Süddeutsche Zeitung

Haarpflege:Roggenmehl statt Shampoo

Die Anhänger der "No poo"-Bewegung glauben, dass man kräftiges, glänzendes Haar nur ohne Schaum bekommen kann.

Von Julia Rothhaas

"Heute der große Schreck", schreibt Anni als Kommentar in einen Blog. "Die Haare sind super fettig und diese Schuppen kommen wieder." Ob es wohl daran liegt, dass sie Roggenvollkornmehl zum Waschen benutzt statt normalem Roggenmehl? Cleo hingegen wäscht nur mit Wasser, "aber jetzt sind die Haare total eklig und irgendwie fettig geworden." Durchhalten, so die gängige Meinung im Netz. Nach vier, sechs, acht Wochen wird es besser, ganz bestimmt. Und wenn es trieft und mieft? Mütze aufziehen! Nur von einem solle man sich fernhalten: Shampoo.

Weicher. Glänzender. Gesünder. Kräftiger. Fülliger. Eigentlich wollen Anni und Cleo genau das Gleiche wie diejenigen, die vor dem langen Regal in der Drogerie nach einem passenden Produkt suchen. Doch das geht auch ohne Shampoo, glauben sie als Anhänger der "No poo"-Bewegung, die seit ein paar Jahren regen Zulauf hat. Sie schwören darauf, dass man schönere Haare nur bekommt, wenn man das Waschen mit herkömmlichen Mitteln bleiben lässt. Auch auf die Silbe "sham" verzichten sie - obgleich der Begriff "poo" auf Englisch nur wenig mit Haarpflege zu tun hat.

Apfelessig statt Spülung

Das erklärte Ziel: Die Sebum-Produktion, also das natürliche Haarfett, soll nach Jahren der chemischen Reinigung wieder heruntergefahren werden und sich selbst regulieren. Das regelmäßige Einschäumen sorgt dafür, dass die Haare schneller nachfetten. Was dem Körper jedoch nicht vollumfänglich gelingt, denn wenn er immer komplett gegensteuern könnte, wären alle therapeutischen Maßnahmen beim Hautarzt ja hinfällig. Dazu, so die Sorge, all die Konservierungsstoffe und chemischen Substanzen, die viel zu scharf sind für den Kopf, mal abgesehen von der Wasserverschmutzung und dem ganzen Müll.

Deswegen setzen sie auf Alternativen wie Roggenmehl, Backpulver, Waschnüsse, Seifenkraut, Haartee und Heilerde, die mit Wasser vermischt auf dem Haupt ein paar Minuten einwirken und anschließend wieder ausgewaschen werden. Statt einer Spülung kommt im Anschluss verdünnter Apfelessig ins Haar, Argan-, Kokos- oder Olivenöl helfen gegen trockene Spitzen und wer eine Alternative zum Trockenshampoo sucht, schüttet sich Kakaopulver an den Haaransatz. Der Küchenschrank zieht also Richtung Badezimmer.

Damit das Haar ohne Wäsche schön wird, kommt es auf Entzug und wird so wenig wie möglich gewaschen. Besonders radikal sind die Fans der "NW/SO"-Bewegung (No Water/Sebum Only). Haare und Wasser werden zu erklärten Feinden, dafür darf die Wildschweinborstenbürste ran. Der Fellpflege von Hunden und Katzen nicht unähnlich, soll der Kopf mit Kratzen, Bürsten, Massieren gereinigt werden.

Der Trend des Nicht-Haarewaschens passt wunderbar zu all dem Gestricke, Gewebe und Gebastel, in der Omas Methoden die besten sind - ungefragt dessen, ob sich die Oma damals vielleicht nicht eher ein Shampoo gewünscht hätte, anstatt mit Backpulver auf dem Kopf in der Wanne zu sitzen. Nun soll jeder seinen Körper so pflegen, wie er möchte, aber ist Haarwaschen eigentlich wirklich so schädlich?

"Aber nein", sagt Uwe Schwichtenberg, Dermatologe aus Bremen. "Das kann man so pauschal überhaupt nicht sagen, es kommt ganz auf den Hauttyp an." Ein Mensch mit vielen Talgdrüsen und einer entsprechend hohen Talgproduktion dürfe sein Haar auch jeden Tag waschen, für einen Neurodermitiker hingegen sei zweimal pro Woche die absolute Obergrenze. "Das Problem ist vielmehr, dass viele das falsche Shampoo benutzen. Die Kopfhaut juckt und spannt, also wird ein Mittel gegen trockene Haare gekauft", sagt Uwe Schwichtenberg. "Doch häufig schätzen die Menschen ihren Hauttyp gänzlich falsch ein."

"Es gibt keine medizinische Indikation fürs Haarewaschen"

Shampoos schaden also nicht der Gesundheit. Genauso blödsinnig ist jedoch auch die Annahme, man müsse sein Haar jeden Tag waschen. Dafür ist es aber lukrativ: Laut dem Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel haben Haarpflegemittel in Deutschland im vergangenen Jahr ein Marktvolumen von mehr als drei Milliarden Euro erzielt und machen damit das umsatzstärkste Segment im Bereich der Kosmetikprodukte aus. Und gepflegt wird gründlich: 16 Prozent der Deutschen waschen ihr Haar täglich, knapp 38 Prozent mehrmals pro Woche. Nur rund drei Prozent benutzen nie Shampoo - was im schlimmsten Fall, so Uwe Schwichtenberg, zu juckenden Ekzemen und einer stark schuppenden Kopfhaut führen kann.

Also doch Geld sparen und Gewässer schonen? "Es gibt keine medizinische Indikation fürs Haarewaschen", sagt der Hautarzt. Bei den No-poo-Alternativen rät er jedoch zur Vorsicht; die Annahme, dass alles, was Natur ist, auch für uns gut sein müsse, sei schlichtweg falsch. "Essig aufs Haar? Das ist keine tolle Idee, so etwas auf die Haut kommen zu lassen. Und warum sollte man dafür auf ein Shampoo verzichten, das auf Massenverträglichkeit getestet und erprobt ist, und stattdessen aus Einzelerfahrungen eine Lehre machen?"

Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo zwischen der täglichen Wäsche und der Angst vor dem Shampoo. Schließlich gibt es längst Produkte, die ohne die angeblich schädlichen Stoffe auskommen, wie etwa Silikone, die das Haar austrocknen sollen. Für alle, die ganz sicher gehen wollen, denn "einen wissenschaftlichen Beweis, dass Silikone schlecht für uns sind, gibt es nicht". 1927 kam übrigens das erste flüssige Shampoo auf den deutschen Markt. Damals gab es nur zwei Sorten zur Auswahl: Kamille und Teer.

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SZ vom 27.08.2016/tamo
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