Zu Besuch bei einem Haselnuss-Bauern in Franken:Der Nussknacker

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"Die Menschen sollen sehen, wie viel Arbeit in jeder Nuss steckt", sagt der fränkische Landwirt Martin Stiegler. (Foto: Markus Müller / Saskia Spieker)

Kein Land in Europa importiert so viele Haselnüsse wie Deutschland. Dabei werden die womöglich besten in Franken angebaut. Zu Besuch bei dem Bauern Martin Stiegler, der weit mehr vorhat, als nur einen Brotaufstrich herzustellen.

Von Nina von Hardenberg

Als in jener Nacht im Februar 2014 erst die Scheune brannte, dann das Wohnhaus und schließlich der ganze 350 Jahre alte Hof, warf Martin Stiegler im letzten Moment noch Planen über den Haselnuss-Röster, um ihn vor dem Löschwasser zu schützen. Der Röster war sein Ticket in die Zukunft. Eine Zukunft, die eigentlich schon fünf Monate zuvor beginnen sollte. Da hatte er sich nämlich mit 21 Jahren das erste Mal Geld geliehen und einen Hofladen für Haselnussprodukte aufgemacht - und damit eine neue Einkommensquelle für die Familie gefunden. Dann aber fing ein überhitzter Traktor Feuer und alles war auf einen Schlag weg: Hof, Laden, Teile der Ernte. Nur der Mut blieb ihm. Martin Stiegler fing von vorne an und richtete noch mal seine ganze Kraft Richtung Haselnuss.

Dass sich das gelohnt hat, riecht man heute von Weitem, wenn man Martin Stiegler auf seinem Hof in Gonnersdorf bei Nürnberg besucht. Ein Duft von Nuss und Schokolade zieht vom neu erbauten Hofladen bis auf die Dorfstraße. Er dringt aus einer Kugelmühle, die Haselnüsse zerkleinert und sie mit Kakaobutter und Zucker zu einer Nuss-Nougat-Creme verrührt, die wirklich sehr nussig schmeckt. Das Rezept dafür stammt von Martin Stiegler. Und nicht nur dieses. Im Nebenraum backt eine Mitarbeiterin gerade Stieglers Cantuccini, die es seit Kurzem auch mit Kaffeebohnen gibt. Sie probieren hier ständig etwas Neues aus, etwa ein eigenes Nuss-Salz.

Saftiges Dessert
:Apfeltörtchen mit Haselnuss-Joghurt-Creme

Inspiriert von der französischen Tarte Tatin, die unsere Köchin erstmals vor Jahren auf einem Landgut bei Paris probierte.

Die Lust, zu experimentieren, sich zu verändern und andere daran teilhaben zu lassen, mag das Geheimnis des Erfolgs dieser Manufaktur sein. Der Grund also, warum Urlauber aus Bremen oder Leipzig mitunter einen Umweg über das mittelfränkische Dorf Gonnersdorf nehmen, für ein Glas Nuss-Nougat-Creme. 180 Gramm für stolze 6,90 Euro wohlgemerkt. Und warum während der Haselnussernte fast täglich Touristenbusse am Hof halten. 43 werden es bis Weihnachten sein.

An den Haselnüssen haben sich in Franken viele versucht, doch es fehlt an Wissen und Beratung

Die Stieglers führen die Besucher über den neuen alten Hof, den die Familie mit Hilfe eines Architekten und viel Eigenarbeit so kunstvoll aus den alten Sandsteinen und neuen Holzlamellen wieder aufgebaut hat, dass sie dafür Architekturpreise gewannen. Sie lotsen sie in den Hofladen, an dessen Hinterwand eine große Panoramascheibe den Blick auf das Herz der Haselnussproduktion freigibt: Auf ein Förderband, an dem Mutter Sieglinde Stiegler, ihr Sohn und eine Mitarbeiterin im Wechsel unermüdlich Nüsse sortieren, acht Stunden am Tag, vier Erntemonate lang. Die schönen Nüsse sind für den Einzelverkauf, die hässlichen fürs Tierfutter. "Die Menschen sollen sehen, wie viel Arbeit in jeder Nuss steckt", sagt er. Daneben steht prominent im Raum der große silberne Röster, der mit ohrenbetäubendem Krach täglich um die 200 Kilo Nüsse röstet, so als gelte es zu beweisen, dass Martin Stiegler ihn zu Recht aus den Flammen gerettet hat.

Mit dem Röster schafft Martin Stiegler den Sprung vom Landwirt zum Lebensmittelproduzenten. Statt Rohstoffe zu liefern und sich abhängig von schwankenden Erntepreisen zu machen, veredelt er sie selbst. Und schöpft so auch die Preissteigerung ab, die seine Nuss auf dem Weg vom Großmarkt bis zum Brotaufstrich nimmt. Stolz zeigt er seinen Automaten, an dem Besucher sich rund um die Uhr selbst bedienen können. 25 000 Gläser machte er im vergangenen Jahr, die ersten 2000 füllten sie noch von Hand ab.

An den Haselnüssen, die in Deutschland lange kaum angebaut wurden, haben sich in den vergangenen Jahren in Franken viele Bauern versucht. Nachdem die Tabaksubvention auslief, galt die Nuss als zukunftsträchtig. Deutschland ist EU-weit der größte Importeur von Haselnüssen, die sich in Keksen und Bäckerteilchen aller Art wiederfinden. Eine Nachfrage, die heimische Bauern in besserer Qualität decken könnten, sagt Carola Nitsch vom Landwirtschaftsamt in Fürth, allerdings fehle es bis heute an Wissen und Beratung.

