Guide Michelin:Diese Küchenchefs kochen mit zwei oder drei Sternen

Der neue Guide Michelin ist da. Köche erwarten das Urteil der Tester stets mit einer seltsamen Mischung aus Angst und Hoffnung. Wer wird auf-, wer abgewertet? In welcher Stadt wurden neue Auszeichnungen vergeben?

Von Marten Rolff, Berlin

Für die deutsche Spitzenküche gehören November und Dezember traditionell zu den wichtigsten Monaten des Jahres. Das liegt nicht nur an den Festtagen, den vielen Weihnachtsfeiern und Firmenevents, die gern mit einem guten Essen begangen werden, sondern auch daran, dass jetzt die Zeit des Kassensturzes ist: Zum Jahresende erscheinen die großen Führer der Restaurantkritik, und die Köche erwarten das Diktum der Tester stets mit dieser seltsamen Mischung aus Angst und Hoffnung: Wer wird aufgewertet, wer konnte das Niveau nicht halten?

Oder, mindestens ebenso wichtig: Gibt es gar eine neue Leitfigur am Herd, die womöglich die Küche und damit auch den Gästestrom einer ganzen Stadt oder Region beflügeln könnte?

Das wichtigste Urteil der seit Jahren ausufernden Branche mit all ihren Bewertungsforen, Blogs, Ranglisten, Punkten und Titeln ist bis heute das des Guide Michelin, dessen deutsche Ausgabe an diesem Freitag zum 51. Mal erscheint. Und gemessen am enormen Aufwand, den der Guide in diesem Jahr für die Sterne-Vergabe betrieben hat, fällt das Ergebnis so unspektakulär wie erwartbar positiv aus.

Die nun seit Jahren andauernde Erfolgsgeschichte Gourmetdeutschlands wird weitergeschrieben, wenn der Sterneregen auch nicht ganz so stark ausfiel wie in den beiden vergangenen Jahren: Drei neue Zweisterne-Restaurants kommen für 2017 hinzu, in Berlin darf sich Marco Müller ("Rutz"), in München Tohru Nakamura ("Geisels Werneckhof") und in Mannheim Tristan Brandt ("Opus V") über die zweite Michelin-Ehrung freuen. Damit gibt es nun 41 Lokale dieser Kategorie in Deutschland. Zudem zeichnet der Guide Michelin 15 weitere Restaurants erstmals mit einem Stern aus.

Die Ergebnisse des Guide sind seit Donnerstagvormittag im Umlauf - und das, obwohl die Organisatoren in diesem Jahr peinlich genau darauf achteten, sämtliche Informationen über die Sternevergabe unter Verschluss zu halten. Insider der Branche erzählten, einzelne Köche hätten bereits am Morgen ein druckfrisches Exemplar des Gastroführers in Händen gehalten, "niemand kann sich erklären, wie es dazu kam". Für Michelin dürfte das extrem ärgerlich sein; nachdem es bereits in den Vorjahren Leaks gegeben hatte, wurde in diesem Jahr besonderes Augenmerk auf die Geheimhaltung gelegt. Die Geheimniskrämerei trägt seit jeher enorm zum Nimbus des Gastroführers bei. Und es ist die konzertierte Aktion, die in der aufgeregten Gourmetbranche und im Zeitalter der schnellen Nachrichten noch für Aufmerksamkeit sorgt: Eigentlich hätte die Vergabe der Sterne ja erst und keinesfalls früher als Donnerstagabend verkündet werden sollen, und zwar erstmals bei einer Abendgala mit Prominenz, Sponsoren und Moderator, mit Kleidervorschriften und natürlich einem Berliner Meisterkoch.

Über das seltsame Bohei um die Bewertung von Restaurants mag man sich noch wundern - die Ergebnisse selbst allerdings dürften vielerorts Zustimmung auslösen. Die Klasse des intelligenten und hochindividuellen, von Japan beeinflussten Küchenstils Tohru Nakamuras zum Beispiel gilt nicht nur in München als unbestritten. Der 33-Jährige bereichert die Restaurantszene durch eine erstaunlich virtuose Mischung japanischer Elemente mit der europäischen Küche. Die bayerische Landeshauptstadt kann ohnehin ihre längst beeindruckende Stellung als Gourmetmetropole weiter ausbauen.

Früher Döner und Currywust, jetzt sieben Mal zwei Sterne

Mit der Auszeichnung Marco Müllers gewinnt aber auch Berlin weiter an Bedeutung. Die Feinschmeckerhauptstadt der Republik, die noch vor zehn Jahren fast ausschließlich mit Döner und Currywurst von sich reden machte, hat nun beachtliche sieben Zweisterne-Restaurants.

Ausgezeichnet mit einem Stern wurde auch das Lokal "Einsunternull" in Berlin Mitte, das den andauernden Trend zur Regionalität so beeindruckend konsequent verfolgt wie nur wenige andere: Alles Gemüse aus Brandenburg, haltbar gemacht ohne Qualitätsverlust und das ganze Jahr über serviert. So geht Saisonalität. Einen artverwandten Ansatz verfolgt Felix Schneider, dessen Restaurant "Sosein" im fränkischen Heroldsberg ebenfalls einen Stern erhielt. Viele der neuen Köche üben sich - allen Lästereien über die neuen Gastro-Hipster zum Trotz - in einer nie gekannten Bescheidenheit. Ihre Zurückhaltung liegt darin, dass sie das Produkt auf eine neue Art feiern, indem sie auf den Tellern zum Ausdruck bringen, dass sie es als wertvoller erachten als ihre eigenen Kunst.

Farm to Table, Nachhaltigkeit, Regionalität und neue Unkompliziertheit - das sind also die Stichworte, die auch beim Urteil des Michelin eine Rolle spielen, der den deutschen Köchen seit Jahren eine "erfreuliche Exzellenz in der Breite" bescheinigt. Der Gastroführer wird sich nun dem Problem stellen müssen, dass Breite nicht in Beliebigkeit mündet. Einerseits sind mehr als 300 Sternerestaurants in Deutschland für Gourmets eine gute Nachricht. Andererseits fragen sich Branchenkenner längst, ob die Leute noch wüssten, was ein, zwei oder drei Sterne genau bedeuten. Die hohe Qualität sei toll, doch ändere sie nichts daran, dass deutsche Restaurants im Ausland kaum wahrgenommen würden: "Dass internationale Gourmets jetzt lieber in Südamerika essen gehen, weil sie fälschlich glauben, Europa sei abgefrühstückt." Geheimniskrämerei und mangelnde Transparenz des Michelin trügen da nicht immer zum allgemeinen Verständnis bei.

Der Michelin hat gut davon gelebt, so wenig zu sagen wie möglich. Schwierig wird es eben nur, wenn am Ende eine Gala steht, auf der es nichts mehr zu verkünden gibt.

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