Gault Millau:Tohru Nakamura ist "Koch des Jahres"

Gault Millau: Tohru Nakamura in München ist "Koch des Jahres 2019"

Tohru Nakamura: "Was wir servieren, steht in einem totalen Einklang mit mir selber, ich bin damit absolut glücklich."

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Im Münchner "Werneckhof" der Familie Geisel kombiniert er europäische und japanische Küchenkunst. Mit seinen 36 Jahren ist er für den Titel eher jung.

Von Marten Rolff

Noch nie war es für einen Koch so wichtig, sich in der Welt, in der er arbeitet, zu positionieren. Angesichts schwindender Ressourcen und steigender Temperaturen auf dem Planeten werden die Fragen, die man ihm stellt, immer drängender: Wie nachhaltig arbeitet er, wie klimaneutral sind seine Lebensmittel, wie viel Abfall produziert seine Küche, kurzum: Wie zukunftsfähig ist sein Stil?

Da verwundert es nicht, dass der Gault & Millau der gehobenen Küche in Deutschland bescheinigt, sie sei nicht nur "in jeder Hinsicht besser", sondern vor allem "nachdenklicher" geworden. Die junge Generation koche "mit einem geschärften Bewusstsein", heißt es in der Ausgabe des Gastroführers für 2020, die diesen Dienstag erscheint. Ähnlich plausibel klingt es, wenn die Tester bei ihrem "Koch des Jahres" - es ist die höchste Auszeichnung, die der Gault & Millau zu vergeben hat - seine "hohe kulinarische Intelligenz" ins Zentrum der Begründung rücken.

Die Wahl fiel auf Tohru Nakamura, der im Münchner Restaurant "Werneckhof" der Familie Geisel kocht und mit seinen 36 Jahren für diesen Titel eher jung ist.

Tatsächlich kann Nakamura so gut wie wenige andere erklären, warum er ein bestimmtes Gericht auf den Tisch bringt und warum gerade in dieser Form. Sein Stil besitzt ein ungewöhnlich hohes Maß an Stimmigkeit - "was wir servieren, steht in einem totalen Einklang mit mir selber, ich bin damit absolut glücklich", sagt Nakamura - eine Aussage, die sehr viel konkreter wird, wenn man seine Biografie kennt.

Denn der Sohn einer deutschen Mutter und eines japanischen Vaters ist in zwei kulinarischen Welten zu Hause. Wie kaum ein anderer deutscher Koch weiß er die europäische Hochküche mit der japanischen zu verbinden und zu etwas ganz Eigenem zu machen; zu einem Stil, der längst prägend ist für viele Köche.

Die japanische Küche hat in den vergangenen Jahren auf der ganzen Welt stark an Einfluss gewonnen. Nirgends dürfte der Respekt vor dem Produkt eine solche Bedeutung haben wie in der japanischen Tradition, egal übrigens, ob es sich um Aal, Wagyusteak, Birnen oder Algen handelt. Wissen, Spezialisierung und technische Fertigkeiten sind enorm, es gibt Köche, die über Jahre nur für die Verarbeitung einzelner Produkte ausgebildet werden. Qualität, Regionalität und Saisonalität haben in Japan fast kultischen Stellenwert. Und die Fermentation von Lebensmitteln mit Edelschimmelpilzen, ebenfalls eine japanische Technik, eröffnet völlig neue Geschmackswelten. Bei all diesen Themen geht es durchaus nicht allein um Genuss, sondern auch um Nachhaltigkeit. Um den Einklang mit der Natur. Und es geht um eine Philosophie, die sich, zumindest in Teilen, gut auf andere Küchenstile übertragen lässt.

Allerdings behandeln viele Köche Japan eher als oberflächliches Trendthema, würzen ihre Mayonnaise mit Misopaste oder rühren japanische Zitrusfrüchte ins Dessert. Tohru Nakamura dagegen, so loben die Kritiker des Gault & Millau, habe Japans Aromenwelten und Traditionen "von Kind auf verinnerlicht" und nutze dieses Wissen nicht plakativ, sondern so subtil, wie es dort üblich sei. So setzt Nakamura etwa die "Zukushi"-Tradition (die Variation eines Produktes) mit sämtlichen Kürbisarten des Münchner Umlandes um. Wobei der Anbau von eigenem Gemüse und die Zusammenarbeit mit einem Gärtner für Nakamuras Küche selbstverständlich ist. Er kombiniert Jakobsmuscheln mit Dreierlei vom Steinpilz und Muschelsud oder Forelle mit verschiedenen Rettichen, scharf eingelegter Gurke mit Yuzu-Flash und mit Seegras abgeschmeckter Beurre blanc.

Als Kind stand Tohru Nakamura so früh in der Küche im heimischen Baldham bei München, dass Freunde der Eltern besorgt fragten: "Habt ihr keine Angst, dass der Kleine sich am Herd verbrennt?" Die Eltern waren entspannt: "Der wird schon merken, dass es heiß ist." Nakamura merkte so einiges: Zum Beispiel, dass es gut war, regelmäßig Japanisch zu lernen und anschließend vom Vater mit gutem Essen belohnt zu werden. Mit 15 Jahren absolvierte er ein Praktikum in der Küche von Léa Linster in Luxemburg. Er ging nach Japan, lernte später bei zwei der berühmtesten Köche Europas, beim Niederländer Sergio Herman und bei Joachim Wissler in Bergisch Gladbach. Und er schloss seine Ausbildung als deutscher Jahrgangsbester ab.

Insgesamt lobte der Gault & Millau die Entwicklung der deutschen Spitzenküche

In der neuen Ausgabe des Gastroführers wird Tohru Nakamura nun mit 19 von 20 möglichen Punkten geführt und steigt damit endgültig auf in die Riege der führenden deutschen Köche. Ebenfalls auf 19 Punkte verbessern sich Jan Hartwig vom Restaurant "Atelier" im Bayerischen Hof in München, der Hamburger Kevin Fehling ("The Table") und der Berliner Michael Kempf ("Facil"), was den Trend verstärkt, dass Spitzenküche vor allem in den großen Städten Erfolg hat. Erstmals mit 18 Punkten geführt werden Christian Eckhardt vom "Purs" in Andernach, Boris Rommel vom "Le Cerf" in Öhringen und André Münch vom "Butt" in Rostock. Außerdem wird der Moderator Günther Jauch, der mit Spitzenkoch Tim Raue das Restaurant "Villa Kellermann" in Potsdam eröffnete, als Gastronom des Jahres geehrt.

Insgesamt lobte der Gault & Millau die Entwicklung der deutschen Spitzenküche; auch, weil immer nachhaltiger gearbeitet werde. Negativ sahen die Tester, dass der Gast immer weniger Wahlfreiheit habe, weil die Köche das À-la-carte-Angebot mehr und mehr einschränken und dafür den Menüzwang verschärfen. Kritik gefallen lassen muss sich der Gastroführer dafür, dass er sich die Nachhaltigkeit zwar auf die Fahnen schreibt, sie bei der Bewertung jedoch außer Acht lässt. Wie soll das gehen, es zählt nur, was auf dem Teller liegt!, wird man beim Gault & Millau antworten. Doch das ist womöglich zu wenig in Zeiten, in denen Starköche wie der Däne René Redzepi oder der Schweizer Andreas Caminada zu Recht mit Klimaforschern diskutieren, ob die CO₂-Neutralität von Küchen ein Kriterium für ihre Bewertung sein sollte.

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