Lederhandwerk:Gutes Stück Arbeit

Lutz Morris

"Ich kenne jeden Handwerker persönlich", sagt Tina Lutz.

(Foto: Lutz Morris, © Dan Zoubek www.danzoubek.de)

Tina Lutz entwarf für große Designer wie Calvin Klein in New York. Als sie nach 25 Jahren nach Deutschland zurückkehrte, gründete sie ihr eigenes Handtaschenlabel - das komplett "made in Germany" sein sollte. Leichter gesagt als getan.

Von Silke Wichert

Normalerweise geht die Geschichte so: Accessoire-Label aus Deutschland entwirft im eigenen Atelier in Berlin oder München, lässt die Ledersachen aber, natürlich, in Italien fertigen. "Da, wo auch die ganz Großen produzieren!", wie dann gern betont wird. Berühmte Namen wie Prada, Gucci oder Valentino gelten in der Mode noch immer als ultimatives Gütesiegel. Wer dieselben Werkstätten beschäftigen kann, hat schon mal die halbe Miete, nämlich gute Qualität. Schließlich ist Italien der größte Lederproduzent Europas, das Knowhow der Luxusbranche sitzt vor allem dort. Made in Italy ist für viele also die naheliegende Lösung.

Die Geschichte des Labels Lutz Morris klingt ein bisschen anders. Nach dem Studium hatte die aus Stuttgart stammende Designerin Tina Lutz bei Issey Miyake in Paris und Tokio gearbeitet, Anfang der Neunzigerjahre ging sie nach New York zu Calvin Klein. Die Deutsche kannte die ganz große Modewelt; sie wusste, wie die Dinge laufen und wo welche Sachen produziert werden. Trotzdem entschied sie sich bei ihrem eigenen Taschenlabel für einen anderen Weg.

Lutz Morris

Made in Germany - das sollten die Handtaschen von Lutz Morris erfüllen. Gar nicht so einfach.

(Foto: Lutz Morris)

Als sie mit Mann und Sohn 2015 nach Berlin zog und "Lutz Morris" (ihre beiden Nachnamen) gründete, setzte sie sich in den Kopf, ausschließlich in Deutschland zu produzieren. Das Leder, die Gerbung, die aufwendige Fertigung von Hand - alles sollte made in Germany sein, so nachhaltig und deshalb auch so lokal wie möglich. Was in der Theorie wie eine schöne Hommage an ihre alte und neue Heimat klang, stellte sich in der Praxis jedoch als beinahe unlösbare Aufgabe heraus. Luxus-Handwerk? In Deutschland? Heutzutage? "Vergiss es", bekam sie ein ums andere Mal zu hören.

Angefangen hat alles mit einem Etui für Stifte

"Ich hätte es mir wirklich einfacher machen können", sagt die 55-Jährige rückblickend mit einem Grinsen. Lutz ist per Videoanruf zugeschaltet, sie trägt eine große schwarze Brille, die blonden Haare sind zum Zopf zurückgebunden, der Hals steckt in einem dicken Rollkragenpullover, Berliner Winter halt. "Angefangen hat alles mit einer Lederschatulle, die mein Mann mir zum ersten gemeinsamen Weihnachten hier schenkte", erzählt sie. Das Etui war eigentlich für ihre Zeichenstifte gedacht, die Designerin faszinierte jedoch vor allem die Machart. Auf Rahmen genähtes Leder, perfekt gearbeitet, ein richtiges Schmuckstück. Lutz dachte sofort, dass das Rahmenelement auch toll zu Handtaschen passen würde und recherchierte den Hersteller: eine Manufaktur in Offenbach.

"Da saß der Meister mit zwei Kurzarbeitern inmitten einer riesigen Halle, wo einmal 150 Leute beschäftigt waren. Und um ihn herum all diese irren, perfekt konstruierten Maschinen", sagt Lutz immer noch fasziniert. Interesse, mit ihr zu arbeiten, hatte der Mann leider keines mehr, ihm fehlten nur noch zwei Jahre bis zur Rente. Nach langem Suchen fand sie schließlich eine andere Manufaktur in Nordrhein-Westfalen, die seine Maschinen zur Rahmenfertigung gern übernommen hätte, um das Handwerk weiterzuführen. "Aber allein der Transport hätte 40 000 Euro gekostet", erzählt Lutz. Das konnte und wollte keiner bezahlen, auch von den Ländern gab es keinerlei Unterstützung. Am Ende wurde die Werkstatt in Offenbach dichtgemacht und die Maschinen wurden verschrottet.

Lutz Morris

Die alten Rahmenelemente passen gut zu Handtaschen, also kaufte Tina Lutz alte Modelle auf.

(Foto: Lutz Morris, © Dan Zoubek www.danzoubek.de)

Vorher allerdings kaufte die Designerin noch so viele Rahmenteile wie möglich auf. Filigrane, metallene Gehäuse in verschiedenen Größen. Viele sind davon nicht mehr übrig, denn sie wurden in den letzten vier Jahren laufend in Handtaschen verarbeitet. 2017 kam die erste Kollektion von Lutz Morris auf den Markt. Beim Bestseller "Parker", ist ein Rahmen als kleine Extra-Tasche auf eine Totebag genäht. Bei "Blake" sitzt eine schmale Schatulle wie ein Deckel auf einem weichen Beutel. Durch ihre klare Struktur wirken die Handtaschen fast mehr wie Objekte, die vor allem in Amerika, England und Australien gefragt sind. Für Kunden dort klingt "made in Germany" bei Lederwaren statt für Autos oder Maschinen geradezu exotisch, am Ende zählt jedoch vor allem das Design, und das ist so minimalistisch wie zeitlos, geprägt von Lutz' Zeit im New York der Neunzigerjahre.

