H&M-Kollektion:Hysterie um Billig-Balmain

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Mit seiner Balmain-Kollektion für H&M bricht der französische Modedesigner Olivier Rousteing Rekorde - in Hysterie und Geschmacklosigkeit.

Von Jan Kedves

Es gab Menschen, die standen die ganze Nacht vor den Läden Schlange und prügelten sich dann drinnen um die glitzernden Teile, der Online-Shop von H&M brach am Vormittag zusammen: An diesem Donnerstag ist der große Tag von Olivier Rousteing, dem Chefdesigner des Pariser Modehauses Balmain.

Er hat für den schwedischen Billigmodekonzern eine Kollektion voller Samt, Seide, Perlen und Strass designt, mit allem also, was schimmert und blingt. Sie ist seit heute morgen erhältlich und inzwischen vermutlich ausverkauft.

"Fast perverse Strategie"

Dass verlässlich Verbraucherhysterie ausbricht, wenn H&M in Kooperation mit einer High-Fashion-Marke eine limitierte Kollektion in die Läden bringt, ist inzwischen eine eingeübte Dynamik, so war das auch in den letzten Jahren, als Entwürfe von Karl Lagerfeld, Alber Elbaz (für Lanvin) oder Maison Martin Margiela in ausgewählte Shops kamen.

Die Modetheoretikerin Barbara Vinken sprach in diesem Zusammenhang einmal von einer "fast perversen Strategie" und einer "anfallsartigen Steigerung des Begehrens nach dem fetischisierten Produkt". Doch Olivier Rousteing, der gerade mal 30-jährige Balmain-Chefdesigner, scheint - mehr noch als die vor ihm bei H&M gastierenden Modegrößen - ein Meister darin zu sein, die Begehrlichkeit auf die absolute Spitze zu treiben.

Sie kamen wegen Olivier Rousteing und seiner Kollektion: Tausende warteten vor der H&M-Filiale in Paris. (Foto: Getty Images for H&M)

Kleider für Oligarchengattinnen

Das hängt wohl damit zusammen, dass sein ästhetisches Konzept ohne jegliche Scham- und Geschmacksgrenzen auskommt. Demonstratives Zurschaustellen von Luxus geht bei ihm selbstverständlich einher mit protzig-flamboyanten bis hin zu nuttig-kitschigen Entwürfen.

Sie scheinen wie für Oligarchengattinen gemacht, werden aber auch von Popstars sehr geliebt. Und wie sollte man widerstehen können, wenn ein aufwendig besticktes Kostümjäckchen, das mit seinen verschnörkelten Kordel-Applikationen nach Militäruniform und zugleich BDSM-Outfit aussieht, und für das man bei Balmain normalerweise einen deutlich fünfstelligen Betrag bezahlen muss, bei H&M nur 300 Euro kostet? Man sollte nur besser nicht fragen, wo und wie es hergestellt wurde.

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Es wird nun also wieder viel von einer angeblichen Demokratisierung des Luxus die Rede sein - dabei geht es Rousteing, der in Bordeaux als Adoptivkind bei einer Optikerin und einem Hafenmanager aufwuchs und der seine Karriere als Designer bei Roberto Cavalli begann, am allerwenigsten um Demokratie: Das Wort, das er im Zusammenhang mit seiner Arbeit bei Balmain am liebsten verwendet, lautet "Armee". Der Feldherr: er selbst. Die Soldaten und Soldatinnen: die unzähligen Popstars und Celebrities, die seine Entwürfe tragen, beziehungsweise sie für Auftritte geschenkt oder ausgeliehen bekommen.

Dutzende zelteten vor einer Filiale in Seoul in Südkorea. Warum? Um an ein Teil der begehrten Balmain-Kollektion zu kommen. (Foto: dpa)

Die Eroberten: 2,8 Millionen Follower des offiziellen Balmain-Instagram-Accounts und 1,6 Millionen Follower von Rousteings privatem Instagram-Account. Auf der Social-Media-Klaviatur spielt Rousteing so virtuos wie kaum ein anderer Modedesigner - vielleicht, weil er selbst zur Generation der "Millenials" gehört, vielleicht aber auch, weil er abseits von Balmain bekannt werden möchte, um irgendwann selbst einmal ein Label zu gründen.

"Ein Jahr ohne Sex oder ein Jahr ohne Handy?"

Als er 2011 im Alter von 25 Jahren den Balmain-Chefposten übernahm, war das 1946 von Pierre Balmain gegründete Haus gerade der drohenden Pleite entkommen. Seitdem hat Rousteing den Umsatz laut der Branchen-Website Business of Fashion pro Jahr um verlässliche 20 Prozent gesteigert. Offenbar reicht es aber noch nicht. Oder: Rousteing fragt sich, warum er weiterhin nur für einen elitären Kreis von Superreichen designen sollte, wenn sein Online-Publikum doch beständig wächst und sich alle von ihm bestens unterhalten fühlen?

Vor kurzem postete Rousteing auf Instagram - zwischen all den Party-Selfies mit Beyoncé, Rihanna, Nicki Minaj und den Kardashians, auf denen auch alle immer brav die Backen einsaugen und die Lippen aufstülpen - ein Meme mit der Frage: "Ein Jahr ohne Sex oder ein Jahr ohne Handy?" Ein netter, dummer Witz. Denn abgesehen davon, dass der Sex bei Balmain immer schon in der Klamotte steckt, ist er auch vom Smartphone nicht mehr zu trennen.

Anders gesagt: Am heutigen 5. November 2015 war das, was bei Balmain schon immer nach billigem Sex aussieht, auch vergleichsweise billig zu haben. Der Glamour des ergatterten Teils mag nach dem ersten Tragen stark abstumpfen, aber: Für ein Selfie mit Duckface reicht's. Klick!

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