Süddeutsche Zeitung

Schuhmode:Gib mal wieder Gummi

Die Rückkehr der Strandsandale steht für die Rückbesinnung auf die hedonistischen Achtziger: Warum "Jelly Shoes" Spaß machen - und man sich dennoch für ein Paar entscheiden sollte.

Von Anne Goebel

Die liebste Märchenerzählung in der Mode geht zurzeit so: Es war einmal ein kleines Mädchen, das nicht groß werden wollte. Also beschloss es, ein Kind zu bleiben - oder wenigstens so auszusehen. Übersetzt in die Wirklichkeit: Der Niedlich-Look für erwachsene Frauen greift weiter um sich. Von der Rückkehr der Farbe Pink in allen Schattierungen bis zu Henkel- oder Blumenkörbchen und dem schimmernden Backfischteint - es blüht die Sehnsucht nach ein wenig Einfalt in komplizierten Zeiten.

Manchmal führt das zu merkwürdigen Zwitterauftritten wie im Fall von Nicole Kidman bei den Golden Globes: Die Schauspielerin trug zum rasant geschnittenen roten Kleid eine riesige Samtschleife im Haar. Auf der Disney-Skala war sie halb Cruella de Vil aus "101 Dalmatiner", halb Wendy Darling aus "Peter Pan".

Symbol für Riviera-Leichtigkeit

Auch an heißen Tagen gibt es weiterhin reichlich Gelegenheit, das innere Kind nach außen zu kehren. Der nostalgischste Neuzugang der Saison sind die flachen Gummisandalen aus der Zeit, als die Urlaube noch große Ferien hießen. Bonbonbunt, federleicht und meistens eine Nummer zu klein, da vom letzten Jahr: Der gerippte Allzweck-Schuh mit seitlichem Verschluss war alles, was man als Kind einen endlosen Sommer lang an den Füßen brauchte. Auf rutschigen Gebirgsbach-Steinen, gegen Quallen in der Adria oder auf dem warmen Asphalt vorm Eisstand.

Soweit die Verklärung, aber genau darum geht es ja bei der erstaunlichen Rückkehr der wasserfesten Schlappen: Um Erinnerung - und im Überschwang wird das einstige Badeaccessoire gleich bis auf die Laufstege befördert. Die "Jelly Sandals" von heute sind in der Edelvariante zu haben. Für Gucci hat der nimmermüde Geschichtsklitterer Alessandro Michele die Schuhe mit Strass und Raubtierköpfen besetzt (wie üblich bereits eine Saison, bevor die Modemeute nachzog). Von Sophia Webster gibt es die Variante mit Absatz und Blüten, Off White mag es schlichter, und Alexa Chung präsentierte ihren goldverzierten Entwurf auf Instagram als schlechtwettertauglich - mit Wollsocken.

Historisch betrachtet haben die früher spottbillig verkauften Kunststoff-Sandalen eher mit ewig blauem Himmel zu tun. Angeblich stammt das Original von der französischen Firma mit dem schönen Namen Méduse, 1946 erfunden als Arbeitsschuh für Fischer und Landwirte und ab den Fünfzigern für Millionen von Sommerfrischlern ein Symbol für "Laissez faire" und Urlaubsstimmung am Mittelmeer.

Und nun also die langersehnte Rückkehr der "mythique sandale de plage", wie es stolz auf französischen Webseiten heißt, der mythischen Strandsandale. Selbst die britische Times nahm sich kürzlich des Phänomens an, dass von Bella Hadid bis Kendall Jenner die Celebrities ihre Füße in Plastik stecken - samt dem etwas onkelhaften Hinweis, dass dies dem Fußklima nicht zuträglich sei.

Natürlich gibt es so manches, was gegen den Trend der viel zu bunten Schühchen spricht. Elegant, um bei ästhetischen Einwänden zu bleiben, sind sie nicht gerade. Aber offenbar genau passend zum Zeitgeist, der in letzter Zeit so manches unförmige Schuhwerk wie Crocs und backsteingroße Sneaker auf die Straßen gebracht hat. Da geht es eher um Spaß am Deplatzierten als um den formvollendeten Auftritt. "If Jelly Sandals are wrong, I don't want to be right", heißt es juchzend auf Stylecaster.com über den plastifizierten Stilbruch.

Darin liegt auch die Gemeinsamkeit zu den kindischen Looks. Diese Art Mode, ob Hello-Kitty-Taschen für Große oder Glitzer-Gummilatschen, signalisiert Unernst und Übermut. Nicht ohne Grund wird das Revival der "Jellies" als Rückbesinnung auf die hedonistischen Achtziger verstanden, als es Ikonen wie Cyndi Lauper und Madonna nicht bunt, überladen und vollsynthetisch genug sein konnte. Je nach Blickwinkel kann man das läppisch finden oder subversiv. Auch in der aktuellen Männermode hält der Kunststoff an den Sohlen Einzug. Dior zeigte im Juni transparente Plastikboots, Lanvin Strandschuhe im Material und der Farbe von Gummienten.

Ist doch alles wunderbar, sagte Hannah Weiland vom reichlich verspielten Londoner Label "Shrimps" neulich in einem Interview - Mode solle schließlich Freude bringen. "Die meisten von uns mögen als Erwachsene immer noch dieselben Sachen wie als Kinder. Aber aus irgendeinem Grund versagen wir sie uns, wenn wir groß werden."

Mit veganen Argumenten gegen Vorbehalte

Wenn da nicht die Sache mit dem schädlichen Material wäre. Im Unterschied zum arglosen Konsum der "Girls just wanna have fun"-Ära kann heute niemand mehr mit gutem Gewissen massenweise Plastik verwenden, wo es nicht unbedingt nötig erscheint. Der Müll in den Ozeanen, das Problem der winzig kleinen Kunststoffteilchen, die Umweltgifte anziehen und in den Organismen von Tieren nachgewiesen werden: In solchen Zeiten ist ausgerechnet ein Plastikschuh-Trend natürlich problematisch.

Die Hersteller haben reagiert und bieten Modelle an, die einigermaßen umweltverträglich sein sollen. Die australische Marke Holster etwa bewirbt ihre Jelly-Sandalen als ökologisch, da sie "vegan, wiederverwertbar und nicht-toxisch" seien. Die brasilianische Firma Melissa und Juju aus Großbritannien betonen ebenfalls die Möglichkeit, ihre Schuhe zu recyceln. Beide Labels gehören zu den großen Gewinnern der aktuellen Retro-Welle. Am besten, die junge oder nicht mehr ganz so junge Kundin gönnt sich maximal ein Paar Jellies und trägt sie brav auf. So gehört sich das als Meerjungfrau Arielle im 21. Jahrhundert.

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SZ vom 20.07.2019/vs
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