Heimwerken:Des eigenen Glückes Schmied

Schmiedekurs mit Marc Baumann

Unser Autor beim Messerschmiedekurs.

(Foto: Janek Stroisch)

Ob Häkeln oder Hämmern, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen, macht glücklich. Unser Autor hat es bei einem Messerschmiedekurs ausprobiert.

Von Marc Baumann

Man muss jetzt nicht gleich an frühere Leben und Wiedergeburt glauben, aber die Glut und der Amboss und die Hammerschläge auf das heiße Metall - das kommt einem so vertraut vor. Als ob man hier am Feuer schon mal gestanden hätte, vor langer, langer Zeit. Im Ofen des Schmieds lodert viel Menschheitsgeschichte: Hier entstanden Messer für die Jagd, Schwerter für den Krieg, Sensen für die Feldarbeit. Die Schmiede war früher der Mittelpunkt des Dorfes, da traf man sich, da war es im Winter warm. Und wie es um das Land steht, ob ruhige oder gefährliche Zeiten kamen, merkte man an den Aufträgen auch.

"Nicht zu lange in die Flamme schauen, das ist nicht gut für die Augen", mahnt der Schmied und reißt einen aus den Gedanken. Diese Warnung muss Tom Carstens bei jedem Kurs sagen, weil Großstädter so fasziniert von der Feuerstelle sind. Ein Schmied blickt so selten wie nötig hinein, aber als Kursteilnehmer ist man ja nicht nur hier, um ein Messer mit nach Hause zu nehmen, sondern auch, um herauszufinden, was das Schmieden mit einem macht.

Erst mal findet man es hier einfach nur schön. Der Weg führt von der Autobahn über Land- und Dorfstraßen bis hinter Münsing am Starnberger See. Die Schmiede ist Teil eines Bauernhofs, vor der Werkstatt laufen Enten, hinter der Werkstatt grasen Kühe. Carstens fand in München keine geeigneten Räume, doch ein begabter Schmied bekommt überall einen Job. Er hatte sogar ein Angebot aus Kalifornien, aber dann gaben er und seine Frau noch eine letzte Zeitungsannonce auf: Werkstatt gesucht, diesmal auf dem Land. Schließlich kam der Anruf aus Degerndorf bei Münsing.

Kriegt man das hin, wenn man zwei linke Hände hat und Baumärkten aus dem Weg geht?

Die Werkstatt hat 100 Quadratmeter und einen großen Ofen mit überraschend kleiner Esse, so nennt man die offene Feuerstelle mit Abzug und ständiger Luftzufuhr. "In dem Feuer entsteht eine Kerntemperatur von 3000 bis 3500 Grad", sagt der 44-Jährige, der so aussieht, wie man sich einen Schmied vorstellt: groß und breitschultrig. Auf dem Schulweg lief er immer an einer Schmiede vorbei. Der Besitzer "sah rau aus, war aber ein lieber Kerl". Schon mit acht Jahren wollte Carstens selbst Schmied werden und heizte mit einem Föhn einfach mal den Schwedenofen der Eltern an, bis das Rohr glühte. Nur gut, dass der Vater rechtzeitig nach Hause kam.

Es ist früh am Morgen, Carstens macht Kaffee, darum hat man die Schmiede einige Minuten für sich allein. Der Fotograf baut auf, man nimmt einen besonders schönen Hammer in die Hand und streicht über den schwarz glänzenden Amboss. Wie elegant Werkzeug sein kann. Gleich soll man damit die Klinge selber schmieden, schweißen, schleifen - kriegt man das hin, wenn man zwei linke Hände hat und Baumärkten aus dem Weg geht?

Carstens hängt einem eine Lederschürze um, gegen die Hitze und die Funken. Dazu drückt er einem einen C45-Blankstahl-Rohling in die Hand, ein langes, zwei Finger dickes und breites Eisenstück. "Den schneidest du jetzt durch." Er geht zu einer nicht sehr kräftig aussehenden Kreissäge, und dann lernt man das erste Mal an diesem Tag etwas über Metalle: dass gehärteter Stahl eine ungehärtete Stahlstange ganz leicht durchschneidet. Schmieden ist heute ohnehin keine Frage der Muskeln mehr. Die Männer im Kurs hauen oft zu hart drauf, braucht es gar nicht. Schon 16-Jährige dürfen am Kurs teilnehmen. Noch Jüngeren fehlt nicht die Kraft, sondern "die Reife für das Messer", wie Carstens sagt.

