Kolumne "Eigener Herd":Kernfragen

Kolumne "Eigener Herd": In Schulkantinen früher gefürchtet, doch richtig zubereitet eine echte Delikatesse: Suppe mit Gerstengraupen.

In Schulkantinen früher gefürchtet, doch richtig zubereitet eine echte Delikatesse: Suppe mit Gerstengraupen.

(Foto: imago stock/imago images/Panthermedia)

Gerstengraupen haben einen erstaunlichen Imagewandel erfahren. Früher schonten die vielseitigen Getreidekörner nur den Magen, heute wärmen sie auch das Herz.

Von Titus Arnu

Graupen hatten lange Zeit einen graupenhaften Ruf. Geschälte Gerstenkörner, weichgekocht zu Brei oder aufgequollen in trüber Suppe treibend? So etwas galt als Arme-Leute-Essen, als gefürchtet schleimige Schulkantinen-Speise oder Krankenkost. Aus bayerischer Sicht muss man außerdem eine moralische Frage stellen: Ist das Essen von Gerste nicht eine unsinnige Verschwendung von Bier-Rohstoffen?

Bier gilt hierzulande als Grundnahrungsmittel, das Gerstenkorn aber schon lange nicht mehr. Dabei ist die Gerste eine der ältesten Getreidearten, die der Mensch kultiviert hat. Sie wurde bereits vor 10 000 Jahren in Vorderasien angebaut. Von dort gelangte sie in der Jungsteinzeit nach Mitteleuropa. Schon in der Antike wurde mit Gerste gebraut und gebacken. Im Mittelalter lösten Weizen und Roggen die Gerste in Europa allmählich als Grundstoff für Brot ab. Gerste wird hierzulande vor allem als Tierfutter und für die Herstellung von Malz verwendet. Im Supermarkt muss man lange suchen, bis man Graupen überhaupt findet zwischen 20 Sorten Kartoffelpüree-Mischung und Fertigknödeln. Das einst elementare Lebensmittel ist nur noch ein Nischenprodukt. Daran ändert auch nichts, dass man sie inzwischen relativ verlässlich im gut sortierten Biomarkt kaufen kann. Noch vor Kurzem musste man dafür ins Reformhaus oder direkt bei einer Mühle fragen.

In abgelegenen Bergregionen Tibets und Nepals ist Tsampa, eine Art Porridge aus gerösteten Gerstenkörnern, nach wie vor das wichtigste Lebensmittel. Aber auch im Alpenraum ist die Gerste, vor allem in Form von Graupen, Teil der bäuerlichen, bodenständigen Küche geblieben. In Graubünden und Südtirol wird deftige Gerstensuppe als wärmender Kraftspender serviert, besonders im Winter. Die Schweizer Armee führt die Bündner Gerstensuppe in ihrem amtlichen Kulinarik-Kompendium als Rezept Nr. 207 auf, weil sie leicht zu kochen, deftig und ziemlich sättigend ist, in der Schweiz nennt man das "währschaft".

Auch Spitzenköche haben die Gerste wiederentdeckt

Nahrhaft, ursprünglich, simpel: In der Spitzengastronomie gelten diese Attribute seit einiger Zeit ja wieder als sehr modern, obwohl das Grundprinzip uralt ist. Spitzenköche wie Ali Güngörmüs servieren Graupenrisotto, Gesundheits-Influencerinnen preisen die Bekömmlichkeit der entspelzten Körner, Anhänger der "Clean-Eating"-Bewegung stilisieren die Graupe zum "vergessenen Urgetreide". Der Schweizer Sternekoch Sven Wassmer stellt aus heimischer Gerste und japanischen Hefepilzen eine fermentierte Koji-Paste her, die er als "alpines Umami" in seinen Menüs einsetzt, auch in jungen Berliner Spitzen-Küchen ist Koji-Fermentieren schon länger ein Thema und Gerste damit immer beliebter. Zusammengefasst: Die unscheinbaren Körner haben in den vergangenen Jahrzehnten einen sagenhaften Imagewandel durchlaufen, vom alten Schleimer zum kernigen Hipster sozusagen.

An beiden Sichtweisen ist wahrscheinlich ein Körnchen Wahrheit. Um bei den Fakten zu bleiben: Graupen sind geschälte, polierte Getreidekörner. Man kann sie in runder, halbrunder und länglicher Form und in verschiedenen Größen kaufen. Rollgerste besteht aus ganzen Körnern, für Perlgraupen wird das Getreide vor dem Polieren zerkleinert. Hülsenlos sind die Körner leichter verdaulich als Vollkornprodukte, deshalb gelten Graupensuppe und Gerstengrütze auch als bewährte Hausmittel bei Magen-Darm-Beschwerden. Gerstenprodukte werden auch zur Senkung des Cholesterinspiegels empfohlen, weil sie den Ballaststoff Beta-Glucan enthalten.

Das Tolle an den Gerstengraupen ist, dass sie so vielseitig einsetzbar sind wie Reis. Man kann sie für "Risotto" (Graupotto?) ebenso verwenden wie für Salate und Suppen. Man kann sie salzig zubereiten oder als Süßspeise, indem man sie mit Zucker und Milch kocht. Beim Kochen brauchen Graupen ebenso viel Flüssigkeit wie Reis: Pro Tasse roher Körner zwei bis drei Tassen Wasser, Brühe oder Milch. Die Garzeit beträgt je nach Produkt und Zubereitungsart etwa 20 bis 30 Minuten. Je länger die Graupen kochen, desto schleimiger werden sie. Die richtige Konsistenz ist Gefühlssache, Personen mit traumatischen Graupen-Erfahrungen in der Kindheit sollten sich für eine kürzere Kochzeit entscheiden und die Körner al dente genießen.

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Für eine echt "währschafte", also nahrhafte Bündner Graupensuppe braucht man jede Menge Gemüse und ein bisschen Zeit. Für vier Personen eine Stange Lauch längs halbieren, waschen, in feine Streifen schneiden. 150 g Karotten und 150 g Sellerie schälen, in Würfel schneiden. 50 g Bündnerfleisch würfeln. 1 Zwiebel schälen, halbieren, beide Hälften mit je 1 Lorbeerblatt und 1 Nelke bestecken. Lauch, Karotten, Sellerie und Bündnerfleisch etwa 5 Minuten in Pflanzenöl dünsten. 100 g Rollgerste zugeben, kurz andünsten. Besteckte Zwiebel beigeben, nach Wunsch auch noch Suppenfleisch oder Kalbsfuß zugeben. Mit 1,5 l Fleisch- oder Gemüsebrühe aufgießen und etwa zwei Stunden köcheln lassen. Kurz vor dem Servieren mit Salz, Pfeffer und einem Schuss Sahne abschmecken. Man kann die Suppe auch vegan zubereiten, dazu braucht man etwas mehr Salz, Sojasahne und eine gute Gemüsebrühe. Das Bündnerfleisch lässt man natürlich weg.

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