego, sogar seine Art, auf einem Sofa zu sitzen.

Bereits Ende der Achtziger galt Schnabel als einer der teuersten zeitgenössischen Maler. Er gilt als Vertreter des Neoexpressionismus, in seinem Fall heißt das: großes Pathos, keine Ironie. Schnabel schliff Leinwände mit seinem Pick-up über den Highway, schleuderte in Farbe getränkte Tischdecken auf seine Bilder und ließ seinen Freund, den Schauspieler Christopher Walken, darauf tanzen.

Im Schaffensdrang: Breite Brust, großes Ego: Julian Schnabel.

Breite Brust, großes Ego: Julian Schnabel.

(Foto: Steve Clute/Tom Powel Imaging)

Sein Schaffensdrang ist bis heute ungebremst. Mehr als 2000 Werke soll er vollendet haben, wobei er so ziemlich alles bemalt hat, was ihm in die Finger geriet: Schiffssegel, Fundstücke, Porzellanscherben, Fotos, gigantische Leinwände. "Ich wollte nie einer dieser Maler sein, die immer wieder dasselbe Bild in unterschiedlichen Variationen und Formaten malen", sagt Schnabel. Kritikern war diese Wandelbarkeit suspekt, sie misstrauten der Nonchalance, mit der er seinen Stil wechselte. Dass Schnabel nicht davor zurückschreckte, sich mit Picasso zu vergleichen, machte die Sache nicht besser. "Das war ein Scherz", sagt Schnabel, die Leute verstünden nur leider keinen Spaß.

Bescheidenheit war noch nie sein Ding. "Ich finde, ich habe in meinem Buch den jetzigen Zustand der Kunstwelt vorhergesehen", sagt Schnabel und knetet sanft das Sofapolster. "Ich habe schon früh gewusst, was ich wollte. Das ist selten, Vincent van Gogh war der geborene Maler, er selbst wusste das aber erst ein paar Jahre vor seinem Tod." Vincent van Gogh also. Das ist die Größenordnung, in der sich der Meister sieht.

Schnabel hat das Talent, sich immer wieder neu zu erfinden. Als es nach dem Kunstmarktcrash von 1990 vorübergehend düster für ihn aussah, sattelte er um. Er nahm nun die ganz große Leinwand ins Visier und wurde Regisseur. Nach preisgekrönten Filmen wie "Basquiat" (1996), "Before Night Falls" (2000) oder "Schmetterling und Taucherglocke" (2007) verstummten selbst seine härtesten Kritiker. Im Kino zeigte er eine andere Seite von sich, seine Fähigkeit, sich in komplexe psychologische Verstrickungen hineinzuversetzen. Mit gesteigertem Einfühlungsvermögen war er bis dato nicht gerade aufgefallen, eher mit Egomanie.

1951 in eine wenig glamouröse jüdische Familie aus Brooklyn hineingeboren, führt Schnabel das Leben eines modernen Renaissance-Fürsten. Er residiert in einem siebenstöckigen pinkfarbenen Palazzo im venezianischen Stil, den er sich auf eine ehemalige Parfumfabrik im West Village setzen ließ. Die New Yorker hassten ihn zuerst dafür, inzwischen scheinen sie ihm die Bausünde vergeben zu haben. Sein protziger "Palazzo Chupi" ist ja auch der Beton gewordene Beweis dafür, dass schlechter Geschmack großartig sein kann.

Zitat

"Ich werde überall eingeladen, ich gehe aber eigentlich nur noch hin, um Freunden einen Gefallen zu tun. Das ist was für junge Leute um die 20."

"Ich suche nach Schönheit", antwortet Schnabel auf die Frage, was ihn antreibt. Eine Anspielung auf seine zahlreichen Ex-Frauen und Freundinnen, die alle groß, schlank und bildhübsch sind? Oder auf die vielen Promi-Partys, bei denen er stets pflichtschuldig für die Paparazzi posiert? "Ich werde überall eingeladen, ich gehe aber eigentlich nur noch hin, um Freunden einen Gefallen zu tun", verteidigt sich Schnabel. Obwohl er eigentlich keine Lust mehr auf den ganzen Rummel habe. "Das ist etwas für junge Leute um die zwanzig, die sind noch neugierig auf die Welt und haben Angst, etwas zu verpassen."