Maximal zwölf Zentimeter lang werden seine Klingen, nur bis zu dieser Länge darf man Messer frei mit sich tragen. Das reicht für ein Outdoormesser, geeignet für die Jagd, fürs Zerlegen von Fischen, zum Schnitzen oder als Schmuckmesser für die Lederhose. Doch den meisten Teilnehmern geht es gar nicht so sehr um das fertige Produkt. Was Programmierer wie Chirurgen, Müllmänner wie Architekten, Männer wie Frauen dazu bringt, 230 Euro für den sechsstündigen Kurs zu bezahlen, ist die Lust an der Körperlichkeit, das Schaffen mit den eigenen Händen als Ausgleich zum Alltag mit Handy und PC.

Mit der Schweißerbrille sieht man aus wie Darth Vader

Häkeln und Hämmern ist nicht erst seit gestern das neue Yoga. "Ich schraube, also bin ich", schrieb der Philosoph Matthew Crawford, einer der zahlreichen Autoren von Selbstmach-Büchern schon 2009. Doch je mehr Apps und Onlineshops uns Billigramsch ins Wohnzimmer liefern, desto größer die Wertschätzung von Handgemachtem und der Wunsch nach Individualität.

Schmiedekurs mit Marc Baumann

Das Messer fühlt sich gut an, so glatt überall, fast wie gekauft. Nur der obere Rand der Klinge ist unbearbeitet - absichtlich, damit man sieht, dass unser Autor es selbst gemacht hat.

(Foto: Janek Stroisch)

Zeit für eine erste Showeinlage: Eine Griffstange soll ans Eisen angeschweißt werden. Dafür setzt man eine Schweißerbrille auf, was den Fotografen entzückt, "du siehst aus wie Darth Vader". Noch so eine Sache, die man zum ersten Mal im Leben macht: eine Schweißnaht setzen. Der Schmied gibt die Stelle genau vor, man setzt das Schweißgerät an, dann blitzt und funkt es wild. "Sehr gut, schön gemacht", sagt Carstens, was liebevoll gelogen ist, weil man durch die abgedunkelte Schutzbrille wenig erkannt und einfach irgendwo irgendwie drauflosgeschweißt hat. Die Metallstange kommt ins Feuer.

Bei allen Arbeitsschritten wird der Schmied einen für die gute Arbeit loben - und dann diskret mit schnellen, gekonnten Handgriffen nachbessern. Beim Reporter zumindest. Carstens hat auch Kunden, die selber Handwerker sind, gerade hat eine Gruppe Goldschmiede seine Werkstatt reserviert. Er hat Stammkunden, die zum zehnten Mal zum Messerkurs kommen. Wer möchte und kann, darf hier auch kunstvollere Messer schmieden: japanische Küchenmesser oder Damastmesser mit verzierten Klingen, der Kurs ist dann mit Übernachtung. Carstens fährt auch zu Firmen mit einer mobilen Schmiede, als Event; bei einer Feier hat er mit den Angestellten vor dem Essen das Besteck geschmiedet.

Wird das Eisen schlecht behandelt, dann schreit es

"Halt mal", sagt Carstens und gibt einem voller Vertrauen die Zange mit dem glühenden Stahl in die Hand. Das rote Eisen fällt halb runter, der Fotograf geht in Deckung. "Zwölfhundert Grad heißes Eisen flutscht dir wie Eis aus der Hand", sagt Carstens, "wenn du schnell genug reagierst, qualmt das nur und ist gar nicht so schlimm." Zweihundert Grad heißer Stahl hingegen klebe fies an der Haut. Ob sich im Kurs oft jemand verletzt, fragt man. "Nein, nie", sagt Carstens. Dazu dann später mehr, wenn man den Verbandskasten brauchen wird. Praktikant Florian zeigt später nicht ohne Stolz den Schorf am Arm, wo sich Haut und Ofen berührt haben. Lehrjahre sind Brandsalbenjahre.