"Bei Calvin Klein waren wir zu Anfang noch ein kleines Team, Kate Moss war unser Fitmodel, an dem wir die Entwürfe anprobierten. Die Pressearbeit machte Carolyn Bessette, die dann John F. Kennedy Jr. heiratete, mir gegenüber saß Clare Waight Keller, die später Chefdesignerin bei Chloé und Givenchy wurde", erzählt Lutz. Später entwickelte sie zusammen mit Supermodel Christy Turlington ihre Yoga-Linie für Puma. An deren Organisation "Every Mother Counts" spendet sie heute zehn Prozent jeder verkauften Lutz-Morris-Tasche. Die Deutsche lernte und arbeitete mit den Besten.

Lutz Morris

Designerin Tina Lutz hat schon mit Clare Waight Keller, Kate Moss und Christy Turlington gearbeitet.

(Foto: Lutz Morris)

"Ich habe eigentlich alles außer Handtaschen gemacht", erzählt sie. "Deshalb war dieses Feld für mich noch mal ein richtiges Abenteuer." Wie anstrengend es werden würde, hätte sie sich nie träumen lassen. Lutz klapperte fast sämtliche Gerbereien im Bundesgebiet ab. Die gibt es hierzulande nämlich durchaus noch. Laut dem deutschen Lederverband ist Deutschland nach Italien und Spanien sogar der drittgrößte Lederproduzent in Europa. Produziert wird jedoch vor allem für die Auto- und Möbelindustrie, nur zehn Prozent gehen in die Herstellung hochwertiger Reitsportartikel und Lederwaren. Lediglich kleine Labels wie Tsatsas fertigen hier, große deutsche Accessoiremarken wie Liebeskind dagegen lassen überhaupt nur zehn Prozent in Europa herstellen.

Aber keine der besuchten Gerbereien erfüllte Lutz' Vorstellungen, was Qualität und Umweltverträglichkeit anging. Schließlich fand sie an der holländischen Grenze einen Betrieb, der von der Leather Working Group mit Gold zertifiziert wurde, dem höchsten Standard überhaupt. Das verwendete Leder stammt von deutschen und holländischen Bio-Kühen, es wird ausschließlich chromfrei gegerbt, mit eigener Wasseraufbereitungsanlage und eigener Solarenergie.

Neunzig Prozent sind made in Germany

Danach fehlte der Designerin "nur" noch die passende Lederwerkstatt, und auch die zu finden war ein gutes Stück Arbeit, weil sich kaum mehr jemand auf das aufwendige Handwerk versteht. Mittlerweile werden die Taschen in der Nähe von Düsseldorf gefertigt, von einem Familienbetrieb mit neun Arbeitern, geführt in dritter Generation. Die vergoldeten Ketten kommen von einem Juwelier aus dem Schwarzwald, die recycelten Fäden bezieht Lutz von einer 160 Jahre alten Manufaktur in Augsburg. Neunzig Prozent sind also tatsächlich made in Germany, sämtliche Lieferwege lassen sich anhand einer Landkarte auf der Website nachvollziehen. Demnach kommen lediglich die Schließen und das bedruckte Leder, das aussieht wie Kroko oder Schlange, aber keine ist, aus Italien.

"Ich kenne jeden Handwerker persönlich", sagt Lutz. Das sei ein schönes Gefühl. Und seit Covid zahlt es sich noch einmal mehr aus. Mitten im Lockdown war aus dem Ausland kaum Material zu bekommen; wer in China produzierte, saß wochenlang auf dem Trockenen, noch immer haben viele Firmen Lieferschwierigkeiten. Lutz dagegen konnte alle Werkstätten die ganze Zeit über weiterbeschäftigen, das Geschäft wuchs sogar noch. Mitten in der Krise waren lokale und nachhaltige Produkte plötzlich wieder mehr wert.

Lutz Morris

2017 kam die erste Kollektion von Lutz Morris auf den Markt.

(Foto: Lutz Morris)

Die Designerin selbst spricht statt von Nachhaltigkeit lieber von "verantwortungsbewusster Produktion". Alles andere sei bislang Greenwashing. Deshalb ist sie auch nicht sofort auf den Trend "veganes Leder" aufgesprungen, das immer noch meist auf Petroleumbasis hergestellt wird, kaum umweltfreundlicher als ein Duschvorhang. Dafür will sie bald "traceable leather" verwenden mit integriertem QR-Code, mit dem der Kunde genau sehen kann, wo die Kuh gegrast hat und aus welcher Gerberei das Leder stammt. "Das Leder von Weidekühen ist dann womöglich nicht ganz makellos", sagt Lutz. "Wie Kinder, die draußen spielen, verletzen sich die Tiere mal, schubbern ihr Fell an einem Baum. Ganz natürlich eben."

Die Familie Lutz Morris zieht es nächsten Sommer nach Italien, aber das Taschenlabel wird weiterhin in Deutschland bleiben, vor allem die Fertigung "nahe Düsseldorf". Warum sie eigentlich nie, weder bei der Gerberei noch der Ledermanufaktur, den genauen Ort nennt? Lutz lacht. "Würde ich gerne, aber ich habe so viel Zeit und Herzblut investiert. Wenn ich meine Quellen verrate, kommt irgendeine größere Marke daher, und am Ende bleiben für mich keine Kapazitäten mehr übrig. Es gibt einfach zu wenige."

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Pressebilder: e15 Stuttgart

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