Haartransplantation in der Türkei:Bart nouveau

Turkish Prime Minister Recep Tayyip Erdogan visits

Stolzer Bartträger: Recep Tayyip Erdogan, Ministerpräsident der Türkei. 

(Foto: dpa)

Das Haar zwischen Nase und Mund ist für so manchen Türken und viele Araber noch immer Zeichen ihrer Männlichkeit. Um die Stoppelfreien kümmert sich in Istanbul eine ganze Armee von Schönheitschirurgen: per Eigenhaar-Transplantation.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Wenn es eine Trennlinie zwischen Europa und Asien gibt, dann ist sie so breit wie ein buschiger Oberlippen- Schnäuzer oder ein Meer aus Kinnstoppeln. Die sind für so manchen Türken und für die meisten Araber immer noch ein Männlichkeitsnachweis. Wenn aber die Natur nicht für die Prachtentfaltung vorgesorgt hat, hilft nur die plastische Chirurgie.

Eine elegante Einkaufstraße in einem der besten Viertel Istanbuls. Klinikchef Selahattin Tulunay, 56, ist ein glattrasierter Mann. "Haar-Einpflanzung" steht auf seinem Türschild, im Wartezimmer sitzen Paare, die Frauen mit oder ohne Kopftuch. Der Operateur macht auch kosmetische Korrekturen, neue Nasen und Brüste. Tauchen aber Männer ohne weibliche Begleitung in seiner Praxis auf und legen Fotos bärtiger Fernsehstars auf den Tisch, dann weiß der Doktor auch, was sie begehren. "Wenn sie ein 40 Jahre alter Geschäftsmann sind und sehen immer noch aus wie ein Kind, dann nimmt sie kein Gesprächspartner ernst", sagt Tulunay.

Der Doktor zeigt auf die vielen Urkunden an seiner Praxiswand, mit Bildern aus jungen Jahren. Da trug auch Tulunay noch Schnurrbart. In der Türkei haben sich die Zeiten gewandelt. Einst war kein echter Linker, wer nichts Buschiges unter der Nase hatte. Offiziere dagegen hatten wie Republikgründer Atatürk glattrasiert zu sein. Der "Rosenbart" (gül biyik), das schmale Oberlippenbärtchen der Religiösen, ist noch gefragt. Das darf, wie bei Regierungschef Tayyip Erdogan, auf keinen Fall über die Lippen wuchern. Sprüche wie "Ein Mann ohne Schnurrbart ist wie ein Haus ohne Balkon" hört man - zumal in einem städtischen Ambiente - in der Türkei aber eher selten. Geschätzt werden noch eher phantasievolle Kreationen.

Sightseeing plus Schnurrbart-OP

So kommen die Patienten Tulunays denn auch vor allem aus den konservativen Turk-Republiken Zentralasiens und aus arabischen Staaten. Sie buchen Arrangements: ein paar Tage Istanbul plus Schnurrbart-OP. Türkische Fernsehserien - mit einem vollbärtigen Sultan Süleyman oder dem Kinn umflorten Herzensbrecher Kivanc Tatlitug - sind zusätzlicher Lockstoff. Sie haben die Beliebtheit der Bosporus-Stadt beim arabischen Publikum in ungeahnte Höhen katapultiert. Verglichen mit europäischen oder amerikanischen Angeboten sind in der Türkei eingepflanzte Bärte auch konkurrenzlos billig. "Wir sind gute Handwerker", sagt Tulunay. Und "Komplikationen" kämen bei dieser Art Schönheitsoperation praktisch nie vor.

Allerdings, so sagt der Doktor, gebe es schon mal Fälle, in denen die neuen Stoppel krumm und schief wüchsen. Aber das sei doch eher ein Problem bei der Konkurrenz. Rund 250 Kliniken und Privatpraxen sollen in Istanbul um die bartlose Kundschaft konkurrieren. Im "Istanbul Hair Center" begrüßen die Ärzte jede Woche 50 bis 60 Patienten, die wegen einer Haartransplantation kommen, und fünf bis sechs, die sich einen Bart wünschen.

Haare werden auch Patienten eingesetzt, die sich einer Strahlentherapie unterziehen mussten, und Brandopfern. Ein Istanbuler Touristikunternehmer, der sich auf haarige Touren spezialisiert hat, schätzt allein die Zahl der arabischen Gäste, die nur für solche kosmetischen Eingriffe kommen, auf mindestens 50 täglich.

Pech nur für alle, die gar nichts mehr auf dem Kopf haben. Denn die Chirurgen brauchen noch einen Haarkranz am Hinterkopf, aus dem sie die Wurzeln entnehmen können: für buschige Augenbrauen - auch die sind beliebt - und eben für Bärte. Glücklicherweise, so meint Tulunay, "bleiben für gewöhnlich vier Zentimeter über dem Nacken bei allen Männern stehen, bis zum Tod".

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