Es werden gerade sehr viele Studien gemacht, wie es Menschen so geht, wenn sie nicht ins Büro fahren, sondern auf Klappstühlen vor Ikea-Tischen zu Hause arbeiten. Frisch hereingekommen ist eine Umfrage des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation im Auftrag von Otto in Hamburg. Ergonomisches Gestühl vermissen die 5000 befragten Mitarbeitenden des Versandhändlers offenbar nicht sehr, nicht einmal die sehr gute Kantine, sondern zuvörderst den "informellen Austausch im Team". Heißt: die Plauderei auf dem Flur.
Die hat nicht immer einen guten Ruf, auch Adolph Freiherr von Knigge schrieb in seinem Standardwerk "Über den Umgang mit Menschen" im Jahr 1788: "Ich möchte gern, wenn es möglich wäre, alles leere Geschwätz aus dem Umgange verbannt sehn." Der Mann war offenbar kein Freund des zwanglosen Gesprächs, das gerade viele Menschen vermissen. Die einen finden es gut, im Aufzug nicht mehr bemüht übers Wetter reden zu müssen, die anderen leiden wegen des kommunikativen Leerlaufs, und wenn man sie anruft, erlebt man einen Laberflash, wie ihn sonst nur Drogen induzieren können.
Wahrscheinlich ist es auch kein Zufall, dass gerade jetzt die Quatsch-App Clubhouse durch die Decke geht. Natürlich gibt es dort auch Runden zu Entrepreneurship und Bildungsgerechtigkeit, bei denen man sich einklinkt wie bei einer Telefonkonferenz, aber viele wollen auch nur mal ein wenig plaudern, man trifft ja sonst niemanden. Auch beruflich wird inzwischen viel im Digitalen verhandelt, Konferenzen laufen oft nur noch über Zoom, Teams oder Skype. Der persönliche Kontakt fehlt, das Bedürfnis, sich informell auszutauschen, bleibt. Und nun?
Smalltalk ist der soziale Kitt im Unternehmen
Zum einen ist es wichtig zu verstehen, dass Smalltalk nicht eine Schrulle von Kollegen und Kolleginnen mit zu viel Zeit ist. Der britische Evolutionspsychologe Robin Dunbar von der Universität Oxford weist ihm eine soziale Funktion zu: "Er hilft einer Firma, gut zu funktionieren, weil ein informelles Gespräch Vertrauen und Verbindlichkeit zwischen den Angestellten schafft." Dunbar leitet diese Funktion von Sprache aus seiner Beobachtung von Primaten ab. "Sie lausen und kraulen sich in Gruppen, das ist die Basis ihres Bondings." Die Fellpflege diene dabei weder der Hygiene noch dem Austausch von Informationen, sondern sei ein Ausdruck von Freundschaft und Treue. Die menschliche Sprache habe sich als "akustisches Kraulen" in größeren sozialen Gruppen entwickelt.
Dunbar hat zu Forschungszwecken immer wieder Gespräche im Alltag ausgewertet, seine Erkenntnis: In 60 Prozent geht es um Sport, Politik oder persönliche Angelegenheiten, beim Rest um Klatsch und Tratsch. Als sozialer Kitt diene der aber nur, wenn er sich im Rahmen sozialer Normen bewege. Wer abfällig über Nichtanwesende rede, diene der Verbundenheit im Team nicht. Dunbar zufolge nehmen Lästereien aber höchstens fünf Prozent eines Gesprächs ein. Büroklatsch ist also nicht grundsätzlich böse, sondern vor allem heilsam.
Was bedeutet das, wenn Menschen sich nicht mehr zufällig treffen? "Nichts Gutes", findet Robin Dunbar. Zum einen sei das absolute Limit für eine Gesprächsrunde vier Personen. Im normalen Leben wechsele man von Gespräch zu Gespräch, in der Videokonferenz sei ein Rückzug nicht möglich. Auch gebe es digital nicht diese zufälligen Treffen von Menschen, die sonst nichts miteinander zu tun hätten. Das schade der Kreativität. "Menschen mit unterschiedlichen Interessen sehen Dinge aus anderen Perspektiven; so lassen sich Probleme lösen."
"Eine gute Videokonferenz sieht aus wie ein Metallica-Konzert."
Verstanden, besser für alle wäre es, es gäbe echte Treffen statt Videokonferenzen. Sie sind aber nun einmal da. Anruf beim Experten für Körpersprache, Stefan Verra aus München. Er empfiehlt, möglichst oft die Kamera einzuschalten: "So habe ich einen Sinneskanal mehr, der für die Kommunikation genutzt werden kann." Man sehe Mimik und Gestik, könne erkennen, wenn jemand müde ist - oder nickt. "Es wird zu viel gestarrt in Videokonferenzen." Richtiges Zuhören heiße, zu signalisieren: Ich habe verstanden. Lächeln, Augenbrauen heben und vor allem Nicken. "Eine gute Videokonferenz sieht aus wie ein Metallica-Konzert", sagt der Autor und Coach.
Und Smalltalk? "Jede gute Führungskraft lässt Raum zum Plaudern", sagt Stefan Verra. "Es geht um Beziehungsaufbau, um die Bindung unter den Mitarbeitern." Smalltalken in der Videokonferenz liege dabei nicht allen. Die könnten Fragen stellen: "Ah, ich sehe einen Golfschläger bei Ihnen im Regal, wo spielen Sie?" Oder: "Super Hintergrund, den du bei Zoom hast, wo gibt es den?" Das sei eine der wichtigsten Funktionen des Smalltalks: Dem anderen das Gefühl zu geben, ich interessiere mich für dich. Dann höre er auch zu, wenn es wichtig wird. Körpersprachlich solle man in die Entsprechung gehen: Lächelt einer, auch lächeln, schüttelt einer energisch den Kopf, besser das Lächeln einstellen und mit ernster Mimik Blickkontakt herstellen, rät Verra. Der andere fühle sich so verstanden. Wichtig sei, die Plauderei auf ein paar Minuten zu begrenzen. "Sonst haben manche das Gefühl: Ich verplempere meine Zeit in einem Kaffeekränzchen."
Vom informellen Gespräch könne man viel für Videokonferenzen lernen. "Ich fläze mich nicht vor den Bildschirm, aber ich sollte eher dasitzen, wie wenn ich mich mit Freunden unterhalte." Nicht frontal mit maximaler Körperspannung, das sei die Angriffshaltung. Besser sei, sich leicht asymmetrisch hinzusetzen und ein wenig vom Bildschirm abzurücken, schnell nehme das Gesicht sonst ein Drittel des Bildschirms ein. Aber wenn es darum geht, eine wichtige Botschaft zu platzieren: "Nase und Nabel frontal zum Bildschirm." Dann ist klar: Jetzt wird es wichtig. "Die anderen werden nun garantiert zuhören", sagt Stefan Verra. Wer deftigen Bürotratsch wirkungsvoll platzieren möchte, kann die Technik natürlich auch nutzen. Ob das aber eine gute Idee ist, steht auf einem anderen Blatt.