Süddeutsche Zeitung

Haute Couture:Bye-bye, Paris!

Eine scheinbar ewige Sicherheit gerät gerade ins Wanken: Paris könnte bald nicht mehr die Hauptstadt der Mode sein. Einige der großen Designer gehen schon in diesem Jahr fremd.

Von Isabelle Braun

In Paris, das schreiben nicht nur die Reiseführer und romantisch veranlagte Schriftsteller, wurde die Liebe erfunden, das gute Essen und vielleicht sogar das gute Leben. Nirgendwo sind die Frauen schöner und die Kellner arroganter, daran wird sich vermutlich nie etwas ändern. Eine andere scheinbar ewige Sicherheit gerät gerade ins Wanken: Paris könnte bald nicht mehr die unangefochtene Hauptstadt der Mode sein.

Revolutionen kündigen sich nicht immer mit Fanfarenstößen und viel Geschrei an, manchmal vollziehen sie sich auch unauffällig, ohne Blutvergießen. Und genau so eine stille Revolution ist gerade in der Modebranche im Gange. Die große Haute-Couture-Marke Valentino zum Beispiel wendet sich ab von Paris. Zur Eröffnung des neuen Stores an der Fifth Avenue präsentierten die Designer Maria Grazia Chiuri und Pierpaolo Piccioli vor wenigen Wochen eine eigens für diesen Anlass kreierte Kollektion aus weißen Abendroben in New York: Mitten im Vorweihnachtsgeschäft, wenn die gesamte Stadt einer funkelnden Christbaumkugel gleicht und nicht nur die Herzen offen sind, sondern auch die Geldbeutel. Und im Juli 2015 zeigt Valentino dann in Rom seine Haute Couture für die darauffolgende Wintersaison. Dort wird ebenfalls eine neue Valentino-Boutique eröffnet, praktischerweise ganz in der Nähe der Firmenzentrale.

Sonnenkönig Louis XIV. machte die Stadt zum Modezentrum

Auch John Galliano wird Paris untreu. Eigentlich hätte der Designer ja noch etwas gutzumachen an der Seine. Vor drei Jahren geriet er dort in die Schlagzeilen nach Pöbeleien in einem Café im Marais. Er beleidigte ein Paar mit judenfeindlichen Äußerungen und verlor in der Folge seinen Job bei Dior. Nun ist Galliano zurück im Geschäft, er entwirft künftig für Martin Margiela. Aber seine Kollektion präsentiert er in London.

Natürlich könnte man behaupten, dass es gerade in der heutigen Zeit letztlich egal ist, wo der Modezirkus seine Zelte aufschlägt, seine wilden Tiere und schönen Mädchen paradieren lässt. Schließlich kann sich jeder überall auf der Welt zur gleichen Zeit die gleichen Designerstücke nach Hause liefern lassen. Aber so ganz stimmt das eben nicht. Die Modebranche ist stolz auf ihre Tradition - gewisse Konventionen und festen Denkmuster sind da mit eingeschlossen. Und zu diesen Überzeugungen gehört nun einmal, dass in Paris bestimmt wird, wie sich die Frauen (und ein bisschen auch die Männer) zu kleiden haben, wovon sie träumen.

So war das schon vor Hunderten Jahren. Der absolutistisch herrschende Sonnenkönig hatte eine Schwäche für das Schöne, Teure, Luxuriöse. Ganz egal, ob das nun Kronleuchter, Zierhecken, Kaninchenpastete oder Strumpfhosen waren. Louis XIV. hatte es sich zum Ziel gesetzt, Versailles zum modisch tonangebenden Hof und Paris zum Zentrum der europäischen Mode zu machen - was ihm auch gelang. In Frankreich war schon damals ein Kleid, eine Weste, eine Pluderhose viel mehr als ein Stück Stoff. Es war auch materieller Beweis des eigenen Erfolgs, ein textiler Pass, der Zugang zu verschlossenen Türen verschaffte.

Die zahlungskräftige Klientel kommt heute nicht mehr nur aus Europa

Und natürlich wollten immer mehr Menschen zu den Privilegierten gehören - oder zumindest danach aussehen. Die niederen Stände imitierten den Adel, entwickelten elegante Umgangsformen, ließen sich die Kleider der Schönen und Reichen nachschneidern. Der englische Designer Charles Frederic Worth, der für Kaiserin Eugénie entwarf, wollte sein geistiges Eigentum vor Plagiaten schützen und war 1869 wesentlich beteiligt an der Gründung der "Chambre Syndicale de la Haute Couture". In leicht veränderter Form wacht die Organisation bis heute darüber, dass die Regeln der Schneiderkunst eingehalten werden. Aufgenommen wird man nur, wenn sich ein vollwertiges Mitglied dafür einsetzt. Jedes Modehaus muss pro Saison eine Mindeststückzahl maßgefertigter Luxusroben produzieren und diese Kollektion zweimal jährlich bei der Pariser Modewoche präsentieren.

