Hermann Hesses Garten:Im Schatten des Dichters

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Im idyllischen Gaienhofen am Bodensee lebte einst Hermann Hesse. In jahrelanger Arbeit wurden jetzt sein Haus und sein Garten von der neuen Besitzerin wiederhergestellt.

Von Kathleen Hildebrand

Gartentor auf, Gartentor zu - und plötzlich ist die Welt eine andere. Versteckt hinter hohen Hecken liegt da eine stille Welt, die doch vor lauter leisem Leben vibriert, durchbrummt ist von Hummeln, durchflattert von Faltern. In der man das Organische in hundert Duftnoten riecht: Erdig weht es einen aus dem Schattengarten an, nach Salbei, Minze, Dill riecht es hinter dem Haus, und im Südgarten verausgaben sich ein paar Dutzend Rosenblüten, die letzten Duftbomben dieses Spätsommers.

"Unsere Gäste sagen, das sei eine richtige Oase hier", sagt Eva Eberwein und bittet ein paar Stufen rauf ins Haus. Sie ist die Frau, ohne die es diese Oase nicht gäbe. Die Frau, die Hermann Hesses Haus vor dem Abriss gerettet, saniert und zu neuem Leben erweckt hat. Eva Eberwein, groß, kurzes Haar, hell gekleidet, erzählt ihre Geschichte des Anwesens auf dem großen Balkon im ersten Obergeschoss. Eine selbstbewusste Frau, der man sofort glaubt, dass dieses Projekt zwar hart war, aber zu keinem Zeitpunkt ihre Kräfte überstieg. Zwischendurch schenkt sie Apfelsaft nach. Die fünf Sorten, aus denen er gekeltert ist, stammen natürlich alle aus ihrem Garten.

Oder muss man sagen: aus seinem Garten? Hermann Hesse war schon ein bekannter Schriftsteller, als er 1904 mit seiner Frau Mia nach einem abgeschiedenen Ort zum Leben suchte. Und Gaienhofen fand, ein winziges Nest am Ufer der Höri-Halbinsel, die sich südwestlich von Konstanz sanft in den Bodensee rundet. Weil Mia aus einer wohlhabenden Schweizer Familie stammte, hatte das Paar genug Geld, um sich drei Jahre später ein großzügiges Wohnhaus im Schweizer Reformstil bauen zu lassen. Weitab vom Dorf und den Blicken der Bauern, die mit dem Schreiberling und seiner Familie fremdelten. Um das Haus herum erfüllte sich Hesse mit einem weitläufigen Garten jenen Traum vom Selbstversorgerleben, den die Schrebergarten-Hipster von heute mit der Lebensreform-Bewegung der vorletzten Jahrhundertwende teilen.

Eva Eberwein ist Rheinländerin, hat aber jeden Sommer ihrer Kindheit bei einer Tante in Gaienhofen verbracht, die Großeltern kannten noch die Hesses. Heute ist sie promovierte Biologin, hat lange als Managerin in einem Großunternehmen gearbeitet. Das Geld, das sie dort verdient hat, steckt nun zum großen Teil in diesem alten Haus, für das sie 2004 ihr Leben umkrempelte. Kurz davor war der Denkmalschutz für das unverkäufliche Haus mit dem verwilderten Garten aufgehoben worden. Der Abriss stand bevor, Wohnhäuser sollten auf das Grundstück. "Als ich das erfuhr", sagt Eberwein, "habe ich sofort einen Besichtigungstermin gemacht." Dass sie Hesses Haus kaufen würde, war ihr klar, als sie durch die Eingangstür trat. Sie gab ihren Job auf, wurde zur hauptberuflichen Denkmalschützerin und irgendwie auch zur Museumspädagogin. Jedes Wochenende führt sie Besucher durch Haus und Garten, Hesses Vermächtnis soll zugänglich sein, auch wenn die Eberweins darin wohnen. Jetzt hat sie ein Buch über die Rekonstruktion des Gartens geschrieben. Ein persönliches, nachdenkliches, dem man immer wieder anmerkt, dass da jemand mit profunden Botanikkenntnissen schreibt.

"Ich wollte die Spuren, die ich entdeckt habe, nachvollziehbar machen", sagt sie. Eberwein musste sich einfühlen in Hesses Gartenpläne, recherchieren und schauen, was hundert Jahre später von ihnen noch rekonstruierbar war. Der Gemüsegarten im Nordteil des Grundstücks zum Beispiel nicht: Die Bäume sind heute so groß, dass unter ihnen nur noch ein Schattengarten wachsen kann.

Ein Jahr dauerte es, das Haus zu renovieren, detailgetreu, bis hin zum türkisgrünen Anstrich der Holzschindelfassade, den Mia Hesse ausgewählt hatte. Für den Garten brauchte Eberwein fünf Jahre. Was sie gelernt hat in dieser Zeit? Mit dem zu arbeiten, was da ist. Sich nicht zu ärgern über Verlorenes, so wie Hesses Streuobstwiese, die schon vor ihrem Einzug mit Doppelhäusern zugebaut wurde. Eine Art heilsame Demut. "Wer gelernt hat, Bäumen zuzuhören, begehrt nicht mehr, ein Baum zu sein", schrieb Hesse 1919 in einem "Bäume" betitelten Text. "Er begehrt nichts zu sein, als was er ist. Das ist Heimat. Das ist Glück." Sein Gaienhofener Glück und auch seine Ehe wurden Hesse allerdings bald zu eng. Er reiste nach Ceylon, Singapur, Sumatra. 1912 verkaufte er das Haus, es folgten Krieg, psychische Probleme, Scheidung.

Eva Eberwein hingegen ist glücklich in Hesses Haus; sie teilt es gern mit den Besuchern. Ob das nicht merkwürdig sei, Gruppen durch das eigene Wohnzimmer zu führen? "So einem Ort muss man sich unterwerfen wollen", antwortet sie fröhlich. "Und die Leute sind so dankbar. Ein Blick ins Gästebuch, dann weiß man wieder, warum man das macht." Nur ganz selten ist das anders. Nämlich dann, wenn die Hesse-Fans sich weder an Öffnungszeiten noch an die "Privat"-Schilder halten, die an allen Türen hängen. So wie an jenem Sommertag, Eva Eberwein hielt Mittagsschlaf. Da stand plötzlich eine Frau mit Fotoapparat vor ihrem Bett - und fragte nach Hesses Bibliothek.

Die Freude aber, dieses Haus gerettet zu haben, überwiegt. "Wenn einmal die Erde vollends mit Betonkasten bedeckt sein wird", schrieb Hermann Hesse 1949 in einem Brief, dann "werden da und dort Menschen sich mit Hilfe der Kunst eine Tür zum Göttlichen offen halten." In Gaienhofen gibt es eine solche Tür. Und meistens darf man sie auch durchschreiten.

Eva Eberwein : Der Garten von Hermann Hesse. Mit Fotos von Ferdinand Graf von Luckner. DVA, 170 S., 29,99 Euro. Erscheint am 3. Oktober.

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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