Süddeutsche Zeitung

Hemden-Trends 2015:Völlig enthemd

Erst war es Unterwäsche, dann Vatermörder, 2015 kommt es mit Haifischflossen: Das Männerhemd hat eine wechselvolle Vergangenheit. Was Likör auf der Brust und der Marlboro-Mann im Büro zu suchen haben - sieben Hemden-Trends der Saison.

Von Jana Stegemann

Ein bodenlanges Leinen-Ungetüm ohne Knöpfe, das über den Kopf gezogen werden muss: So sieht das Hemd in den Geschichten von Wilhelm Busch aus. Trotzdem schickt er in dem Märchen "Das Hemd des Zufriedenen" eine ganze Armee des Königs auf die Suche nach ebendiesem.

Ein paar Jahrhunderte dient das Hemd als Unterwäsche, bevor sich im 15. Jahrhundert zu Beginn der Renaissance seine Bedeutung radikal ändert. Es wird zum modischen Statement. Besonders vermögende Träger leisten sich opulente Kragen, die aus mehreren Metern Stoff gefertigt werden. Im Biedermeier treiben Männer den Trend mit extrem spitzen und hohen Kragen, den sogenannte "Vatermörderkragen" (mit dessen Ecken Männer sich der Legende nach angeblich gegenseitig die Augen ausgestochen haben), auf seinen Höhepunkt.

1871 wird in London das erste vollständig durchgeknöpfte Hemd, jetzt aus Baumwolle, zum Patent angemeldet. Das Oberhemd bleibt sich im 20. Jahrhundert nicht immer treu, in seiner wilden Phase tritt es gar als Hawaii-Hemd auf.

Und heute? Erfindet es sich neu, knüpft dabei aber an alte Traditionen an.

Diese sieben Hemden-Trends kommen auf die Männer zu:

Going to the Wild-Wild-Office

Wo ist eigentlich der Marlboro-Mann geblieben, der sein Pferd einst gen Sonnenuntergang lenkte? Allzu weit scheint der Arme nicht gekommen zu sein. Weil ihm wahrscheinlich unterwegs die Puste ausging, hat er es nur bis in die Büros der Republik geschafft. Ohne Zigarette (Nichtraucher-Schutz), ohne Hut (sorry, Dresscode) und ohne Stroh (Warum liegt hier eigentlich, ach lassen wir das), aber dafür mit kariertem Flanell-Hemd. "Aufgeraute Baumwolle, flanellige Stoffe und Hemden mit Karos bedienen sich am amerikanischen Outdoor-Look und dem klassischen Westernhemd", sagt Stilberater Bernhard Roetzel. Kombiniert zu Jeans, Cord, dicken Canvas-Jacken und schweren Schuhen ist der lässige Holzfäller-Look perfekt."Work-Wear" nannten die Designer auf den vergangenen Männermodenschauen den Trend, der zu Sakkos Sneakers, hochgekrempelte Ärmel und sogar Jeans, das ikonische Merkmal des Arbeiters, erlaubt. Die Zeiten, in denen man mit dem Auto ins Büro fuhr, sind längst vorbei. Und für das Fahrrad oder die U-Bahn ist ein feiner Anzug zu empfindlich.

Denn der Haifisch, der hat Zähne...

Jahrhundertelang trugen Männer Stehkragen, den heutigen Umklappkragen in unzähligen Varianten gibt es erst seit etwa hundert Jahren. Drei Varianten stechen aktuell besonders hervor: der Haifisch-, der Tab- und der Kent-Kragen. Die Variante, die ihren Namen der Flosse eines Knorpelfisches verdankt, hat einen sehr stumpfen Neigungswinkel von bis zu 160 Grad und ist schmal und hoch geschnitten. Die Spitzen des Kragens liegen sehr weit voneinander entfernt, wodurch er sich auch für dicke und breite Krawattenknoten eignet. Der Kent-Kragen ist die zurzeit am weitesten verbreitete Form unter den Hemdkragen. Seine Kragenspitzen liegen, anders als beim Haifisch, nicht allzu weit voneinander entfernt. Hemden mit Kent-Kragen können daher mit oder ohne Krawatte getragen werden. Ein Revival erlebt auch die Eton-Variante des Kragens mit ihren abgerundeten Ecken. Der Tab-Kragen besticht durch eine Lasche am Kragen, die den Krawattenknoten am hinteren Teil fixiert und dafür sorgt, dass dieser nicht verrutscht.