Modenschauen gibt es also seit fast 150 Jahren, und vermutlich zweifeln die Menschen seit ähnlich langer Zeit an der Sinnhaftigkeit dieses Rituals. Eine aufwendig inszenierte Show lassen sich die Designer gerne mal ein paar Millionen Euro kosten. Gesehen wird das Ganze nur von wenigen Hundert Zuschauern, von Journalisten zum Beispiel, die Berichte und Fotos in die Welt senden und so zum Image der Marke beitragen, ganz egal, ob es um Haute Couture, Prêt-à-porter oder nur eine Handtasche oder ein Feuerzeug geht. Es kommen neben professionellen Einkäufern aber auch die reichen Kundinnen zu den Couture-Schauen. Frauen, die bereit sind, für ein maßgefertigtes Kleid bis zu 100 000 Euro zu bezahlen. Für ein Unikat, in dem bis zu 150 Arbeitsstunden von Nähern, Stickern, Perlenmeistern und Federkünstlern stecken - und das von Zara oder H&M garantiert nicht kopiert werden kann.

Diese zahlungskräftige Klientel ist aber schon lange nicht mehr nur in Europa zu Hause, sie stammt eher aus dem Nahen Osten, aus Brasilien, China, Russland. Die Welt der Mode ist größer geworden. Und man kann diese Kundinnen nicht mehr wirklich mit einem Trip nach Paris begeistern. Sie haben wenig Lust auf das Paparazzi-Gedränge während der Modewochen. Sie wollen nicht mehr zum Zirkus fahren, der Zirkus soll zu ihnen kommen. Karl Lagerfeld zum Beispiel zeigt seine Chanel-Zwischenkollektionen rund um den Globus, von Dubai über Dallas bis Shanghai.

Und das Interessante ist: Man findet in Paris nicht mehr viele Menschen, die über Lagerfelds Geschäftstüchtigkeit, seine Traditionsverachtung schimpfen. Die alten Gewissheiten sind nicht mehr sakrosankt. Schon Yves Saint Laurent eröffnete 1966 seine erste Prêt-à-porter-Boutique, exklusive Mode für die Massen. Der "Chambre Syndicale" gefiel das natürlich nicht - aber sie konnte auch nichts dagegen tun. Überhaupt hat die Organisation in den vergangenen Jahrzehnten beständig an Einfluss verloren und ihre Regeln immer wieder gelockert. Regelmäßig werden Gastmitglieder akzeptiert, der Hauptsitz der Marke muss nicht mehr in Paris sein. Und selbst bei einem ehrwürdigen Haus wie Dior sind Nähmaschinen bei aufwendigen Stücken nicht mehr tabu. Paris muss mit der Zeit gehen - und wird dadurch austauschbar.

"Die Haute-Couture-Schauen in New York und Rom finden einmalig zu den besonderen Anlässen statt, unabhängig von den dortigen Kunden. Im Januar zeigen wir die übliche Haute-Couture-Show in Paris", wiegelt zwar ein Sprecher von Valentino ab. Doch mit der Wanderschaft abseits der offiziellen Modewochen ist Valentino in bester Gesellschaft. Designer Tom Ford zeigt seine Prêt-à-porter-Kollektion im Februar nicht wie gewohnt bei der Fashion Week London, sondern in Los Angeles, wenn die Oscars verliehen werden. Man muss eben an die Orte gehen, auf die sich ohnehin schon die Aufmerksamkeit richtet.

Beachclub auf Capri statt Laufsteg in Paris

Raf Simons lockte seine Gäste für die Dior Cruise-Collection im Mai weg von Manhattan nach Brooklyn. Modenschauen sind ja ohnehin gnadenlose Wettkämpfe um Gunst des Publikums. Man muss beweisen, dass man sich viele Models leisten kann und unkonventionelle Ideen hat. Man lässt eine Punkband spielen oder lädt, wie Dries Van Noten, die Zuschauer zu einem imaginären Waldspaziergang ein. Und auch die Wahl der Location kann eben ein Mittel sein, um sich von den anderen abzuheben. Warum immer in Paris an den immer gleichen Orten zeigen - die Welt ist doch groß, bunt und schön und bietet viele unterschiedliche Bühnen.

Das italienische Luxushaus Dolce&Gabbana hat sich schon längst von Paris abgewandt und zeigt seine Haute Couture beziehungsweise die "Alta Moda" in Italien. Zuletzt auf Capri, in einem Beachclub. Gäste wie Marie-Chantal von Griechenland wurden mit Segelbooten zu dem Spektakel gefahren, das umgeben von Felsen stattfand und mit Blick auf das Meer. Nur wenige Journalisten waren zugelassen, Fotos durften überhaupt nicht gemacht werden. Es gab keinen Sitzplan, kein Gedränge.

Es war eine Modenschau, die fast nicht mehr wie eine Modenschau wirkte. Genau darum geht es ja. Von einem guten Designer erwarten wir, dass er Traditionen und Konventionen kennt, aber ab und zu die Regeln bricht. Die Mode ist im Idealfall flatterhaft, unbeständig, radikal. Da kann es schon passieren, dass sogar die Hauptstadt der Mode aus der Mode kommt.

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Quelle:
SZ vom 03.01.2015/olkl
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