Samstagnachmittag, das Ego geht flanieren. Es läuft durch die Alleen des Konsums, die in jeder Stadt gleich aussehen und doch nicht langweilig werden; es findet sich immer irgendetwas, das man noch nicht hat: eine Creme als Belohnung für die harte letzte Woche, ein neues Handy für das harte nächste Jahr. Spätestens bei der dritten PIN-Eingabe schlägt das Herz laut und dumpf - selbst, wenn man etwas Gutes getan hat. Für sich selbst.
Schlechtes Gewissen und Shopping - um dieses Dilemma ist in den letzten zehn Jahren eine ganze Industrie des guten Gefühls erwachsen, der egoistische Shopping-Rausch wurde zum Akt des Altruismus stilisiert. Am Anfang stand das Essen, dann kamen die Kosmetikhersteller. Nach Bio-Burgern und veganer Creme ist nun die Kleidung dran. Lange galt Öko-Mode als unsexy, wurde sie doch vor allem mit beigen Unterhemden assoziiert. Neuerdings aber muss öko nicht mehr öko aussehen, in den Städten drängen immer mehr kleine Modelabels auf den Markt: Bio-Baumwolle? Gerne - aber bitte mit tiefem Ausschnitt!
Als Pionier auf dem Markt gilt in Deutschland Hessnatur, die Firma steht schon seit fast vierzig Jahren für Shopping mit gutem Gewissen. Das Unternehmen produzierte schon fair und ethisch, als solche Schlagworte noch nicht als Heilsversprechen einer hyperkonsumierenden Gesellschaft galten - sondern als politische Statements von Atomkraftgegnern.
Hessnatur klingt nach Baumpatenschaft statt nach Fashion
1976 gründeten Dorothea und Heinz Hess, ein anthroposophisches Ehepaar, im hessischen Butzbach Hessnatur, mehr aus der Not heraus: Für ihr Neugeborenes suchten sie chemisch unbehandelte Babystrampler und wurden in Deutschland nicht fündig. Also ließen sie sich Naturtextilien liefern und riefen ein Versandhaus ins Leben, anfangs nur für Kinder- und Babykleidung. In den Achtzigerjahren wurden Damen- und Herrenmode ins Sortiment aufgenommen. Heinz Hess beteiligte sich auch an der Sekem-Farm in Ägypten, einer der ersten Plantagen für Bio-Baumwolle.
Hessnatur, in diesem Namen schwingt auch immer ein Versprechen mit: Man kann die Welt durch Konsum besser machen - und zwar nicht nur für sich selbst. 2012 wurde das Unternehmen unter einiger öffentlicher Diskussion von dem Schweizer Investor Capvis übernommen. 39 Jahre nach Gründung ist Hessnatur heute nach eigenen Angaben weltweiter Marktführer für Naturtextilien - und steht vor neuen Herausforderungen: Die Firma hat ein Imageproblem, wird sie doch eher mit Babystramplern assoziiert als mit Lebensstil oder Mode.
Das fängt schon beim Namen an: Hessnatur, das klingt mehr nach einer Stiftung für Baumpatenschaften als nach dem kuratierten Großstädter-Kleiderschrank. Beim Interieur der Münchner Filiale geht es weiter: Hier hängen keine Fotos von Models an den Wänden, sondern großformatige Bilder von Rhönschafherden.
Öko-Mode ist ein wachsendes Segment
Allmählich dringt faire Mode jedoch ins Bewusstsein jener Besser-Käufer, die sich nicht so sehr mit Rhönschafherden identifizieren können. Laut einer aktuellen Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung macht Öko-Mode zwar nur knapp vier Prozent des deutschen Bekleidungsmarktes aus - doch die Konkurrenz wächst: Ob nun H&M eine Conscious-Exclusive-Kollektion herausbringt, die kleine Kölner Firma Armed Angels ankündigt, das "fairste Label der Welt" werden zu wollen, oder Gucci Ledertaschen aus Regenwald-freundlichem Material fertigt: Spätestens seit im April 2013 in Bangladesch ein Gebäude mit mehreren Textilfirmen einstürzte und mehr als 1100 Menschen starben, wollen irgendwie alle zu den Guten gehören.
Auf der Webseite von Hessnatur ist zwar von der "Mode der Zukunft" die Rede, doch klingt dieses Werbeversprechen auch ein bisschen trotzig. Der Vorsitzende der Geschäftsführung, Marc Sommer, räumt ein: "Der Druck zur Veränderung auf uns steigt." Es sei als Wettbewerbsvorteil nicht ausreichend, "100 Prozent vom Anbau bis zum Kleiderbügel ökologisch sozial und fair zu produzieren, wenn nicht gleichzeitig die Produkte dem ästhetischen Design standhalten." Dann sagt er noch etwas, es klingt ein bisschen wie eine Drohung: "Wir werden deutlich schneller modisch werden als die anderen Firmen nachhaltig." Anders ausgedrückt: Hessnatur will sexy werden.
Um sich auf dem allmählich boomenden Nischenmarkt der schicken Öko-Mode zu behaupten und neu zu erfinden, hat Hessnatur in letzter Zeit einiges unternommen: Im April wurde die Designerin Tanja Hellmuth als Kreativchefin verpflichtet, sie soll aus Hessnatur ein Fashion-Label machen, das es Sommer zufolge mit Marken wie Marc O' Polo oder Comma aufnehmen kann. Drei Monate später wurde der junge Tim Labenda ins Unternehmen geholt, als neuer Chefdesigner gestaltet er die Herrenkollektionen für den kommenden Frühling und Sommer.