So ungeschickt, wie man ist, könnte man sich hier in die Frührente schmieden, denkt man. Aber Carstens ist angenehm unbesorgt, selbst als man den Stahl unter den mechanischen Lufthammer hält, der das glühende Eisen mit lauten, stumpfen Schlägen flachklopft. "Hol weiter aus, trau dich", sagt er, als man den Stahl dann selber mit dem Hammer klopfen soll. Nach fünf, sechs Schlägen muss der Stahl zum Erhitzen erneut in die glühende Steinkohle. Schmiede hören am Klang, wer gut mit dem Eisen umgeht. Passen Temperatur und Schlaghärte, ist es ein wunderbares Geräusch. Wird das Eisen schlecht behandelt oder zu kalt, dann schreit es, sagen sie.

Die heilsame Wirkung des Schmiedens: Am Feuer kommen die Leute ins Gespräch

Zu heiß ist allerdings auch schlecht. Also mit der Zange den Stahl schnell wieder aus dem Feuer holen, auf den Amboss legen, draufhauen, drehen, wieder draufhauen. Aus dem rechteckigen Stahlblock wird erstaunlich schnell etwas, das an ein Messer erinnert. Die grobe Klingenform ist nach einigen Gängen zwischen Glut und Amboss zu erkennen. Der Stahl wird geschliffen und darf in Härte-Öl abkühlen.

Es gibt Mittagessen, was wirklich erwähnt werden muss, weil der hausgemachte Schweinebraten so dermaßen lecker ist und die Semmelknödel vom rheinländischen Praktikanten Florian gekonnt geformt wurden. Über gutes Essen kann man mit Carstens so gut reden wie über Eisen. Er zeigt einen Metalltisch, den er sich geschmiedet hat, dessen gesamte Oberseite erhitzt werden kann. Durch die Hitze entsteht eine Mulde im Metall, wie bei einem Wok. Carstens veranstaltet in seiner Schmiede große Abendessen, auch Lesungen und Konzerte. Er mag das, Teil des Dorfs sein, Anlaufstelle. Dann steht plötzlich ein fremder Mann in der Werkstatt, ein Handwerker, der Carstens' Auftritt in einer Radiosendung gehört hat und ihn und seine Arbeit faszinierend fand.

So wie dem Handwerker geht es offenbar vielen Menschen. Der Kurs wird gerne verschenkt, "dabei verschenkt man gar nicht so sehr das Messer, sondern vor allem ein paar Stunden Ruhe und Zeit", findet Carstens. Wenn die ersten Schritte vom Stahl zum Messer gepackt sind, die Konzentration nur mehr den Arbeitsschritten gilt, vergisst man tatsächlich, wo man in der Werkstatt das Handy abgelegt hatte. Die "heilsame Wirkung des Schmiedens", nennt Carstens das. In den Pausen, am Feuer, kommen die Leute ins Reden. Das mag nicht jeder Schmied, so viel reden, so viel zuhören. Carstens jedoch kann das Zwischenmenschliche so gut, dass man sich fragt, ob er dafür vielleicht schlechter schmiedet. Aber er war mal Vize-Weltmeister im Kunstschmieden.

Das Messer - fast wie gekauft

Eine Zeit lang reichten ihm Hufeisen, seine Frau ist Hufpflegerin und Tier-Akupunkteurin, beide lieben Pferde, "aber nur Hufeisen hält dein Körper auf Dauer nicht aus, dann ist man mit Mitte 50 am Ende". Die Kurse strengen ihn kaum an, die meisten Arbeitsschritte erfordern nur Gefühl: das Schleifen, die Löcher in die Holzgriffe bohren, das Polieren der Klinge, das Abschmirgeln der Griffe, sie zu verkleben und zu vernieten - aua, da passiert es, abgerutscht, in die Klinge rein. So scharf ist das Messer also schon: Die Haut an der Fingerkuppe spreizt sich, das Blut fließt den Zeigefinger hinab. Doof, die Pflasterrolle im Verbandskoffer der Werkstatt ist leer. Wo doch eigentlich "nie was passiert", wie der Fotograf gut gelaunt anmerkt. Dann findet sich doch noch eines. Und das Blutrot passt sogar zum sanften Rot der Elsbeere, aus deren Holz der Griff ist.

Schon vorbei? Schon vorbei. Das Messer liegt fertig und angenehm schwer in der Hand. Es fühlt sich gut an, so glatt überall, fast wie gekauft. Nur am oberen Rand lässt Carstens die Klinge absichtlich unbearbeitet, damit man sieht, dass es selbst gemacht ist.

Eine Messerscheide wäre noch gut gewesen. Das merkte man aber erst bei der Heimfahrt, als man dringend noch ein zweites Pflaster im Handschuhfach sucht.

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