Hemden:Schau doch mal rein

Hemden: Großer Freund des Kontrastkragens: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach.

Großer Freund des Kontrastkragens: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach.

(Foto: Joerg Niebergall/imago images/Eibner)

Das Geltungsbedürfnis, das sich früher auf Krawatten austobte, muss nun anderweitig ausgelebt werden. Über die Stilsünde des farblich abgesetzten Hemdkragens.

Von Gerhard Matzig

Der Gesundheitsminister der Herzen, Karl Lauterbach, schafft es am Ende doch nicht auf die Liste der "zehn verrücktesten Balzrituale" (Spektrum der Wissenschaft). Schon die Konkurrenz der Mützenrobbe auf Platz eins ist zu stark. Das Mützenrobbenmännchen verfügt nämlich über eine aufblasbare nasale Membran, die es aus einem Nasenloch heraus zu einem "riesigen roten Ballon" aufbläst und "hin- und herschwingen" lässt. Persönlich ist einem der Seidenlaubenvogel auf Platz fünf sogar noch sympathischer: "Um sich attraktiv zu machen, säubert das Seidenlaubenvogelmännchen den Boden und legt einen Bauplatz an." Das erinnert einen irgendwie an Berlin. Elon Musk wäre in dieser Analogie das zu umwerbende Weibchen.

Das Männchen errichtet also eine Laube und drapiert dort auf der Suche nach der großen Liebe allerlei bunte Gegenstände. Zum Beispiel Blüten, Beeren, Glasscherben "oder allerhand anderen Müll", wie es im Spektrum heißt. Man kennt Menschen, die das ähnlich machen: Gartenzwerg aufstellen, Buchsbaumhecke anlegen, ein bisschen Müll aus dem Baumarkt im Vorgarten verstreuen - und verliebt auf ein Weibchen warten.

Nicht, dass Ähnliches von Lauterbach zu vermuten wäre; aber andererseits sollte man die Kunst der Balz nicht allein der Tierwelt überlassen. Das lehrt schon der Blick auf das Hemdinnere des Ministers. Dass man das Hemdinnere eines Ministers kennt, wäre übrigens früher mindestens ein Skandal gewesen - und Hans Blum alias Henry Valentino hätte "Hemdinneres gesehen" auf "durfte nie geschehen" und "wunderschön" gereimt. Lange her. Doch jetzt geht es dem Kragen, man muss das in aller Drastik sagen, an denselben. Was da zum Vorschein kommt, ist genau das, was es ja auch sein soll: ziemlich auffällig. Mitunter ist es auch beunruhigend.

"Setzen Sie modische Akzente mit modischen Patchungen", rät der Hersteller

Auf der Homepage des Bekleidungsunternehmens Eterna, wo man seit Jahrzehnten Hemden bezieht, die möglichst nur weiß oder möglichst nur hellblau sind, mit möglichst unscheinbaren Knöpfen und möglichst simplen Manschetten, wird man jetzt aufgefordert: "Setzen Sie modische Akzente mit modischen Patchungen (...) die modernen Kontrasteinsätze im Krageninnensteg und an den Manschetten sind ein richtiger Eyecatcher." Die modischen Patchungen sind Sieger der Textil-Evolution. Man kann es in etlichen Nachrichtensendungen und Talkshows vor dem Fernseher gut überprüfen. Lauterbach ist, was die hellblauen Patchungen weißer Hemden angeht und das Eyecatchen insgesamt, in bester Gesellschaft. Und wenn die Patchungen schon im Bundestag angekommen sind, ist die Sache wirklich durch.

Beim Hersteller Olymp heißt es: "Dezente Kontrastbesätze erzeugen modernen Appeal und suggerieren den offen getragenen Kragen als spannende Alternative zum klassischen Auftritt mit Krawatte." Vor einigen Wochen, es waren noch relativ friedliche Zeiten, konnte man sogar den Kanzler für eine spannende Alternative halten, erkennbar am offenen Hemd und dezenten Kontrastbesätzen. Kurz hat man sich die Frage gestellt, was wohl das Mützenrobbenweibchen von alldem halten mag.

Dessen ungeachtet ist das aufgeknöpfte, Unerhörtes zeigende Hemd ein logischer, ja überfälliger Schritt. Schon längst haben sich die Krawatten verabschiedet aus den Dresscodes der Gegenwart. Damit ist, möglicherweise zum Glück, vielen Männern aber auch die Möglichkeit genommen worden, sich nach Art des Seidenlaubenvogelmännchens attraktiv zu machen - für das andere Geschlecht und natürlich auch für sich selbst. Was früher die lustigen Comicfiguren, Pinguine oder ein Lebensmotto ("Will Bier") zum Krawattenornament der Wahl machte, muss jetzt anderweitig ausgelebt werden.

Die Sockenproduktion ist diesbezüglich längst an ihre Grenzen gestoßen, selbst an die des guten Geschmacks. Nun wird neues Terrain urbar gemacht und der Selbstoptimierung zugewiesen: der Krageninnensteg, die Manschette und die Knopfleiste. Schau doch mal rein, scheint der sich rasant radikalisierende Look sagen zu wollen.

Adolf Loos, ein Wiener Architekt am Beginn des 20. Jahrhunderts, verfasste aus purer Notwehr gegen den im Historismus herrschenden Dekorwahn die Schrift "Ornament und Verbrechen". Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis die Männer der Gegenwart als Heroen der noch dezenten Herrenhemd-Ornamentik alle Dezenz hinter sich lassen. Viele werden dann aussehen wie Mick Jagger in den Siebzigern. Leider ohne Mick Jagger in den Siebzigern zu sein. Genau dann ist der Augenblick gekommen, wo das Ornament aufhört - und das Verbrechen beginnt.

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