Süddeutsche Zeitung

Geburt:Wie schön müssen Mütter im Kreißsaal sein?

Ein Drogeriemarkt hält diese Frage für ein Riesenthema - und ein großes Tabu. Dabei ist Make-up bei der Entbindung einfach nur völlig egal.

Kommentar von Barbara Vorsamer

"Wie schön müssen Mamis denn im Kreißsaal sein?", fragt ein Drogeriemarkt in seinem Blog, und wer mit gesundem Menschenverstand gesegnet ist, antwortet: Ist doch egal. Oder: So, wie sie sich am wohlsten fühlen. Oder: Frauen müssen überhaupt nichts. Frauen im Kreißsaal müssen ein Kind zur Welt bringen, das reicht als Aufgabe.

Doch mit solchen Antworten lässt sich kein Geld verdienen. Der Drogeriemarkt macht daher lieber einen auf Tchibo und erfindet ein Problem, um dann die Lösung verkaufen zu können. Vielleicht lässt sich wasserfeste Wimperntusche künftig als kreißsaaltaugliche "Mama-Mascara" vermarkten? Die kostet dann natürlich mehr. Auch Apfelmus lässt sich für das Doppelte verkaufen, wenn man es in Minigläschen füllt und "Fruchtbrei fürs Baby" draufschreibt.

Dem Artikel zufolge ist die Frage nach der Schönheit im Kreißsaal "sicherlich ein Tabuthema", das die Autorin mit vielen rhetorischen Fragen bricht: "Schaffe ich es noch, Beine und Intimbereich zu rasieren? Wann setze ich am besten meinen letzten Fußpflege-Termin vor der Geburt an? Wie gut werde ich auf dem ersten Foto nach der Geburt aussehen?" Und schließlich: "Welche Mama hat sich beim Packen der Kliniktasche keine Gedanken über Kleidung, Aussehen, Kosmetikartikel gemacht?"

Ja, welche Mama hat das nicht? Die Autorin zum Beispiel. Und alle Mütter, mit denen sie je über dieses Thema gesprochen hat (was aufgrund dieses Textes in den vergangenen zwei Stunden ganz schön viele waren).

Ist das jetzt ein Riesenthema? Ein Tabuthema? Oder gar keins?

Wir Beauty-Dummies beschäftigten uns in den letzten Schwangerschaftswochen mehr mit der Frage, wo wir entbinden würden und wie. Wir recherchierten, was es mit PDA, Dammriss und Wochenfluss auf sich hat. Und wir machten uns Sorgen, dass die Hebammen zu wenig Zeit für zu viele Gebärende haben würden. Die Quelle, auf der die Behauptung, "ein Großteil der Schwangeren" mache sich Gedanken über rasierte Beine basiert, wäre daher interessant.

Wer intensiv googelt, findet in Elternforen zwar den ein oder anderen Thread zur Frage, welche Kleidung kreißsaaltauglich ist oder ob man bei einem Kaiserschnitt wirklich kein Make-Up tragen dürfe. Doch hier befindet man sich in einer sehr speziellen Nische des Internets, wo mit obskuren Abkürzungen hantiert wird (ET+3, KS, Hebi, GöGa) und auf die Frage, was man denn machen soll, wenn der Finn-Alexander (4M, 3W, 6T) seinen Pastinakenbrei immer ausspuckt, garantiert die Antwort "Sofort zum KiA!!" kommt.

Daher zurück in die normale Welt, wo die meisten Frauen mit genau dem Make-Up im Kreißsaal ankommen, das sie zufällig trugen, als die Wehen einsetzten. Wenn es nachts um drei Uhr los geht, ist das meistens keines und es besteht auch keinerlei Notwendigkeit, das zwischen den Wehen noch schnell zu erledigen. Und die Intimrasur während der Eröffnungsphase nachzuholen kann gefährlich werden - nicht, dass bei der nächsten Kontraktion die Hand ausrutscht. Wenn die Fruchtblase dagegen auf der Silvesterparty platzt, entbindet man eben mit Smokey Eyes und dunkelgrünen Glitzernägeln, die dann auf dem ersten Foto so gar nicht zu Krankenhaushemd und käseverschmiertem Neugeborenen passen wollen.

Ein Geburtsfoto für die 347 besten Freunde

Achja, das erste Foto. Das ist angeblich der Grund, warum der "Großteil der Schwangeren" nicht ohne Schminktasche gen Klinik fährt. Heutzutage ist es schließlich Usus, wenige Stunden nach der Geburt ein Bild von Mama und Nachwuchs an die 347 engsten Freunde zu schicken. Da will frau nicht so aussehen, als hätte sie gerade zwanzig Stunden schwere körperliche Arbeit hinter sich (auch wenn das nun mal der Fall ist). Daher nochmal der Hinweis vom Anfang: Frauen müssen gar nichts - auch kein Foto von sich machen lassen, wenn sie sich nicht danach fühlen.

Im Netz gibt es für den Artikel nichts als Spott und Häme, die beste Entgegnung hat Bloggerin Dasnuf: "Wenn der Damm reißt, ist jede Frau froh, wenn die Füße wenigstens pedikürt sind." Autorin Silke Burmester lästert: "Mir war es auch wichtig, dass das Baby vernünftig aussieht. Feuchttücher halfen, die Schmiere ruck-zuck wegzuwischen." Und die Feministin Stefanie Lohaus merkt sarkastisch an, dass vor der Entbindung vielleicht noch ein Anal-Bleaching notwendig sei - wer weiß, wer einem alles zwischen die Beine schaut.

Dass den allermeisten Frauen herzlich egal ist, mit welchem Make-Up sie ihren Geburtsschmerz veratmen, darauf deutet die Online-Umfrage direkt unter dem Artikel hin. Dort stimmen mehr als 90 Prozent der Befragten der Aussage zu: "In dieser Ausnahmesituation mache ich mir um mein Aussehen keine Gedanken." Sorry, liebe Marketingexperten. Die Mama-Mascara wird eher nicht zum Verkaufsschlager.

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