So wie sein älterer Sohn Vito. Er ist 29, Kunsthändler und - zumindest was den Frauengeschmack angeht - ganz der Papa. Er geht am liebsten mit Models und Schauspielerinnen aus, nur bevorzugt er ältere Jahrgänge als sein Dad. Aktuell ist er mit "Model-Mama" Heidi Klum, 42, liiert. Schnabel dagegen war gerade mit dem jüngsten seiner insgesamt sechs Kinder, dem zweijährigen Shooter Sandhed, in Spanien. Der stammt aus seiner Beziehung mit dem dänischen Ex-Model May Andersen, 33, von der er inzwischen getrennt ist. Trotz der Distanz - er lebt in den USA, sie und das Kind in Genf - sehe er seinen Sohn alle sechs Wochen für 14 Tage.

Aufmerksamkeitssüchtiger Lebemann, liebevoller Vater, notorischer Aufschneider, sensibler Künstler - Schnabel ist ein widersprüchlicher Mensch. Sogar äußerlich. Wenn er gestikuliert, tut er das mit überraschend feingliedrigen Händen, die so gar nicht zu seiner gedrungenen Gestalt zu passen scheinen. Man könnte es so sehen: Hier weigert sich jemand, Maß zu halten, vernünftig zu sein, so wie es der Zeitgeist verlangt. Schon als junger Mann wehrte sich Schnabel dagegen, in der grauen Masse unterzugehen: "Um ein Studienstipendium am Whitney Museum zu bekommen, steckte ich Dias meiner Werke zwischen zwei Toastscheiben, packte alles in eine Papiertüte und schickte denen ein Bilder-Sandwich." Er grinst: "Dummer Trick, ich weiß." Es funktionierte, er bekam das Stipendium.

Im Schaffensdrang: "Resurrection: Albert Finney meets Malcom Lowry"

"Resurrection: Albert Finney meets Malcom Lowry"

(Foto: Hatje Cantz Verlag)

"Im Haus meiner Eltern", erzählt Schnabel, "gab es nichts Schönes. Diese Leere hat in mir die Sehnsucht geweckt, etwas zu finden, das besser zu mir passte." Die Schnabels hatten keine Ahnung von Kunst. Sein Vater, ein Geschäftsmann, sei so beschäftigt gewesen, dass er kaum mit seinem Sohn gesprochen habe. Seine Mutter jedoch nahm ihn als Kind mit ins Metropolitan Museum. "Ich hab dort Rembrandts Gemälde gesehen: 'Aristoteles betrachtet die Büste Homers'". Beeindruckt habe ihn die Art, wie das Licht gemalt war. Noch mehr fasziniert war er allerdings von der Aufmerksamkeit, die die Museumsbesucher dem Bild entgegenbrachten. Die wünschte sich der kleine Julian auch.

Das Alphatier war ein Einzelgänger. "Ich hatte keine Freunde", erzählt Schnabel. Weder in Brooklyn noch in Texas, wohin die Familie bald zog. "Ich war anders als die anderen und immer alleine." Auch die Mädchen wollten nichts von ihm wissen. "Ich hielt die meisten Beziehungen für heuchlerisch und fand es blöd, wie Männer und Frauen miteinander umgingen. Also sagte ich, was ich dachte, und die Mädchen liefen davon." Erst als er begann zu surfen, fand er seine Clique, auch mit den Frauen lief es besser. "Das war kein Teamsport, jeder stand für sich auf seinem Board", sagt der Künstler, "aber dennoch verband uns etwas." Das passt. Ein Mann allein im Kampf gegen das aufgewühlte Meer. Die Regeln sind klar, es gilt, nicht aufzugeben und auf der größten Welle bis zum Ufer zu reiten. Archaische Surfer-Romantik - ganz nach Schnabels Geschmack.

Alt werden ist in so einem Lebensentwurf eigentlich nicht vorgesehen. "Was ist die Alternative?", seufzt Schnabel. Er kann nicht klagen, immerhin wird, nach vielen Unkenrufen, er sei künstlerisch abgemeldet, gerade die Renaissance seines Werkes ausgerufen. Seine Drehbuchadaption des Romans "Das Parfum" von Patrick Süskind, ein Projekt, das scheiterte, weil er nicht mit dem Rechteinhaber Bernd Eichinger klarkam, sei auch wieder im Rennen. "Die Leute von Constantin Film finden es gut, vielleicht wird es ja doch noch mal verfilmt?" Mehr verrät er leider nicht.

"Es ist schön, lange genug zu leben, um mitzubekommen, wie der Ball wieder in deinem Feld landet", sagt Schnabel und lässt endlich das Sofapolster los. In seiner Welt kann es nur einen Sieger geben. Bisher hieß der noch immer Julian Schnabel.

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