Im Märchen steckt in einer Nuss schon mal ein Ballkleid, aber die Früchte schmecken auch ohne Kitsch. (Foto: Markus Müller/Kamrul Hossain)

Martin Stieglers Vater stellte 2006 sein Land für ein EU-Förderprojekt zur Verfügung, bei dem in einem Modellversuch 40 verschiedene Sorten gepflanzt wurden, um zu testen, welche von ihnen frostige Winternächte in Franken am ehesten überstehen. Die Plantage steht heute noch und wirft - was unpraktisch für die Stieglers ist - zu den unterschiedlichsten Zeiten unterschiedlichst geformte Nüsse ab. Für den Vater wie für die meisten Landwirte der Region blieben die Haselnüsse eine Nebeneinkunft. Martin Stiegler aber machte sie zu einer Marke und kauft inzwischen Nüsse benachbarter Bauern mit auf.

Brotaufstrich, Öl, Mehl oder Ofen-Pellets: Die ganze Frucht soll verwertet werden

Unter dem Logo "FrankenGeNuss" findet man in seinem Onlineshop verschiedene Brotaufstriche, Öl, aromatisiertes Salz und Nudeln aus Nussmehl, das beim Ölpressen übrig bleibt. Und weil Stiegler besessen ist von der Idee, alles, wirklich alles von der Nuss zu verwerten, pressen sie seit einiger Zeit auch die Schalen zu Ofen-Pellets oder verkaufen sie ähnlich wie Rindenmulch zum Abdecken von Blumenbeeten. Vor allem aber findet man auf der Webseite eine große Einladung: Jeder, der wissen wolle, wie die Nüsse geerntet, gewaschen, geknackt und geröstet werden, soll vorbeikommen. Die Stieglers öffnen ihren Hof, verkaufen Landwirtschaft zum Anfassen. In einer Zeit, in der man als aufgeklärter Konsument bei jedem Bissen Nutellabrot über ausgebeutete Erntehelfer in der Türkei und über Palmöl nachdenken muss, bietet Martin Stiegler den Kunden damit eine Nuss-Nougat-Creme, deren Zutaten sie am Ende so gut kennen, als hätten sie diese selbst gepflückt.

Lässt sich nicht mal von einem Feuer aufhalten: Bauer Martin Stiegler (Foto: Markus Müller / Saskia Spieker)

Solche Direktvermarktung kann für Landwirte eine wichtige neue Einkommensquelle sein, weiß Haselnussexpertin Nitsch. Vor allem, wenn sich eine Familie die Arbeit aufteilt. Bei den Stieglers war sie trotzdem anfangs skeptisch, weil sich der Hofladen auf ein einziges Produkt konzentriert: die Nuss. Dass der Laden trotzdem läuft, liegt an der Nähe zu Nürnberg und daran, dass sie den Hof für Touristen geöffnet haben und die Käufer zu sich holen.

Wie professionelle Direktvermarktung geht, hat Martin Stiegler auf einem Haselnuss-Hof im US-Bundesstaat Oregon gelernt, wo er während seines Landwirtschaftsstudiums hospitierte. Er weiß: Wer seine Ernte selbst vermarkten will, muss den Kunden mehr bieten als nur einen Sack Haselnüsse. Er muss ihnen eine Geschichte verkaufen. In seinem Fall die Geschichte einer Familie, die in drei Generationen auf dem Hof zusammenarbeitet, und deren Beziehung nach dem Brandunglück noch enger geworden ist. Im neuen Wohnhaus haben sie eine große Gemeinschaftsküche eingerichtet, in der Großeltern, Eltern, Mitarbeiter miteinander essen. Sie handelt auch von der Wertschätzung der Natur gegenüber, und dem was sie uns schenkt. Und deshalb handelt sie auch von 800 Hühnern.

Sein Ziel für die Landwirrschaft: ein geschlossener Kreislauf

Die Hühner sind neu auf dem Hof, Martin Stiegler hat sie im Frühjahr angeschafft, zusammen mit einem "Hühnermobil", einem fahrbaren Hühnerstall. 2007 hat er auf biologische Landwirtschaft umgestellt, nun sollen die Tiere der Familie beim Gärtnern helfen. Sie düngen die Plantage mit ihrem Kot und picken die Larven der Haselnussbohrer auf, jenes Käfers, der die Haselnüsse anbohrt und seine Eier darin ablegt, sodass die Früchte anschließend verderben.

Martin Stiegler geht gern zu den Hühnern. Sie stehen für das, was er mit seiner Landwirtschaft erreichen will. Geschlossenen Kreislauf nennt er das. Huhn schützt Baum, Baum trägt Frucht, Huhn isst Frucht. Am Ende dieses Kreislaufs stehen eine Ernte voller Haselnüsse und täglich 750 Eier, von denen er anfangs nicht wusste, wohin damit. Schließlich fand er Abnehmer bei den Sternerestaurants und Konditoreien, die auch seine Nüsse beziehen, und direkt im Hofladen, wo ein Ei von einer dieser so überaus gesund aussehenden braunen Hennen stolze 45 Cent kostet. Noch hat sich darüber niemand beschwert, der vor Ort war. Den Restaurants, die seine Nüsse und Eier verkochen, schickt er wiederum seine Touristenbusse vorbei. Auch so ein Kreislauf, der gut funktioniert.

Doch Martin Stiegler ist noch nicht am Ende, er hat schon wieder neue Pläne: Gemeinsam mit dem Keidenzeller Hof, einem Restaurant in Langenzenn, will er nun Lebkuchen vertreiben. Ideen zur Nuss hat er schließlich genug.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir Gonnersdorf fälschlicherweise in Oberfranken verortet. Richtig ist, dass Martin Stiegler in Gonnersdorf bei Cadolzburg in Mittelfranken beheimatet ist.

© SZ vom 23.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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