Klapp-Klapp, wo geht's hier zur Manschette?

Die Deutschen lieben es bequem. Sie tragen in ihrer Freizeit am liebsten weite Kleidung und wollen nicht auf Karl Lagerfeld hören, der stets warnt: "Wer Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren." Soweit die Vorurteile. Doch Stilberater Bernhard Roetzel hat in den vergangenen Jahren eine andere Beobachtung gemacht. Er bemerkt an Männerhandgelenken zunehmend Klappmanschetten und Manschettenknöpfe in allen Varianten von Edelmetall bis Horn. "Die deutschen Männer haben wieder Spaß an Manschettenknöpfen. Das widerspricht doch der Annahme, dass sich der gemeine Mann am liebsten gemütlich anzieht", so Roetzel.

Zur Brust genommen

Aufgesetzte Taschen haben ihren Ursprung beim Militär. In den Vierzigerjahren nähten alliierte Fallschirmspringer sie an ihre Hosen, um während des Sprungs ihre persönlichen Sachen unterbringen zu können. Der Designer Yves Saint Laurent griff diesen Kniff für seine berühmte Safari-Kollektion 1968 auf und ließ Taschen nicht nur auf Hosen und Röcke nähen, sondern auch auf Jacken, Mäntel und Hemden. 2015 rücken die aufgenähten Taschen erneut in Herzensnähe - und bieten dem Hemdenträger notfalls auch praktischen Stauraum, der jedoch nicht allzu üppig genutzt werden sollte.

Eine ganz enge Kiste

Früher in der Herrenmode verpönt, 2015 geliebt: Stretchanteil im Hemd. Mittlerweile hat jedes große Modehaus Slim-Fit-Hemden im Angebot. Diese sitzen nicht nur körpernah und bescheren ihrem Träger dank Abnähern am Rücken eine schlanke Silhouette, sondern ersparen ihm zumeist auch den Weg zur Reinigung beziehungsweise den Griff zum Bügeleisen. Durch einen hohen Polyester-Anteil kommen Slim-Fit-Hemden nahezu knitterfrei aus der Maschine. Angst vor Einengung muss niemand haben, Raum für Männlichkeit gibt es in dieser Saison trotzdem. Insgesamt werden die Schnitte entspannter und weiter. Skinny-Jeans können getrost aus dem Kleiderschrank verbannt werden. Die Designer haben einen neuen Männertypus für sich entdeckt: sportlich-muskulös. Für den schneidern sie runde Schultern, weite Hosen und Jacken schaffen viel Platz in der Klamotte.

Untendrunter

Die Gretchen-Frage im Hemdenbusiness ist die nach dem Unterhemd. "Das ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Grundsätzlich ist es aber immer empfehlenswert, im Sommer saugt es den Schweiß auf, im Winter sorgt es für zusätzlichen Schutz vor kalten Temperaturen", sagt der Stilberater. Eines sollte ein Unterhemd 2015 aber immer sein: Unsichtbar. "Es bietet sich ein Hemd mit V-Ausschnitt und ohne Ärmel an, so scheint nichts durch - selbst bei dünnem Stoff und offen getragenem Kragen", rät Roetzel. Ein unterm Hemd getragenes weißes T-Shirt hingegen könne aber auch Stilmittel sein, findet der Stilberater: "Ein Button-Down-Hemd mit deutlich sichtbarem weißen Shirt hat zwar einen totalen Achtziger Jahre Charme. In Verbindung mit einer Chino und Segeltuchschuhen kann das aber auch schon wieder cool wirken."

Likör auf dem Hemd

Seit dem Jahr 2000 benennen die Farbexperten des Pantone-Instituts die Trendfarbe des Jahres; diese Farbe beeinflusst Produktentwickler und Käufer in Mode, Lifestyle- und sogar Autoindustrie. Nach dem strahlenden Orchideen-Ton "Radiant Orchid" in 2014, wurde für 2015 "Marsala" als Farbe des Jahres bestimmt. Der nach einem Likörwein aus der sizilianischen Hafenstadt Marsala benannte Ton ist ein urwüchsiges, erdiges Weinrot. Er stehe für "die satte Zufriedenheit nach einer gelungenen Mahlzeit", sagen die Farbexperten. Wem "Marsala" als Hemden-Farbe zu intensiv ist, trägt die klassischen Hemdenfarbe: hellblau. Die ist gerade, nach Aussage des Stilexperten Roetzel, wieder im Trend. Ebenso wie Streifen und abgesetzte weiße Kragen.

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